Sprache des Dokuments : ECLI:EU:C:2000:299

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIEGBERT ALBER

vom 6. Juni 2000 (1)

Rechtssache C-9/99

Echirolles Distribution SA

gegen

Association du Dauphiné,

Association des libraires de bandes dessinées,

Patrick Corbet

und

Union des libraires de France

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel Grenoble [Kammer für Handelssachen])

„Nationale Regelung zur Preisbindung bei Büchern“

I - Einführung

1.
    Im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geht es letztlich um die Frage, ob die Vorschriften des EG-Vertrags über den Binnenmarkt - vor allem die Artikel 3 Buchstaben c und g, Artikel 3a, 5, 7a Absatz 2, 102a und 103 Absätze 3 und 4(2) - der Buchpreisbindung in Frankreich entgegenstehen. Zum französischen System der Buchpreisbindung hat der Gerichtshof bereits mehrfach entschieden(3) - allerdings jeweils vor der Verwirklichung des Binnenmarktes am 1. Januar 1993 -, daß beim damaligen Stand des Gemeinschaftsrechts Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f, 85 und 86 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften verbietet, nach denen der Endverkaufspreis der Bücher vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden muß und für jeden Einzelhändler verbindlich ist, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrags - insbesondere mit denen des freien Warenverkehrs - stehen. Dem vorlegenden Gericht, der Cour d'appel Grenoble, stellt sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens insbesondere die Frage, ob sich die Rechtslage nunmehr durch die Aufnahme der Vorschriften über den Binnenmarkt in den EG-Vertrag geändert hat.

II - Nationale rechtliche Bestimmungen

2.
    Das französische Gesetz Nr. 81-766 vom 10. August 1981(4) bestimmt in Artikel 1 u. a., daß jeder Verleger oder Importeur von Büchern einen Endverkaufspreis für die von ihm verlegten bzw. eingeführten Bücher festzusetzen hat. Die Einzelhändler müssen einen Endverkaufspreis festlegen, der zwischen 95 % und 100 % dieses festgesetzten Preises liegt. Bei der Einfuhr von in Frankreich verlegten Büchern muß der vom Importeur festgesetzte Endverkaufspreis mindestens so hoch sein wie der vom Verleger festgelegte Preis. Diese letztgenannte Bestimmung gilt jedoch gemäß der Gesetze Nr. 85-500 vom 13. Mai 1985 und 93-1420 vom 31. Dezember 1993, die auch aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes erlassen worden sind, nicht für die Bücher, die aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eingeführt werden, es sei denn, diese Einfuhr erfolgt zu dem Zweck, die Buchpreisbindung zu umgehen.

III - Sachverhalt

3.
    Die Echirolles Distribution SA (im folgenden: Rechtsmittelführerin) betreibt unter der Geschäftsbezeichnung „Centre Leclerc“ ein Geschäftslokal. Da sie unter Verletzung des Artikels 1 Absatz 4 des Gesetzes vom 10. August 1981 Bücher zu einem Preis, der mehr als 5 % unter dem vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preis lag, zum Verkauf anbot, wurde sie zur Zahlung von Schadensersatz an den Buchhändler Patrick Corbet, die „Association du Dauphiné pour le maintien et l'application de la loi du 10 août 1981 sur le prix unique du livre“, die „Association des libraires de bandes dessinées“ und die „Union des libraires de France“ (im folgenden: Rechtsmittelgegner) verurteilt.(5)

4.
    Die Rechtsmittelführerin hat dieses Urteil vor dem vorlegenden Gericht angefochten. Zur Begründung beruft sie sich mit ihren Worten u. a. darauf, daß das Gesetz, das nach der bisherigen Rechtslage mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gewesen sei, durch das Inkrafttreten der Vorschriften des EG-Vertrags über den Binnenmarkt unvereinbar geworden sein könnte.

5.
    In seinem Vorabentscheidungsersuchen weist das Gericht u. a. darauf hin, daß die französische Buchpreisbindung grundsätzlich sowohl private als auch professionelle Käufer betreffe, sowie unterschiedslos kulturelle und technische Bücher erfasse. Infolgedessen erhöhten sich die Betriebskosten der Unternehmen oder Personen, bei denen die Information durch Bücher notwendig und wichtig sei wie Juristen, Mediziner und Architekten. Organisierte oder einzelne Buchhändler könnten daher die Gewinne, die üblicherweise aus einer erhöhten Produktivität, aus gemeinsamen Einkäufen, einer effizienteren Verwaltung ihrer Geschäftstätigkeit oder auch aus der Qualitität der Dienstleistungen erzielt werden, nicht beim Einzelhandelspreis weitergeben. Durch das Verfahren der Buchpreisbindung, bei dem der Preis durch eine nicht am Vertrag beteiligte Person festgelegt werde, sei das freie Funktionieren des Marktes beeinträchtigt. Dadurch mache Frankreich den Buchmarkt zu einer Zone, in der der Wettbewerb ausgeschlossen sei.

6.
    Das vorlegende Gericht geht in seinem Vorabentscheidungsersuchen davon aus, daß das Gesetz nicht gegen Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) verstößt, da es sich nicht um eine Buchpreisbindung handele, die auf einer Vereinbarung der Gewerbetreibenden beruhe. Ein Verstoß gegen die ebenfalls möglicherweise betroffenen Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (jetzt Artikel 28 EG und 34 EG) sei in der Vergangenheit nur angenommen worden, wenn das Gesetz grenzübergreifende Sachverhalte regele, was vorliegend aber nicht der Fall sei. Das vorlegende Gericht meint daher, daß der Gerichtshof und auch die Europäische Kommission den Inhalt der jetzigen Fassung des Gesetzes vor dem Inkrafttreten der Vorschriften über den Binnenmarkt im Licht des EG-Vertrags letztendlich gebilligt hätten.

7.
    Die Frage, ob dies auch nach der Schaffung des Binnenmarktes gelte, sei jedoch (noch) nicht ausdrücklich entschieden worden. Davon ausgehend, daß der Binnenmarkt als Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt betrachtet werde, meint das vorlegende Gericht, daß die Vorschriften über den Binnenmarkt auch auf rein national geltende Buchpreisbindungen Auswirkungen haben könnten. Möglicherweise dürfe der Binnenmarkt nicht lediglich mit einem Raum des freien Warenverkehrs gleichgestellt werden; er könne auch als einheitlicher Markt anzusehen sein, dessen Funktionsregeln für Staaten ebenso verbindlich seien wie für Privatpersonen.

8.
    Um klären zu können, ob das Gesetz mit dem Gemeinschaftsrecht in seiner jetzigen Fassung vereinbar sei, kommt es nach Ansicht des vorlegenden Gerichts daher darauf an, ob sich die Rechtslage mit dem Inkrafttreten der Vorschriften über den Binnenmarkt geändert habe. Eine ausdrückliche Rechtsänderung im Hinblick auf die Buchpreisbindung abzuwarten, sei dem Gericht wegen seiner Verpflichtung, innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens Recht zu sprechen, nicht möglich.

IV - Vorlagefrage

9.
    Das mit dem Ausgangsrechtsstreit befaßte Gericht hat dem Gerichtshof aus diesen Gründen folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Ist die französische Regelung, die die Verleger verpflichtet, den Buchhändlern einen festen Preis für den Weiterverkauf von Büchern, unabhängig von deren Inhalt, sowohl an Verbraucher als auch an Erwerber für berufliche Zwecke, vorzuschreiben, mit dem am 1. Januar 1993 eingeführten Binnenmarkt, insbesondere mit den Artikeln 3 Buchstaben c und g, 3a, 5, 7a Absatz 2, 102a und 103 Absätze 3 und 4 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte und des Vertrages über die Europäische Union vereinbar?“

V - Parteivorbringen

10.
    Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das französische System der Buchpreisbindung verstoße durch die Schaffung eines Bereichs, in dem die Regeln des Wettbewerbs keine Anwendung fänden, gegen das Prinzip des Marktes, der durch die Gegenüberstellung von Angebot und Nachfrage bestimmt werde. Der französische Gesetzgeber habe durch die Preisbindung bei Büchern das künstlerische und literarische Schaffen schützen wollen, dabei jedoch außer Acht gelassen, daß die Buchpreisregelung allgemein wirke und somit auch die technischen Bücher umfasse, die jedoch eines solchen Schutzes nicht bedürften. Auch wenn das Buch als kulturelles Gut anzuerkennen sei, bestünde eine Verbindung zur Wirtschaft, die sich u. a. darin zeige, daß die Buchpreisbindung in Frankreich zu einer allgemeinen Anhebung der Bücherpreise geführt habe.

11.
    Zwar habe der Gerichtshof in seinen bisherigen Entscheidungen zur französischen Buchpreisbindung das Prinzip der Preisfestlegung durch Verleger als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar angesehen, er habe sich dabei jedoch ausdrücklich nur auf den damals aktuellen Stand des Gemeinschaftsrechts bezogen, also auf einen Zeitpunkt, zu dem der Begriff des Binnenmarktes noch nicht Teil des EG-Vertrags war. Nach der Einfügung der Bestimmungen über den Binnenmarkt könnten die diesbezüglichen Regelungen des EG-Vertrags jedoch im Widerspruch zu den streitgegenständlichen französischen Rechtsvorschriften stehen.

12.
    Die Rechtsmittelführerin macht darüber hinaus geltend, die französischen Bestimmungen betreffend die Buchpreisbindung stellten auch einen Verstoß gegen Artikel 30 EG-Vertrag dar, da sie auch für den Fall Anwendung fänden, daß ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats Bücher in Frankreich kaufen wolle und dabei an die vom französischen Verleger festgelegten Preise gebunden sei, was eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstelle.

13.
    Die österreichische und die französische Regierung verweisen zunächst darauf, daß die Vorlagefrage in der gestellten Form unzulässig sei, da sie auf eine Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht hinauslaufe. Sollte der Gerichtshof die Beantwortung jedoch für erforderlich halten, sei die Frage umzuformulieren. Nach Auffassung der österreichischen Regierung sei sie auch deshalb umzuformulieren, weil gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen angesprochen seien, deren Auslegung keine Auswirkungen auf das Ausgangsverfahren haben könnten, da sie nicht direkt anwendbar seien, weshalb sich die Parteien nicht auf sie berufen könnten. Die Kommission trägt vor, die Vorlagefrage sei dahin gehend auszulegen, daß sie sich im wesentlichen auf Artikel 85 EG-Vertrag in Verbindung mit den genannten Vorschriften beziehe. Eine Prüfung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag sei hingegen nicht erforderlich, da das vorlegende Gericht davon ausgehe, daß diese nicht der Anwendung der französischen Bestimmungen entgegenstünden.

14.
    Die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, die französische, die griechische, die österreichische und die norwegische Regierung sowie die Kommission verweisen auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofes zur französischen Buchpreisbindung und vertreten im wesentlichen die Auffassung, daß die durch die Einheitliche Europäische Akte und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Union eingeführten Bestimmungen nicht zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung führen könnten. Der Begriff des Binnenmarktes sei kein vollkommen neues Konzept. Allein die Tatsache, daß dieser Begriff positives Recht geworden sei, bedeute nicht, daß die vom Gerichtshof vor Einführung dieses Begriffes ausgeführten Grundsätze revidiert werden müßten. Der wesentliche Aspekt, um beurteilen zu können, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung nationaler Systeme bezüglich der Buchpreisbindung entgegenstehe, bestehe darin, zu prüfen, ob auf Gemeinschaftsebene eine Wettbewerbspolitik bestehe, die sich auf rein nationale Systeme oder Praktiken beziehe, die die Preisbindung beiBüchern zum Gegenstand hätten. Eine solche Wettbewerbspolitik auf Ebene der Gemeinschaft bestehe jedoch auch zum heutigen Zeitpunkt nicht.

15.
    Die französische und die norwegische Regierung weisen darüber hinaus darauf hin, daß durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Union wichtige Änderungen für den Bereich der Kultur eingeführt worden seien. Die Gemeinschaft verfüge danach, insbesondere im Rahmen von Artikel 128 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 151 EG), über eine geeignete Rechtsgrundlage für Gemeinschaftsaktionen. Wenn die Gemeinschaft nach Artikel 128 Absatz 4 EG-Vertrag den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen des Vertrages Rechnung zu tragen habe, bedeute dies, so die französische Regierung, daß die französischen Bestimmungen über die Buchpreisbindung nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stünden.

VI - Stellungnahme

1.    Zulässigkeit

16.
    Das vorlegende Gericht hat seine Frage an den Gerichtshof als Frage über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht formuliert. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 177 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) kann der Gerichtshof jedoch lediglich mit Fragen betreffend die Auslegung und Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts befaßt werden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes erstreckt sich im Rahmen dieses Verfahrens nicht auf die Überprüfung von Bestimmungen des nationalen Rechts. Hierüber haben die nationalen Gerichte selbst im Licht der Vorabentscheidung zu befinden.

17.
    Dem Vorabentscheidungsersuchen läßt sich jedoch entnehmen, daß das vorlegende Gericht mit seiner Frage im wesentlichen wissen möchte, ob die Vorschriften des EG-Vertrags über den Binnenmarkt dahin gehend auszulegen sind, daß ein Mitgliedstaat Vorschriften erlassen oder beibehalten darf, die eine Festlegung des Buchpreises zum Inhalt haben. Das Gericht ersucht den Gerichtshof also um Kriterien für die Auslegung der einschlägigen Vorschriften, um selbst die Vereinbarkeit des entscheidungserheblichen nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht beurteilen zu können. Die dahin gehend ausgelegte und umformulierte Vorlagefrage ist somit zulässig.

18.
    Die österreichische Regierung vertritt zudem die Meinung, das Vorabentscheidungsverfahren sei für das Ausgangsverfahren irrelevant. Da sich keine der Parteien des Ausgangsverfahrens auf die vom vorlegenden Gericht genannten Bestimmungen berufen könne, und auch das vorlegende Gericht nicht verpflichtet sei, entgegenstehende nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, sei das Vorabentscheidungsersuchen wegen mangelnder Relevanz der vorgelegten Frage für das Ausgangsverfahren zurückzuweisen.

19.
    Insoweit ist aber daran zu erinnern, daß es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes allein Sache des mit dem Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichts ist, die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen für den Rechtsstreit zu beurteilen. Dies folgt aus Artikel 177 EG-Vertrag, der die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof schafft. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Das Ersuchen um Vorabentscheidung kann daher nur dann zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich ist, daß kein Zusammenhang zwischen der vom Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht, daß die Frage also nicht objektiv erforderlich ist. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die Beantwortung der Vorlagefrage darauf hinausliefe, daß der Gerichtshof ein Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen erstellen sollte.

20.
    Selbst wenn im Ausgangsverfahren die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der vom vorlegenden Gericht genannten Vorschriften fraglich sein könnte, ist ein Zusammenhang der Binnenmarktvorschriften mit dem nationalen Buchpreisbindungsgesetz offensichtlich. Es handelt sich hier nicht um allgemeine oder hypothetische Fragen. Ob das Gemeinschaftsrecht tatsächlich der Anwendung des französischen Gesetzes entgegensteht, ist eine Frage der Begründetheitsprüfung. Das Vorabentscheidungsersuchen ist somit zulässig.

2.    Begründetheit

21.
    Gemäß Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag und unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Es ist fraglich, ob dieser Vorschrift eine selbständige Rechtswirkung zukommt, oder ob sie zu allgemein gehalten ist, so daß sie nur in Verbindung mit anderen Vertragsbestimmungen Bindungswirkung entfalten kann. Zwar sind Fälle denkbar, in denen keine weiteren Elemente des Gemeinschaftsrechts hinzukommen müssen, weil sich die Pflichten allein aus der Gemeinschaftstreue ergeben können. Dies gilt für das Unterlassen von Maßnahmen, die die Vertragsziele gefährden könnten, noch verstärkt. Allerdings müssen diese Ziele selbst hinreichend konkretisiert sein. Für den nur allgemein gehaltenen Begriff des Binnenmarktes trifft dies sicher nicht zu.

a)    Zu den Artikeln 3, 3a und 7a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 EG, Artikel 4 EG und 14 EG)

22.
    Die zur Beantwortung der Vorlagefrage auszulegenden Artikel 3, 3a und 7a EG-Vertrag beziehen sich auf die Einführung des Begriffes Binnenmarkt sowie auf dessen Beschaffenheit. Entscheidend ist im vorliegenden Fall also, den Inhalt diesesBegriffes zu ermitteln. Hierzu ist er zunächst in seinen historischen und systematischen Kontext zu stellen.

23.
    Der ursprüngliche EWG-Vertrag beinhaltete, wie auch der Vertrag in der jetzigen Fassung, den Begriff des Gemeinsamen Marktes, ohne jedoch wie heute auch den Binnenmarkt zu erwähnen. Dieser Begriff wurde durch die Präambel und Artikel 13 der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986 in den damaligen EWG-Vertrag eingefügt. Die Einheitliche Europäische Akte gab der Gemeinschaft das Ziel auf, den Binnenmarkt zu verwirklichen und sah zu diesem Zweck eine Anzahl weiterer Änderungen vor. Der am 1. Januar 1993 in Kraft getretene Vertrag über die Europäische Union hat die integrierende Funktion der Verwirklichung des Binnenmarktes - wörtlich: Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen - bestätigt und ihn als Ziel der Europäischen Union aufgenommen (Artikel B, erster Gedankenstrich EUV(6)). Die Errichtung des Binnenmarktes diente dem Ziel, die Schranken zu beseitigen, die die nationalen Mitgliedstaaten voneinander trennten, damit die nationalen Binnenmärkte zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammenwachsen konnten. Damit wurden wesentliche Elemente der Errichtung des Gemeinsamen Marktes, die der Gemeinschaft bereits durch Artikel 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 2 EG) aufgegeben waren, inhaltlich präzisiert.

24.
    Der Begriff des Binnenmarktes ist daher untrennbar mit dem des Gemeinsamen Marktes verbunden, aus dem er hervorgegangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes(7) zum ursprünglichen Vertrag gehört die Errichtung des Gemeinsamen Marktes zu den Zielen der Gemeinschaft. Der Gerichtshof umschreibt ihn als Wirtschaftsraum mit binnenmarktähnlichen Strukturen. Durch seine Errichtung sollen alle Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf die Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen, beseitigt werden.

25.
    Für den vorliegenden Fall kommt es nun entscheidend darauf an, ob es sich bei der Schaffung des Binnenmarktes um ein Vertragsziel handelt, das nur in Verbindung mit anderen Vertragsbestimmungen, wie z. B. denjenigen über den freien Warenverkehr (Artikel 30 ff. EG-Vertrag) bzw. über den Wettbewerb (Artikel 85 f. EG-Vertrag) Wirkung entfaltet, oder ob es sich um eine eigenständige Festlegung handelt, die autonome Rechtsverpflichtungen begründet, ohne daß dazu weitere Maßnahmen zur Zielverwirklichung durch die Mitgliedstaaten erforderlich wären. Handelt es sich lediglich um ein Vertragsziel, so wäre es zum einen ein Auftrag, zu dessen Verwirklichung der Erlaß geeigneter Vorschriften nötig wäre.Zum anderen würde dies bedeuten, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die genannten Vorschriften, die sich auf den Binnenmarkt beziehen, nicht separat, sondern nur in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Vorschriften des Vertrages zu lesen wären bzw. Bindungswirkungen entfalten und Verpflichtungen auferlegen könnten.

26.
    Der Wortlaut der Vorschriften spricht dafür, den Binnenmarkt ebenso wie den Begriff des Gemeinsamen Marktes als bloßes Vertragsziel anzusehen, das durch entsprechende Vertragsbestimmungen konkretisiert werden muß.

27.
    Gemäß den Artikeln 3 und 3a EG-Vertrag umfaßt die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrages und der darin vorgesehenen Zeitfolge die Einführung einer Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, die auf dem Binnenmarkt beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Der Gerichtshof hat hierzu in seinem Urteil in der Rechtssache Alsthom Atlantique(8) entschieden, daß die in Artikel 3 Buchstabe f EWG-Vertrag(9) „... vorgesehene Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt, ein in mehreren anderen Wettbewerbsbestimmungen konkretisiertes Ziel ist ...“. Zu diesen konkretisierenden Bestimmungen gehört insbesondere auch Artikel 85 EG-Vertrag, der Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen verbietet, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft bezwecken oder bewirken.

28.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bestimmt Artikel 3 EG-Vertrag „... die Gebiete und die Ziele, auf die sich die Tätigkeit der Gemeinschaft erstreckt, und enthält damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinsamen Marktes, die in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Kapiteln des EG-Vertrags Anwendung finden ...“(10). So gehört auch Artikel 3 Buchstabe f EWG-Vertrag(11) zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinsamen Marktes, die in Verbindung mit den jeweiligen konkretisierenden Kapiteln des EWG-Vertrags Anwendung finden.

29.
    Zwar definiert Artikel 7a Absatz 2 EG-Vertrag insoweit den Binnenmarkt als einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, aber der genannte Artikel fügt ausdrücklich hinzu: „gemäß den Bestimmungen des Vertrages“. Durch Artikel7a ist also der Begriff des Binnenmarktes zwar positives Recht geworden, er bedarf jedoch zur verbindlichen Rechtswirkung der konkreten Ausgestaltung durch andere Bestimmungen des Vertrages. Dies kann man auch aus der Formulierung „gewährleistet“ ableiten, denn es heißt nicht, er „ist“ ein Raum des freien Verkehrs. Zur Gewährleistung gehören jedoch schon begrifflich besondere weitere zu treffende Maßnahmen.

30.
    Gemäß Artikel 7a Absatz 1 EG-Vertrag trifft die Gemeinschaft die erforderlichen Maßnahmen, um bis zum 31. Dezember 1992 den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen. Die Festsetzung dieses Termins bringt jedoch keine automatische Wirkung mit sich.(12) Daher können auch allein aus diesem Umstand keine über das Vertragsziel hinausgehenden Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten entstehen.

31.
    Verwiesen sei auch auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Wijsenbeek(13). Zwar betraf diese Rechtssache die Freizügigkeit von Personen, die sich - vor der Integration des „Schengen-acquis“ in das Recht der Gemeinschaft bzw. der Union - auf den unkontrollierten Grenzübertritt als Folge des Binnenmarktes beriefen. Das Gericht führte dazu in Randnummer 40 aus: „Dieser Artikel [gemeint war Artikel 7a] kann nicht dahin ausgelegt werden, daß aus dem Ablauf der genannten Frist automatisch eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft folgt, wenn der Rat ... keine entsprechenden Maßnahmen erlassen hat ...“ Wenn der Binnenmarkt also allein keine unmittelbar wirksamen Rechte der Unionsbürger schaffen kann, können aus ihm allein auch keine unmittelbar wirksamen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten abgeleitet werden.

32.
    Dementsprechend hat der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Frankreich/Kommission(14) festgestellt, daß der Binnenmarkt durch Maßnahmen verwirklicht wird, die die Gemeinschaft gemäß diesem Artikel und den anderen in ihm genannten Vorschriften trifft. Auch in dem Gutachten 1/91(15) qualifiziert der Gerichtshof die Inhalte der Artikel 2, 8a (nach Änderung jetzt Artikel 18 EG) und 102a EG-Vertrag (jetzt Artikel 98 EG) ausdrücklich als Ziele, zu deren Erreichung Freihandel und Wettbewerb geeignete Mittel sind.

33.
    Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofes zur französischen Buchpreisbindung bestätigt diese Überlegungen gleichermaßen. Nach mehrerenEntscheidungen des Gerichtshofes, die sich auf dieses Gesetz bezogen, wurden diejenigen Teile angepaßt, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, insbesondere im Hinblick auf Artikel 30 EWG-Vertrag, standen. Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen die fallbetroffene Regelung im Lichte von u. a. Artikel 3 Buchstabe f EWG-Vertrag(16) und anderen Bestimmungen des Vertrages untersucht. Er kam jeweils zu dem Ergebnis, daß die streitgegenständliche Buchpreisregelung in der zuletzt geltenden Fassung nach dem Gemeinschaftsrecht nicht zu beanstanden war. Er hat ausdrücklich festgehalten, daß in diesen Fällen weder Artikel 7 EWG-Vertrag noch eine andere Bestimmung oder ein anderer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts auf eine Ungleichbehandlung im Rahmen einer Regelung über die Festsetzung des Endverkaufspreises der Bücher durch den Verleger oder Importeur eines Buches Anwendung findet. Wie oben ausgeführt, ändert auch die Einfügung des Begriffes „Binnenmarkt“ nichts an dieser Betrachtungsweise.

34.
    Aufgrund der vorstehenden Überlegungen ist somit festzuhalten, daß es sich bei den Vorschriften, die den Binnenmarkt betreffen, also den Artikeln 3, 3a und 7a Absatz 2 EG-Vertrag, lediglich um Vertragsziele handelt, die erst durch Handlungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten oder durch die jeweils anwendbaren Vorschriften des Vertrages konkretisiert werden und daher nur in Verbindung mit diesen Bestimmungen unmittelbare Rechtswirkung entfalten.

b)    Artikel 5 und 85 EG-Vertrag

35.
    Es ist darauf hinzuweisen, daß für den vorliegenden Fall nichts vorgetragen worden ist, das auf nach Artikel 85 EG-Vertrag verbotene Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen den Verlegern oder den Einzelhändlern zur Festlegung der Endverkaufspreise hindeuten würde. Im folgenden braucht daher nur kurz auf die Prüfung der Artikel 5 und 85 EG-Vertrag eingegangen zu werden.

36.
    In dem schon erwähnten ersten Urteil zur französischen Buchpreisbindung in der Rechtssache Leclerc/Au blé vert(17) hat der Gerichtshof ausgeführt, daß diese Regelungen nicht darauf gerichtet sind, den Abschluß von Vereinbarungen zwischen Verlegern und Einzelhändlern oder andere der in Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag genannten Verhaltensweisen vorzuschreiben, sondern die Verleger oder Importeure verpflichtet, einseitig die Endverkaufspreise festzusetzen. Der Gerichtshof ist daher der Frage nachgegangen, „ob solche nationalen Rechtsvorschriften, die nach Artikel 85 Absatz 1 verbotene Verhaltensweisen von Unternehmen dadurch überflüssig machen, daß sie den Verlegern oder Importeuren von Büchern die Verantwortung dafür übertragen, die für die Einzelhandelsstufe verbindlichen Preise frei festzusetzen, die die praktischeWirksamkeit des Artikels 85 beeinträchtigen und daher Artikel 5 Absatz 2 EWG-Vertrag zuwiderlaufen“.(18)

37.
    Zum damaligen Zeitpunkt bestand - wie heute - in bezug auf rein nationale Systeme oder Praktiken im Buchsektor keine Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft, welche die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpflichtung, Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten, zu respektieren hätten. Der Gerichtshof betrachtete daher die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel 5 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f(19) und 85 EWG-Vertrag als nicht hinreichend bestimmt, um ihnen den Erlaß von Rechtsvorschriften über den Wettbewerb bei den Endverkaufspreisen von Büchern zu verbieten.

38.
    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes(20) dürfen die Mitgliedstaaten jedoch aufgrund von Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 85 EG-Vertrag ebenfalls keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten. Nach der Rechtsprechung wäre ein solcher Fall dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstoßende Kartellabsprachen vorschreibt, erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt, oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt.

39.
    Zwar überträgt das französische Gesetz betreffend die Buchpreisbindung den Verlegern die Aufgabe, diejenigen Preise für die Bücher festzulegen, die der Einzelhandel vom Endverbraucher verlangen kann und greift somit in eine wirtschaftliche Entscheidung ein. Wie aber bereits ausgeführt, ist weder dem Vorlagebeschluß noch den Ausführungen der Parteien zu entnehmen, daß Kartellabsprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen der Verleger oder Einzelhändler hinsichtlich der Preisfestsetzung vorliegen. Insoweit kann kein kausaler Zusammenhang zwischen der gesetzlichen Regelung und den Verhaltensweisen der betreffenden Unternehmen, der zu einer Anwendbarkeit von Artikel 85 Absatz 1 führen würde, festgestellt werden.

40.
    Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 3 Buchstabe g und Artikel 85 EG-Vertrag stehen daher einer nationalen gesetzlichen Regelung, die die Festlegung des Endverkaufspreises für Bücher dem Verleger auferlegt, nichtentgegen, da zwischen der staatlichen Maßnahme und den letztendlich getroffenen unternehmerischen Entscheidungen keine hinreichende Verbindung besteht.

c)    Zur Wettbewerbspolitik

41.
    Auch auf diesen Punkt braucht nicht ausführlicher eingegangen zu werden, da hinsichtlich rein nationaler Systeme zur Festsetzung der Buchpreise keine gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik besteht, welche die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpflichtung, Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten, zu respektieren hätten. In diesem Zusammenhang ist auch Artikel 128 Absatz 4 EG-Vertrag zu nennen, wonach die Gemeinschaft den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit, also auch bei der Ausgestaltung ihrer Wettbewerbstätigkeit, Rechnung zu tragen hat.

42.
    Seit Erlaß des Urteils in der Rechtssache Leclerc/Au blé vert(21) ist die Kommission in drei Fällen gegen einzelne Mitgliedstaaten in bezug auf nationale Vorschriften über die Buchpreisbindung vorgegangen.(22) In allen diesen drei Fällen hat die Kommission die grenzüberschreitenden Auswirkungen der jeweiligen Buchpreisbindungssysteme untersucht und im wesentlichen beanstandet, daß durch die diesbezüglichen Vorschriften sowohl die Einfuhren als auch die Ausfuhren von Büchern behindert würden und somit der innergemeinschaftliche Handel beeinträchtigt werde.

43.
    Im vorliegenden Fall enthalten weder der Vorlagebeschluß noch die Stellungnahmen der Beteiligten Angaben, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf spürbare Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel geschlossen werden könnte.

44.
    Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung hat, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu festigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert.(23) Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen ist geeignet, „... den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver, rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß sie den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell in einem derErreichung der Ziele des einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinn beeinflussen kann ...“(24).

45.
    Grundsätzlich ist die Beantwortung der Frage, ob der Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfüllt ist, von komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen abhängig, die das nationale Gericht gegebenenfalls anhand der in der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Kriterien vorzunehmen hat.

46.
    Im vorliegenden Fall ist aber davon auszugehen, daß die französischen Regeln betreffend die Buchpreisbindung in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu beeinträchtigen. Dies ergibt sich mittelbar auch daraus, daß Bücher, die in einer bestimmten Sprache verfaßt sind, nicht unbedingt in großer Menge im grenzüberschreitenden Handel geführt werden. Der Erlaß der Regeln zur Buchpreisbindung stellt daher auch keinen Verstoß gegen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten dar, Maßnahmen zu unterlassen, die die Vertragsziele gefährden könnten, da insbesondere auch keine gemeinschaftliche diesbezügliche Wettbewerbspolitik vorliegt.

d)    Zur Wirtschaftspolitik und zum „Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ - Artikel 3a, 102a und 103 Absätze 3 und 4 EG-Vertrag (jetzt Artikel 99 EG)

47.
    Der Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb findet sich in den Artikeln 3a Absätze 1 und 2, 102a und 105 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 105 EG) und steht im Zusammenhang mit Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungspolitik. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, der diese Vorschriften eingeführt hat, sieht diesen Grundsatz also eher im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungspolitik der Gemeinschaft denn als Element zur Bestimmung des Begriffes „Binnenmarkt“. Nach Artikel 102a richten die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik so aus, „... daß sie im Rahmen der in Artikel 103 Absatz 2 genannten Grundzüge zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 beitragen“. Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird, und halten sich dabei an die in Artikel 3a genannten Grundsätze.

48.
    Der Begriff der Wirtschaftspolitik, wie er in Artikel 102a verwendet wird, ist im Vertrag selbst nicht näher bestimmt. Die vom Rat nach Artikel 103 Absatz 2 erstellten Entwürfe für die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft umfassen auch mikro-ökonomische Vorstellungen zurRegelung einzelner Märkte. So enthält z. B. die Empfehlung des Rates vom 7. Juli 1997 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft(25) in Kapitel V Stellungnahmen zur verbesserten Funktionsweise der Güter- und Dienstleistungsmärkte. Demzufolge kommt es - um die Wettbewerbsfähigkeit, die Beschäftigung und den Lebensstandard der Gemeinschaft in einer Welt des Freihandels und des beständigen technologischen Wandels zu erhalten und zu fördern - im wesentlichen darauf an, daß sich die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft entsprechend den Grundzügen der Wirtschaftspolitik verstärkt um eine Modernisierung ihrer Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte bemühen. Im Rahmen der Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung bei gleichzeitiger Preisstabilität ist es wesentlich, daß die Funktionsweise der Güter- und Dienstleistungsmärkte verbessert, der Wettbewerb angeregt wird, Erfindungen und Innovationen gefördert werden und für eine effektive Preisbildung gesorgt wird.

49.
    Preisbindungssysteme wie das vorliegende beinhalten durchaus Elemente, die gegen einen effizienten Einsatz der Ressourcen sprechen. Dennoch handelt es sich bei diesen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen lediglich um Vertragsziele und Politiken der Mitgliedstaaten bzw. der Gemeinschaft, ohne jedoch den Mitgliedstaaten klare und hinreichend bestimmte Verpflichtungen hinsichtlich ihres Verhaltens vorzuschreiben. Es handelt sich vielmehr entsprechend den in Artikel 2 und 3 EG-Vertrag genannten Zielen um Grundsätze, die für sich alleine gesehen noch keine rechtliche Bindungswirkung entfalten, sondern vielmehr im Zusammenhang mit den sie konkretisierenden übrigen Gemeinschaftsrechtsbestimmungen zu sehen sind.

50.
    Entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes können sich Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten nur aus solchen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben, die hinreichend bestimmt, präzise und klar formuliert sind. Bei den genannten allgemeinen Grundsätzen der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb und der Wirtschaftspolitik ist jedoch gerade dies nicht der Fall.

51.
    Dem vorlegenden Gericht ist daher auf seine Frage zu antworten, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die von ihm genannten Rechtsvorschriften des EG-Vertrags einer Anwendung der französischen Vorschriften über die Buchpreisbindung nicht entgegenstehen.

VII - Kosten

52.
    Die Auslagen der französischen, der österreichischen, der griechischen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teildes bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

VIII - Ergebnis

53.
    Aufgrund der vorstehenden Ausführungen wird vorgeschlagen, die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Die Artikel 5 Absatz 2 (jetzt Artikel 10 Absatz 2 EG) in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstaben c und g (nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstaben c und g EG) und 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) sowie die Artikel 3a (jetzt Artikel 4 EG), 7a Absatz 2 (nach Änderung jetzt Artikel 14 Absatz 2 EG), 102a und 103 Absätze 3 und 4 EG-Vertrag (jetzt Artikel 98 EG und 99 EG) sind dahin gehend auszulegen, daß sie beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften verbieten, nach denen der Endverkaufspreis von Büchern vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden muß und für jeden Einzelhändler verbindlich ist, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags stehen.


1: Originalsprache: Deutsch.


2: -     Artikel 3 Buchstaben c und g sind nicht geändert worden; die anderen Artikel lauten jetzt nach Änderung durch den Amsterdamer Vertrag und nach der Konsolidierung: Artikel 4, 10, 14 Absatz 2, 98 und 99 Absätze 3 und 4.


3: -     Siehe hierzu die Urteile vom 10. Januar 1985 in der Rechtssache 229/83 (Leclerc/Au blé vert, Slg. 1985, 1), vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 299/83 (Leclerc/Syndicat des libraires de Loire-Océan, Slg. 1985, 2515), vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 95/84 (Boriello, Slg. 1986, 2253) und vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 254/87 (Syndicat des libraires de Normandie, Slg. 1988, 4457).


4: -     JORF vom 11. August 1981.


5: -     Urteil des Tribunal de commerce Grenoble vom 12. Dezember 1997.


6: -     Nach Änderung jetzt Artikel 2, erster Gedankenstrich EU.


7: -     Siehe u. a. Urteile vom 9. Februar 1982 in der Rechtssache 270/80 (Polydor, Slg. 1982, 329, Randnrn. 16 bis 18) und vom 17. Mai 1994 in der Rechtssache C-41/93 (Frankreich/Kommission, Slg. 1994, I-1829, Randnr. 19, mit weiteren Nachweisen).


8: -     Urteil vom 24. Januar 1991 in der Rechtssache C-339/89 (Slg. 1991, I-107).


9: -     Jetzt Artikel 3 Buchstabe g EG.


10: -     Siehe u. a. Urteil vom 14. Juli 1998 in der Rechtssache C-341/95 (Bettati, Slg. 1998, I-4355, Randnr. 75, mit weiteren Nachweisen).


11: -     Siehe Fußnote 8.


12: -     Siehe die der Schlußakte der Einheitlichen Europäischen Akte beigefügte Erklärung zu Artikel 7a.


13: -     Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-378/97 (Slg. 1999,

    I-6207).


14: -     Rechtssache C-41/93 (zitiert in Fußnote 6).


15: -     Gutachten vom 14. Dezember 1991 (Slg. 1991, I-6079, Randnr. 50).


16: -     Siehe Fußnote 8.


17: -     Zitiert in Fußnote 2.


18: -     Zitiert in Fußnote 2, Randnr. 15.


19: -     Siehe Fußnote 8.


20: -    Urteile vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-2/91 (Meng, Slg. 1993, I-5751), in der Rechtssache C-245/91 (Ohra, Slg. 1993, I-5851) und in der Rechtssache C-185/91 (Reiff, Slg. 1993, I-5801).


21: -     Zitiert in Fußnote 2.


22: -     Es handelt sich dabei um die Entscheidungen über das britische Net Book Agreement, die niederländischen Fälle Handelsreglement und Reiber/KvB sowie die Deutschland und Österreich betreffenden Fälle Sammelrevers und Einzelreverse.


23: -     Urteil vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-35/96 (Kommission/Italien, Slg. 1998, I-3851, Randnr. 48, mit weiteren Nachweisen).


24: -     Siehe z. B. Urteil vom 21. Januar 1999 in den verbundenen Rechtssachen

    C-215/96 und C-216/96 (Bagnasco u. a., Slg. 1999, I-135, Randnr. 47, mit weiteren Nachweisen).


25: -     ABl. L 209, S. 12.