141 IV 215
27. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) 6B_256/2014 vom 8. April 2015
Regeste (de):
- Schreckung der Bevölkerung (Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- Der Begriff der "Bevölkerung" im Sinne dieses Straftatbestands meint die Gesamtheit der Bewohner eines bestimmten, mehr oder weniger grossen Gebiets. Er erfasst darüber hinaus die Gesamtheit der Personen, die sich, als Repräsentanten der Allgemeinheit, eher zufällig und kurzfristig an einem bestimmten Ort befinden, etwa in einem Kaufhaus, in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder in einem Sportstadion. Die Personen, mit welchen der Urheber einer Äusserung durch Freundschaft oder Bekanntschaft im realen oder virtuellen Leben verbunden ist, beispielsweise 290 "Facebook"-Freunde, sind nicht als "Bevölkerung" anzusehen (E. 2.3.4).
Regeste (fr):
- Menaces alarmant la population (art. 258 CP); notion de "population".
- Par "population" au sens de l'art. 258 CP on entend l'ensemble des habitants d'un lieu déterminé plus ou moins grand. La notion de population englobe également l'ensemble des personnes qui se trouvent, comme représentantes du public, plutôt par hasard et pour un temps court dans un lieu déterminé, par exemple dans un magasin, dans un transport public ou dans un stade sportif. Les personnes avec lesquelles l'auteur d'une déclaration est ami ou qu'il connaît dans la vie réelle ou virtuelle, par exemple 290 amis "Facebook", ne constituent pas une "population" (consid. 2.3.4).
Regesto (it):
- Pubblica intimidazione (art. 258 CP); nozione di "popolazione".
- La nozione di "popolazione" ai sensi dell'art. 258 CP si riferisce all'insieme degli abitanti di una determinata zona più o meno grande. Comprende inoltre l'insieme delle persone che, quali rappresentanti della collettività, si trovano piuttosto casualmente e per un breve lasso temporale in un determinato luogo, quale un grande magazzino, un mezzo dei trasporti pubblici o uno stadio. Le persone appartenenti alla cerchia di amici o conoscenti della vita reale o virtuale dell'autore di una dichiarazione, come per esempio i 290 amici "Facebook", non costituiscono una "popolazione" (consid. 2.3.4).
Sachverhalt ab Seite 215
BGE 141 IV 215 S. 215
A. X. verfasste am 22. März 2012 unter Benützung seines Computers den folgenden Text und veröffentlichte diesen auf seiner Profilseite der Online-Plattform "Facebook": "FREUT SICH HÜT NIEMERT, DASS ICH GEBORE WORDE BIN... ICH SCHWÖR, ICH ZAHLS EU ALLNE ZRUG!!! ES ISCH NÖD E FRAG VO DE HÖFLICHKEIT, SONDERN VOM RESPEKT UND EHRE. ICH VERNICHTE EUI ALLI, IHR WERDET ES BEREUE,
BGE 141 IV 215 S. 216
DASS IHR MIR NÖD IM ARSCH KROCHE SIND, DENN JETZT CHAN EU NIEMERT ME SCHÜTZE... POW!!!!POW!!!!POW!!!!" Dieser Text war für diejenigen Personen einsehbar, welche über die Online-Plattform "Facebook" ein eigenes Profil erstellt und in Bezug auf das Profil von X. den Freundschaftsstatus innehatten. Es handelte sich um zirka 290 Personen, was X. wusste.
B.
B.a Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl sprach X. mit Strafbefehl vom 4. Oktober 2012 der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
B.b Der Einzelrichter des Bezirks Zürich sprach X. am 4. Dezember 2012 der versuchten Schreckung der Bevölkerung im Sinne von Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
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1 | Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
2 | Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos. |
B.c Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, sprach X. am 25. November 2013 der versuchten Schreckung der Bevölkerung (Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
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1 | Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
2 | Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos. |
C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der versuchten Schreckung der Bevölkerung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 141 IV 215 S. 217
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.3
2.3.1 Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
2.3.2 Unter welchen Voraussetzungen Äusserungen im "Facebook" an "Facebook"-Freunde als "öffentlich" im Sinne des Tatbestands der Rassendiskriminierung (Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 141 IV 215 S. 218
VEST, in: Delikte gegen den öffentlichen Frieden [...], 2007, N. 16 zu Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 260quinquies - 1 Wer in der Absicht, ein Gewaltverbrechen zu finanzieren, mit dem die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll, Vermögenswerte sammelt oder zur Verfügung stellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
|
1 | Wer in der Absicht, ein Gewaltverbrechen zu finanzieren, mit dem die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll, Vermögenswerte sammelt oder zur Verfügung stellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Nimmt der Täter die Möglichkeit der Terrorismusfinanzierung lediglich in Kauf, so macht er sich nach dieser Bestimmung nicht strafbar. |
3 | Die Tat gilt nicht als Finanzierung einer terroristischen Straftat, wenn sie auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten gerichtet ist. |
4 | Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn mit der Finanzierung Handlungen unterstützt werden sollen, die nicht im Widerspruch mit den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechts stehen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2.3.3 Unter der "Bevölkerung" sind nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "alle Bewohner, Einwohner eines bestimmten Gebietes" zu verstehen (Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl. 2010). "Bevölkerung" meint "die Gesamtheit aller Personen, die in einem bestimmten Gebiet leben. Je nach Fragestellung kann ein solches die gesamte Erde umfassen (Welt-B.) oder sehr eng eingegrenzt sein (Stadtteil)" (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl. 2006). Entsprechend werden die Begriffe "population" und "popolazione" in der französischen und in der italienischen Sprache definiert. "Population" meint
BGE 141 IV 215 S. 219
"ensemble des personnes qui habitent un espace, une terre. La population du globe, de la France, d'une ville" (Le Petit Robert, Aufl. 2011). "Popolazione" bedeutet "la quantità delle persone che vivono in un determinato territorio: la p. della Francia, di Milano" (Dizionario della Lingua Italiana, Aufl. 2004-2005). Der Begriff der "Bevölkerung" wird aber mitunter auch in einem weiteren Sinne definiert. Gemeint ist danach die "Gesamtheit von Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ihren Wohnsitz, ihre Arbeitsstätte oder ihre Staatsbürgerschaft einem bestimmten Gebiet zuzuordnen sind (räuml. Abgrenzung) oder die zu einer Gruppe gehören, die durch andere Kriterien (z.B. Sprache, Erwerbstätigkeit, ethn. Zugehörigkeit) definiert ist" (Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, 9. Aufl. 1972).
2.3.4 Der Begriff der "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2.3.5 Indem der Beschwerdeführer die inkriminierte Äusserung an seine rund 290 "Facebook"-Freunde adressierte und darin im Besonderen diejenigen Freunde ansprach, die ihm nicht zum Geburtstag gratuliert hatten, richtete er sich nicht an die "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |