Language of document : ECLI:EU:C:2000:517

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIEGBERT ALBER

vom 28. September 2000 (1)

Rechtssache C-85/99

1. Vincent Offermanns

2. Esther Offermanns

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs, Wien)

„Arbeitnehmer - Familienleistungen - Soziale Vergünstigungen - Unterhaltsvorschüsse - Staatsangehörigkeitserfordernis“

I - Einführung

1.
    In dem vorliegend durch den Obersten Gerichtshof der Republik Österreich eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren geht es um die Frage, ob eine nationale Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, nach der ein unterhaltsberechtigtes Kind, wenn es den Unterhalt von einem unterhaltsverpflichteten Elternteil nicht erhält, einen Unterhaltsvorschuss durch den Staat nur dann verlangen kann, wenn es entweder österreichischer Staatsbürger oder staatenlos ist.

II - Sachverhalt und Verfahren

2.
    Die minderjährigen Antragsteller des Ausgangsverfahrens sowie ihre Eltern sind deutsche Staatsangehörige. Die Familie wohnt seit 1987 in Österreich. Die Ehe der Eltern wurde am 1. Februar 1995 geschieden und der Mutter das alleinige Sorgerecht für die Kinder übertragen. Der Vater verpflichtete sich am 17. Januar 1996 in einem gerichtlichen Vergleich, für jedes der Kinder einen Unterhaltsbetrag von 3 500 ATS monatlich zu bezahlen. Die Kinder wohnen, ebenso wie ihre Eltern, in Österreich.

3.
    Beide Elternteile sind als Selbständige in Österreich tätig. Die Mutter betreibt eine Buchhandlung für Kinderbücher, der Vater ist selbständiger Handelsvertreter für Bauartikel.

4.
    Am 1. September 1998 beantragten die Kinder die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe von je 3 500 ATS monatlich, mit der Begründung, der Vater habe seit Februar 1998 keinen Unterhalt mehr bezahlt. Sie machen hierzu geltend, sie hätten die zwangsweise Durchsetzung des vollstreckbaren Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater versucht, die Vollstreckung sei jedoch fruchtlos geblieben, weil der Unterhaltsschuldner keine Gehaltsforderung gehabt habe.

5.
    Der Antrag wurde vom Erstgericht unter Hinweis auf die deutsche Staatsangehörigkeit der Minderjährigen abgewiesen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, ließ jedoch den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Der zuständige Senat des Obersten Gerichtshofes (im Folgenden: das vorlegende Gericht) hielt eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes für erforderlich.

6.
    Am schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich die österreichische Regierung und die Kommission beteiligt. Die schwedische Regierung ist in der mündlichen Verhandlung aufgetreten. Auf das Vorbringen der Beteiligten wird zurückzukommen sein.

III - Das Vorabentscheidungsersuchen

7.
    Das vorlegende Gericht verweist auf die Motive des österreichischen Gesetzgebers, nach denen der Staat sich mit dem Unterhaltsvorschussgesetz „seiner Jugend“ annehme. Der Gesetzentwurf sei ein „entscheidender Schritt zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder“. In den Gesetzesmaterialien werde das Los von Müttern beklagt, „die, weil sie von ihren Männern geschieden sind, diese sie verlassen haben oder es sich um Mütter von unehelichen Kindern handelt, von denen die Väter nicht viel wissen wollen, allein mit ihren minderjährigen Kindern dastehen“ und denen „neben der schweren Bürde, ihre Kinder aufzuziehen“, auch noch „die Schwierigkeit aufgelastet ist, den Unterhalt für ihre Kinder vom Vater hereinzubringen“. Deshalb solle der Staat anstelle säumiger Unterhaltspflichtiger einspringen, Unterhaltsbeträge vorschussweise auszahlen und die Unterhaltspflichtigen zur Rückerstattung anhalten.

8.
     Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept sei die Vorschussgewährung als Sozialleistung anzusehen, die auf einem materiell-rechtlichen Unterhaltsanspruch nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gegen den jeweils Unterhaltspflichtigen beruhe, gleichviel, ob schon ein Vollstreckungstitel vorliege oder ein solcher aus bestimmten Gründen noch nicht bestehe.

9.
    Vorschüsse, die dem Elternteil ausbezahlt würden, in dessen Haushalt das anspruchsberechtigte Kind betreut werde, hätten aber, wie aus den dargestellten Motiven des Gesetzgebers folge, auch den Zweck, Familienlasten auszugleichen, die - mangels Gewährung von Vorschüssen - allein dem betreuenden Elternteil aufgebürdet würden. Nicht zuletzt deshalb würden die Unterhaltsvorschüsse aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds finanziert. Durch Vorschüsse gelinderte Existenzsorgen sollten jedoch offenkundig auch sicherstellen, dass sich der betreuende Elternteil wegen des verringerten Drucks der Beschaffung der zur Finanzierung des Unterhalts erforderlichen Geldmittel auch mehr der Erziehung seines minderjährigen Kindes widmen könne.

10.
    Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen und des Zwecks von Unterhaltsvorschüssen könne der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, solche Vorschüsse seien als Leistungen der sozialen Sicherheit zu qualifizieren, die in ihrer Ausprägung als Familienleistungen in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71(2) fallen. Einer solchen Schlussfolgerung ließe sich allerdings die Rechtsprechung des Gerichthofes entgegenhalten, dass eine soziale Leistung, die den Lebensunterhalt sicherstellen solle, wohl eine soziale Vergünstigung nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68(3) sei. Es könne aber auch eine gemeinschaftsrechtliche Lösungdahin, dass Unterhaltsvorschüsse nach österreichischem Recht sowohl als Familienleistung im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 als auch als soziale Vergünstigungen nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 einzustufen seien, nicht ausgeschlossen werden.

11.
    Die Eltern der Antragsteller seien aber nicht Arbeitnehmer, sondern Selbständige. Demnach komme eine Erstreckung sozialer Vergünstigungen, die die Verordnung Nr. 1612/68 bloß Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen gewährt, auf die Antragsteller als Kinder von Selbständigen nicht in Betracht. Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) sei demgegenüber eine besondere Ausprägung des Artikels 6 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG), der dem allgemeinen Diskriminierungsverbot als lex specialis vorgehe. Mit Artikel 52 EG-Vertrag unvereinbar seien nicht nur an die Staatsangehörigkeit anknüpfende gesetzliche Diskriminierungen, die sich direkt auf die Ausübung einer Tätigkeit als Selbständige auswirken, sondern auch solche Regelungen, die von der Niederlassung im betreffenden Mitgliedstaat abschrecken könnten, wie etwa Ungleichbehandlungen im Regelungsbereich von Sozialleistungen.

12.
    Schließlich könne das Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach der österreichischen Rechtsordnung, auch wenn es nicht dem Anwendungsbereich der nunmehr im EG-Vertrag verankerten Freiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, zu unterstellen wäre, dennoch in den weiten Schutzbereich des Artikels 6 Absatz 1 EG-Vertrag fallen, der auch auf Materien anzuwenden sei, die bloß „Berührungspunkte mit irgendwelchen Sachverhalten aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt“.

13.
    Das vorlegende Gericht unterbreitet dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung:

1.    Sind Unterhaltsvorschüsse an minderjährige Kinder von Selbständigen nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl 451 in der geltenden Fassung) Familienleistungen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 geänderten Fassung und gilt daher in einem solchen Fall auch Artikel 3 der Verordnung über die Gleichbehandlung?

2.    Im Falle der Verneinung der zu erstens formulierten Frage:

    Werden minderjährige Kinder, die wie ihre in der Republik Österreich selbständig erwerbstätigen Eltern deutsche Staatsangehörige sind, jedoch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Österreich haben und die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz 1985 UVG, BGBl 451 in der geltenden Fassung) beantragen, entgegen Artikel 52 EG-Vertrag bzw. Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag als Familienangehörige dadurch diskriminiert, dass ihnen die Zuerkennung eines solchen Vorschusses unter Berufung auf deren deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 2 Absatz 1 UVG verwehrt wird?

IV - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996(4) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71)

14.
    Die fallrelevanten Vorschriften dieser Verordnung lauten:

Artikel 1 (10) (15)

Begriffsbestimmungen

Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

a) - e) ...

f)    i)    .Familienangehöriger': jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, oder in den Fällen des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe a) und des Artikels 31 in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; ...

g) - t) ...

u)    i)    .Familienleistungen': alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen; ...

v)    ...

Artikel 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

(2) - (3) ...

Artikel 3

Gleichbehandlung

(1)    Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.

...

Artikel 4 (10)

Sachlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) - g) ...

h)    Familienleistungen.

(2) - (3) ...

(4) Diese Verordnung ist weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen noch auf Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte anzuwenden.

Artikel 5 (10)

Erklärungen der Mitgliedstaaten zum Geltungsbereich der Verordnung

Die Mitgliedstaaten geben in Erklärungen, die gemäß Artikel 97 notifiziert und veröffentlicht werden, die Rechtsvorschriften und Systeme, die unter Artikel 4 Absätze 1 und 2 fallen, ... die Mindestleistungen im Sinne des Artikels 50 sowie die Leistungen im Sinne der Artikel 77 und 78 an.“

B - Mitgliedstaatliche Vorschriften

Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl 451 in der geltenden Fassung (im Folgenden: UVG)

15.
    Die unter der Überschrift „Voraussetzungen“ stehenden Bestimmungen des § 2 Absatz 1 erster Satz und § 3 UVG lauten:

„§ 2. (1) Anspruch auf Vorschüsse haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind.

...“

„§ 3. Vorschüsse sind zu gewähren, wenn

1.    für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht und

2.    eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution [...] oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution [...] auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat; dabei sind hereingebrachte Unterhaltsrückstände auf den laufenden Unterhalt anzurechnen.“

16.
    Gemäß § 4 UVG sind Leistungen unter näher beschriebenen Umständen auch dann zu gewähren, wenn die Exekution aussichtslos erscheint oder wenn beispielsweise die Festsetzung des Unterhaltsanspruches überhaupt fehlt.

17.
    Die §§ 30 und 31 UVG sehen vor, dass die bevorschussten Unterhaltsansprüche des Kindes auf die öffentliche Hand übergehen. Soweit der Unterhaltsschuldner keine Zahlungen leistet, werden die Forderungen zwangsweise eingebracht.

V - Zur ersten Frage

Beteiligtenvorbringen

18.
    Die österreichische Regierung geht davon aus, im Rahmen der ersten Frage sei zu prüfen, ob es sich bei der verfahrensgegenständlichen Leistung um eine Familienleistung im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 handele. Dazu führt sie aus, bei der Leistung handele es sich um eine unterhaltsrechtliche Regelung, für welche die Frage der sozialen Hilfsbedürftigkeit nicht maßgeblich sei. Den Unterhaltsvorschüssen im Sinne des UVG lege ein materiell-rechtlicher Anspruch des minderjährigen Kindes gegen den den Unterhalt schuldenden Elternteil zugrunde. Das UVG sehe eine Bevorschussung dieses gesetzlichen Unterhalts vor, unabhängig davon, ob bereits ein Exekutionstitel gegen den Unterhaltspflichtigen vorliege oder aus bestimmten Gründen (noch) nicht bestehe. Ziel der Regelung sei es, auch bei Ausfall des Unterhaltsverpflichteten dem Kind den Erhalt des vollen Unterhalts zu gewährleisten. Zu diesem Zweck würden zwar Leistungen durch die öffentliche Hand erbracht, jedoch handele es sich dabei keinesfalls um Sozialleistungen. Erbringe der Bund die Leistungen, gehe der familienrechtliche Unterhaltsanspruch durch Legalzession auf den Bund über. Der Kindesunterhalt werde also vorfinanziert, wobei der Staat allein bei der Durchsetzung des Anspruches mitwirke. Die Unterhaltsvorschüsse nach dem Unterhaltsvorschussgesetz seien somit keine Familienleistungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71, deren Artikel 3 folglich nicht zur Anwendung komme.

19.
    Die Kommission wirft zunächst die Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf. Sie weist darauf hin, dass die streitgegenständlichen Leistungen nicht gemäß Artikel 5 der Verordnung in den Anwendungsbereich der Verordnung fallend notifiziert worden seien. Das hindere jedoch nicht, sie dennoch als Leistung der sozialen Sicherheit zu betrachen, wenn sie die dafür erforderlichen Merkmale aufwiesen. Die Qualifizierung der Leistung hänge entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes von den grundlegenden Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung. Sie müsse den Empfängern unabhängig von jeder auf Ermessenausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt werden und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken beziehen. Insofern komme der spezifische Sozialleistungszweig der Familienleistungen im vorliegenden Fall in Betracht, da man davon ausgehen könne, dass es sich nicht um eine Leistung mit Sozialhilfecharakter handele.

20.
    Allerdings liege dem UVG ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch zugrunde. Das Ziel der Leistung sei insofern ein anderes als das für Familienleistungen typische Ziel des Ausgleichs von Familienlasten. Die kindbedingte Unterhaltslast werde durch den Unterhaltsvorschuss weder gemindert noch kompensiert. Daher sei die streitige Leistung nicht als Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr.1408/71 zu betrachen, so dass Artikel 3 der Verordnung auch nicht zur Anwendung kommen könne.

21.
    Die schwedische Regierung hat sich in der mündlichen Verhandlung, ohne die Frage im Einzelnen zu prüfen, dahin gehend geäußert, die streitigen Unterhaltsvorschussleistungen seien nicht als Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten.

Würdigung

a)    Zum sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71

22.
    Die erste Frage des Vorabentscheidungsersuchens ist letztlich eine Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung. In Artikel 4 der Verordnung Nr. 1408/71, der den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung definiert, heißt es in Absatz 1, dass diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit gilt, die die nachstehend aufgeführten Leistungsarten betreffen, unter denen in Buchstabe h Familienleistungen erwähnt sind.

Es wird daher zu prüfen sein, ob Leistungen nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussgesetz Familienleistungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 sind.

23.
    Gemäß Artikel 5 der Verordnung geben die Mitgliedstaaten in Erklärungen, die gemäß Artikel 97 notifiziert und veröffentlicht werden, u. a. die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter Artikel 4 Absätze 1 und 2 fallen, weil sie eine dort genannte Leistungsart betreffen. Eine Leistung nach dem UVG ist unstreitig nicht als eine derartige Leistung seitens der österreichischen Behörden bezeichnet worden. Daraus braucht jedoch nicht der Schluss gezogen zu werden, dass das Gesetz deshalb auf keinen Fall in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt.

24.
    Der Gerichtshof hat bereits im Urteil vom 29. November 1977 in der Rechtssache Beerens ausgeführt:

„Wird in den Erklärungen zu Artikel 5 der Verordnung ein Gesetz oder eine innerstaatliche Regelung nicht erwähnt, so ergibt sich daraus nicht ohne Weiteres, daß dieses Gesetz oder diese Regelung nicht unter den Geltungsbereich der Verordnung fällt.“(5)

Denn „nationale Rechtsvorschriften können auch dann in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, wenn sie in der Erklärung eines Mitgliedstaats nicht genanntsind“, wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 27. Januar 1981 in der Rechtssache Vigier(6) bestätigt hat. Eine Mitteilung nationaler Vorschriften gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 hat allein im positiven Sinne Bindungswirkung(7).

25.
    Es ist folglich zu prüfen, ob die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem UVG die Kriterien erfüllt, die sie als eine Leistung der sozialen Sicherheit gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 erscheinen lassen. Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i definiert den Begriff „Familienleistungen“ als „alle Sach- und Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten ... bestimmt sind“.

26.
    Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen sind und solchen, die darunter fallen, im Wesentlichen von den grundlegenden Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird(8). Eine Leistung kann demnach dann als Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Empfängern unabhängig von jeder auf Ermessensausübungen beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht(9).

27.
    Diese Betrachtungsweise wird dadurch verstärkt, dass die Sozialhilfe, für deren Gewährung eine Bedürftigkeitsprüfung Voraussetzung ist, gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.

28.
    Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG werden unterstreitig aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt, ohne das Dazwischentreten einer Ermessensentscheidung bzw. einer Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit. BeiVorliegen der Anspruchsvoraussetzung des § 3 UVG besteht ein Anspruch auf die Vorschusszahlungen. Fraglich ist jedoch, ob die Unterhaltsvorschüsse nach Zweck und Voraussetzung ihrer Gewährung als eine sich auf das Risiko „Familienleistungen“(10) beziehende Leistung betrachtet werden kann.

29.
    Die wörtliche Auslegung des Begriffes „Familienlasten“ umfasst den Kindesunterhalt. Bei wirtschaftlicher Betrachtungweise gehört es zu den originären Aufgaben elterlicher Sorge, den Kindesunterhalt sicherzustellen.

30.
    Auf einer abstrakten Ebene ließe sich die elterliche Sorge beschreiben als die persönliche Fürsorge für das Kind in Form vielfältiger Zuwendungen und der Sicherstellung der materiellen Bedürfnisse, die sich auch in Form finanzieller Aufwendungen beschreiben lässt.

31.
    Bei einem klassischen Familienmodell, bei dem Eltern und Kinder unter einem Dach leben, ist es nicht immer eindeutig, welches Elternteil für welche Komponente in welchem Ausmaß einsteht. Anders verhält es sich bei Familiensituationen, wie sie der streitgegenständlichen Regelung zugrunde liegen, in denen die Eltern des Kindes getrennt leben und einem Elternteil das Sorgerecht übertragen worden ist. In einem solchen Fall übernimmt der sorgeberechtigte Elternteil weitgehend die persönliche Fürsorge für das Kind allein und der andere unterhaltspflichtige Elternteil trägt im Wesentlichen durch die Gewährung von Unterhaltszahlungen zum Kindesunterhalt bei.

32.
    Es ist also davon auszugehen, dass der finanzielle Kindesunterhalt als eine ursprüngliche Familienlast zu betrachten ist. Der finanzielle Kindesunterhalt ist auch kraft Natur der Sache eine zeitgebundene Zahlung. Das drückt sich in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durch die besonderen Bedingungen der gerichtlichen Durchsetzung ausstehender Unterhaltsforderungen aus, die von den allgemeinen Regeln über die Beitreibung von Geldforderungen regelmäßig abweichen.(11) Dieses Erscheinungsbild kann damit zusammenhängen, dass Unterhaltszahlungen systematisch als Sachleistungssurrogat zu betrachten sind. Auf diese Einordnung kommt es hier zwar nicht an. Festzuhalten ist jedoch, dass ein Unterhaltstitel allein nicht geeignet ist, den Unterhalt tatsächlich sicherzustellen. Ein staatlich finanzierter Unterhaltsvorschuss bei Ausbleiben der Unterhaltszahlungen des unterhaltspflichtigen Elternteils ist daher sicher geeignet, Familienlasten auszugleichen.

33.
    Die staatliche Unterstützung, die das unterhaltsberechtigte Kind unmittelbar und der sorgeberechtigte Elternteil mittelbar durch die Unterhaltsvorschussleistungen erfahren, vollzieht sich auf mehreren Ebenen. Zum einen ist da der verfahrensrechtliche Aspekt der Vollstreckung aus einemUnterhaltstitel bzw. gegebenenfalls sogar erst der Beibringung eines solchen Titels. Dieser verfahrensrechtliche Aspekt sollte nicht unterschätzt werden, kann es doch ein kräfte- und zeitaufwendiges Unterfangen darstellen, von einem zahlungsunwilligen bzw. zahlungunfähigen Unterhaltsschuldner die ausstehenden Zahlungen beizutreiben. Den vom vorlegenden Gericht mitgeteilten Materialien ist zu entnehmen, dass es ausdrücklich dem Willen des Gesetzgebers entspricht, die in der Regel sorgeberechtigten Mütter bei der Beitreibung des Unterhalts für ihre Kinder durch die Regelung zu unterstützen. Eine derartige staatliche Hilfeleistung materieller Art könnte möglicherweise sogar als Sachleistung zu betrachten sein.

34.
    Zum anderen wohnt den Unterhaltsvorschussleistungen auch ein nicht unbedeutender wirtschaftlicher Aspekt inne. Die Vorschusszahlung bewirkt die rechtzeitige Verfügbarkeit finanzieller Mittel dann, wenn sie gebraucht werden. Im Übrigen trägt der Staat das Insolvenzrisiko. Es ist gerichtsbekannt, dass über die Hälfte der Vorschusszahlungen nicht bei dem eigentlichen Unterhaltsschuldner beigetrieben werden können(12). Es wäre daher verkürzt, die Regelungen über den Unterhaltsvorschuss als reine verfahrensrechtliche Hilfestellung abzutun oder auf das vorübergehende Element der Vorfinanzierung fälliger Unterhaltszahlungen abzustellen.

35.
    Bei der Beschreibung von Inhalt und Zweck von Familienleistungen entnimmt der Gerichtshof den einschlägigen Rechtsvorschriften, dass sie dazu dienen sollen, „Arbeitnehmer mit Familienlasten dadurch sozial zu unterstützen, dass sie die Allgemeinheit an diesen Lasten beteiligt“(13).

36.
    Während die Gewährung von Kindesunterhalt - wie im Vorigen bereits beschrieben - zu den ursprünglichen Familienlasten gehört, ist die Beitreibung fälligen Unterhalts nicht unbedingt eine typische Familienlast, sondern eher eine für die besondere Familiensituation getrennt lebender Eltern typische Belastung. Durch das Eingreifen der Vorschriften über den Unterhaltsvorschuss beteiligt sich der Staat und damit die Allgemeinheit zum einen durch die verfahrenmäßige Beitreibung des Unterhalts und zum anderen durch die Sicherstellung der Gewährung des Unterhalts an den Lasten. Für beide Aspekte werden öffentliche Mittel eingesetzt, so dass man durchaus den Schluss ziehen kann, dass die Allgemeinheit an den durch die spezifische Familiensituation entstehenden Lasten beteiligt wird. Dem könnte man hinzufügen, dass die in dieser besonderen Familiensituation lebenden Kinder der besonderen Fürsorge der Allgemeinheit bedürfen, was der Gesetzgeber in seiner gesetzgeberischen Entscheidung in der Form des UVG realisiert hat.

37.
    Die Kommission wendet nun ein, die Vorschusszahlungen dienten der Sicherstellung des Lebensunterhalts minderjähriger Kinder, minderten oder kompensierten jedoch nicht die kindbedingte Unterhaltslast, die unverändert in gleicher Höhe weiter bestehe. Bei abstrakter Betrachtung der Unterhaltspflicht mag diese Behauptung zutreffen. Eine konkrete Betrachtung wirft hingegen erhebliche Zweifel an deren Berechtigung auf.

38.
    Die durch den allein sorgeberechtigten Elternteil, mit dem das Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, aufzubringende Unterhaltslast wird bei Ausbleiben der Unterhaltszahlungen des unterhaltspflichtigen Elternteils wesentlich erhöht. Die Vorschusszahlungen mindern und kompensieren diesen Teil zu der Zeit und an dem Ort, an dem es mangelt. Darüber hinaus trägt der Staat das Insolvenzrisiko, so dass in den Fällen nicht eintreibbarer Unterhaltsverpflichtungen sogar von einer Nettobeteiligung des Staates an den Familienlasten die Rede sein kann.

39.
    Der Sinn und Zweck der Unterhaltsvorschussregelung ist folglich der Ausgleich von Familienlasten, so wie sie im Vorigen definiert worden sind. Diese Betrachtungsweise wird dadurch untermauert, dass die Unterhaltsvorschusszahlungen aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds finanziert werden. Zwar haben die Beteiligten auf das Urteil in der Rechtssache Hughes hingewiesen und folgende Formulierung des Urteils zitiert: „Die Art der Finanzierung einer Leistung ist nämlich für ihre Qualifizierung als Leistung der sozialen Sicherheit ohne Belang ...“(14) Dieses Argument hat der Gerichtshof jedoch dem in dieser Rechtssache vorgebrachten Einwand entgegengesetzt, die dort streitige Leistung(15) sei keine Leistung der sozialen Sicherheit, da ihr keine Beitragsleistungen vorausgingen.

40.
    Die Finanzierung einer Leistung durch den Familienlastenausgleichsfonds kann daher durchaus als Indiz für die Bewertung der Unterhaltsvorschussleistung als Familienleistung gewertet werden. Das Urteil in der Rechtssache Hughes steht dem nicht entgegen.

41.
    Es sollen nunmehr einige strukturelle Aspekte der Leistung beleuchtet werden im Hinblick darauf, ob sie die Einschätzung der Unterhaltsvorschussleistung als Familienleistung untermauern bzw. in Frage stellen.

42.
    Zunächst muß man davon ausgehen, dass die Unterhaltsvorschusszahlungen nicht dem Arbeitnehmer bzw. erwerbstätigen Elternteil gewährt werden, sondern dem unterhaltsberechtigten Kind. Allerdings darf dabei nicht verkannt werden, dass die Unterhaltsvorschusszahlungen dem Haushalt, in dem das Kind lebt, zufließen und die Mittel daher durchaus als Leistung an den sorgeberechtigten Elternteil betrachtet werden können. Überdies hat der Gerichtshof in dem Urteil in denverbundenen Rechtssachen Hoever und Zachow entschieden, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten grundsätzlich für Familienleistungen nicht gelte(16). Der Umstand, dass das Kind Leistungsempfänger ist, steht daher der Qualifizierung der Leistung als Familienleistung nicht entgegen.

43.
    Des Weiteren wird geltend gemacht, der bevorschusste Anspruch sei zivilrechtlicher Natur. Das sei auch für die staatliche Leistung maßgeblich. In Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei eine zivilrechtliche Verpflichtung, in die ein anderer eintrete, als nicht unter die Verordnung Nr. 1408/71 fallend anzusehen. Zur Untermauerung wird auf das Urteil in der Rechtssache Mouthaan(17) verwiesen, in dem der Gerichtshof Zahlungen des zuständigen Berufsverbandes auf anstehende Arbeitsentgeltforderungen wegen Konkurses des Arbeitgebers nicht als Leistungen bei Arbeitslosigkeit anerkannt hat. Der Eintritt in die Haftung des Arbeitgebers liege außerhalb der Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 1408/71(18).

44.
    Diese Entscheidung präjudiziert jedoch die Qualifizierung der Leistung im vorliegenden Fall nicht. In der Rechtssache Mouthaan ging es um Ansprüche, die unmittelbar einem Arbeitsverhältnis entsprangen, wobei das Eintreten des Berufsverbandes in die Verpflichtungen des Arbeitgebers als Leistung bei Arbeitslosigkeit hätte qualifiziert werden müssen, um den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 zu eröffnen. Der Anknüpfungspunkt für die in Rede stehenden Leistungen dort war jedoch nicht die Arbeitslosigkeit des Anspruchstellers, sondern der Konkurs des Arbeitgebers. Im vorliegenden Fall verhält es sich grundsätzlich anders.

45.
    Der ursprüngliche Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seine Eltern ist - selbst wenn er dem Zivilrecht zuzuordnen ist - ein familienrechtlicher Anspruch. Die bloße Klassifizierung des Anspruchs als ein zivilrechtlicher wäre eine allzu formalistische Beschränkung und würde der familienrechtlichen Bedeutung - und daraus ableitend dem Charakter der Unterhaltszahlung als einer, wenn auch familieninternen, so doch klassischen Zahlung zum Ausgleich von Familienlasten - nicht gerecht. Selbst wenn also der Unterhaltsanspruch dem Zivilrecht zuzuordnen ist, hat doch das unterhaltsberechtigte Kind bei Ausbleiben der titulierten Unterhaltsforderung einen eigenen Anspruch gegen den Staat aufgrund der Regelung im UVG. Als Folge der Unterhaltsvorschussgewährung geht der ursprüngliche Anspruch des Kindes gegen den säumigen Unterhaltsschuldner kraft Legalzession auf den Staat über, der aus dieser Forderung gegen den Unterhaltsschuldner vorgehen kann. Die staatliche Ersetzung einesfamilienrechtlichen Anspruchs als Familienleistung zu qualifizieren, erscheint systemgerecht.

46.
    Ergänzend soll noch auf die Urteile des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen Hoever und Zachow(19) sowie in der Rechtssache Kuusijärvi(20) hingewiesen werden. In diesen Urteilen hat der Gerichtshof zum einen das deutsche Erziehungsgeld und zum anderen das schwedische Erziehungsgeld als Leistungen qualifiziert, die Familienleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 gleichzustellen seien. Es handele sich um eine Leistung zum Ausgleich von Familienlasten(21). Überdies solle das Erziehungsgeld einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen. Die Leistung diene dazu, die Erziehung des Kindes zu vergüten, die anderen Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls die finanziellen Nachteile, die der Verzicht auf eine Vollerwerbstätigkeit bedeutet, abzumildern(22).

47.
    Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterhaltsvorschussleistung auch dazu dient, dem sorgeberechtigten Elternteil einen gewissen Freiraum für die Erziehung des Kindes sicherzustellen. Auch unter diesem Aspekt erscheint die Qualifzierung der Unterhaltsvorschussleistungen als Familienleistungen sachgerecht.

48.
    Festzuhalten ist also, dass Unterhaltsvorschusszahlungen als Familienleistungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten sind.

b)    Zum persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71

49.
    Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 wird in ihrem Artikel 2 festgelegt. In dessen Absatz 1 wird bestimmt, dass die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige gilt, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

50.
    Der Begriff „Familienangehöriger“ wird in Artikel 1 Buchstabe f Ziffer i definiert als jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

51.
    In dem Urteil in der Rechtssache Kermaschek(23) hat der Gerichtshof zwischen zwei in Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 angesprochenen Personengruppen unterschieden. Zum einen die Arbeitnehmer und zum anderen deren Familienangehörige und Hinterbliebene. „Während die zur ersten Gruppe gehörigen Personen Ansprüche auf Leistungen im Sinne der Verordnung aus eigenem Recht geltend machen können, stehen den zur zweiten Gruppe gehörigen Personen nur abgeleitete Rechte zu, die sie als Familienangehörige oder Hinterbliebene eines Arbeitnehmers erworben, also von einer zur ersten Gruppe gehörenden Person, abgeleitet haben.“(24)

52.
    Unter Zugrundelegung dieser Unterscheidung würde das den Unterhaltsvorschussanspruch aus eigenem Recht geltend machende Kind wohl kaum in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen.

53.
    Die durch das Urteil Kermaschek(25) begründete und zunächst in ständiger Rechtsprechung(26) vorgenommene Differenzierung wurde jedoch in dem Urteil in der Rechtssache Cabanis-Issarte(27) ausdrücklich auf Fallkonstellationen, wie sie der Rechtssache Kermaschek zugrunde lagen(28), beschränkt(29). Die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten könne „zu einer Beeinträchtigung des für die Gemeinschaftsordnung grundlegenden Gebots der einheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften führen, da deren Anwendbarkeit auf den Einzelnen davon abhänge, ob der Anspruch auf die betreffenden Leistungen nach nationalem Recht je nach den Besonderheiten des einzelstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit als eigenes oder abgeleitetes Recht qualifiziert würde“(30).

54.
    Darüber hinaus hat der Gerichtshof - wie im Vorigen(31) bereits angesprochen - für den besonderen Fall der Familienleistungen in der RechtssacheHoever und Zachow entschieden, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten für Familienleistungen grundsätzlich nicht gelte(32).

55.
    Um in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 zu fallen, kommt es für die unterhaltsberechtigten Kinder nur mehr darauf an, ob sie ihre Stellung von einem Elternteil ableiten können.

56.
    Im vorliegenden Fall ist die Mutter der Kinder, mit der sie in häuslicher Gemeinschaft leben, selbständig erwerbstätig. Als Erwerbstätige, die einem Zweig der sozialen Sicherheit im Sinne des Artikels 4 untersteht, fällt sie in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und damit auch ihre Kinder.

57.
    Zu denken wäre gegebenenfalls auch daran, dass der unterhaltspflichtige erwerbstätige Vater die Rechtsposition der Kinder vermittelt. Im vorliegenden Fall ist mit Sicherheit jedoch nicht festzustellen, ob und gegebenenfalls gegen welches Risiko der Vater der Kinder sozialversichert ist. Es wäre Sache des mitgliedstaatlichen Gerichts, derartige Feststellungen zu treffen.

58.
    Als Ergebnis vorstehender Überlegungen ist festzuhalten, dass der zur Beurteilung stehende Sachverhalt sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht der Verordnung Nr. 1408/71 unterfällt. Die unterhaltsberechtigten Kinder können daher einen aus Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 fließenden Anspruch auf Gleichbehandlung geltend machen.

VI - Zur zweiten Frage

Beteiligtenvorbringen

59.
    Die österreichische Regierung stellt zunächst klar, dass aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes das Verhältnis von Artikel 6 und Artikel 52 EG-Vertrag dahin gehend geklärt sei, dass Artikel 52 EG-Vertrag darauf abziele, den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der selbständig Erwerbstätigen umzusetzen. Daher ginge in diesen Fällen Artikel 52 dem Artikel 6 vor.

60.
    Sodann stellt sie fest, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes seien durch Artikel 52 EG-Vertrag nicht nur Vorschriften betroffen, die sich speziell auf die Ausübung der einschlägigen Berufstätigkeit bezögen, sondern auch auf diejenigen, bei denen es um die verschiedenen, für die Ausübung der Tätigkeit nützlichen allgemeinen Befugnisse gehe, wie z. B. der Zugang zu Sozialwohnungen und der Erwerb von Immobilien. Dies sei aber bei der in Rede stehenden Regelung nicht der Fall. Sie stehe in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.Schließlich sei Träger des Anspruchs das Kind und nicht derjenige, der die Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehme.

61.
    Die Kommission weist darauf hin, dass der Unterhaltsvorschuss eine sozialen Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstelle(33). Der Staat übernehme mit der Zahlung von Vorschüssen das Risiko der Uneinbringlichkeit der geschuldeten, aber nicht erbrachten Unterhaltsleistung. Der Umstand, dass die Verordnung Nr. 1612/68 ihrem Wortlaut nach nur auf Arbeitnehmer anwendbar sei, die Eltern der antragstellenden Kinder im Ausgangsverfahren jedoch selbständig berufstätig seien, sei ohne Belang. Die Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) würden nämlich im Sinne der Rechtsprechung den gleichen rechtlichen Schutz gegen Diskriminierung bei der Gewährung von sozialen Vergünstigungen gewährleisten, so dass es auf die Qualifizierung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeiten insoweit nicht ankomme.

62.
    Die Aufstellung einer diskriminierenden Voraussetzung wie die Staatsangehörigkeit stelle eine Verletzung des Artikels 52 EG-Vertrag dar. Dieses Verbot beziehe sich nicht nur auf besondere Vorschriften über die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, sondern gelte für jede Beeinträchtigung der Ausübung selbständiger Tätigkeiten durch Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in unterschiedlicher Behandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern bestünde, wenn dies in einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift eines Mitgliedstaats vorgesehen sei.

63.
    Eine nationale Regelung, die die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nur an Kinder vorsehe, die österreichische Staatsangehörige oder Staatenlose seien, und die die minderjährigen Kinder von den in Österreich selbständige erwerbstätigen deutschen Eltern vom Anspruch auf solche Leistungen ausschließe, verstoße gegen die Artikel 6 und 52 EG-Vertrag.

64.
    Die schwedische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die österreichische Regelung beinhalte unzweifelhaft eine Diskriminierung gegenüber einem unterhaltsberechtigten Kind, das nicht die österreichische Staatsangehörigkeit habe. Eine Diskriminierung gegenüber dem sorgeberechtigten Elternteil sei hingegen nicht so eindeutig. Die vom unterhaltspflichtigen Elternteil nicht entrichteten Unterhaltszahlungen beträfen jedoch den sorgeberechtigten Elternteil, indem dieser für den Ausfall der Unterhaltszahlungen aufkommen müsse. Das Staatangehörigkeitserfordernis berühre in der Praxis die Eltern mit ausländischer Staatsangehörigkeit, da deren Kinder in der Regel eine ausländischeStaatsangehörigkeit besäßen. Es handele sich insofern um einen Fall mittelbarer Diskriminierung.

65.
    Im Hinblick darauf, ob diese Diskriminierung in den Anwendungsbereich des Vertrages falle, verweist sie auf Artikel 52 EG-Vertrag, der ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit beinhalte. Das Verbot beziehe sich nicht nur auf Regelungen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sondern erfasse alle Hindernisse bei der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten und bewirke, dass diese nicht anders behandelt werden dürften als Inländer. Die Vorschrift verbiete die Ungleichbehandlung von Kindern Selbständiger, die diesen gegenüber unterhaltspflichtig seien. Das folge auch aus dem Urteil in der Rechtssache Meeusen(34). Das Staatsangehörigkeitserfordernis verstoße folglich gegen die Niederlassungsfreiheit.

Würdigung

66.
    Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Staatsangehörigkeitserfordernis in § 2 Absatz 1 UVG eine gemäß der Artikel 52 bzw. 6 EG-Vertrag verbotene Diskriminierung darstellt.

67.
    Es ist davon auszugehen, wie es auch die Kommission festgestellt hat, dass es sich bei der streitgegenständlichen Unterhaltsvorschussregelung um eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 handelt. Auf dieser Grundlage kann man davon ausgehen, dass für den Fall, dass der sorgeberechtigte Elternteil des unterhaltsberechtigten Kindes Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 wäre, aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 einen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten könnte.

68.
    Die Qualifizierung der Leistung als Familienleistung steht ihrer gleichzeitigen Einschätzung als soziale Vergünstigung nicht entgegen, da es in der bisherigen Rechtsprechung(35) anerkannt ist, dass bei Sozialleistungen durchaus eine Schnittmenge möglich ist, die sowohl als eine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 als auch als soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 betrachtet werden kann, je nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles und ihrer Gewährung.

69.
    Dennoch ist die Einschätzung der Unterhaltsvorschussleistung als eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 zur Lösung des vorliegenden Falles allenfalls bedingt von Nutzen. Da die Eltern der unterhaltspflichtigen Kinder selbständig erwerbstätig sind, ist eineunmittelbare Berufung auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht möglich. Näher liegt hingegen eine Heranziehung der Artikel 52 und 6 EG-Vertrag - wie vom vorlegenden Gericht bereits angeregt -, da die sorgeberechtigte Mutter der unterhaltsberechtigten Kinder selbständig erwerbstätig ist.

70.
    Wie bereits von den Beteiligten vorgetragen und in ständiger Rechtsprechung(36) festgestellt, kommt eine autonome Anwendung des Artikels 6 nur in Betracht, auf durch das Gemeinschaftsrecht geregelte Fallgestaltungen, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht. Da Artikel 52 im Wesentlichen darauf abzielt, für das Gebiet der selbständig Tätigen den in Artikel 6 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung zu verwirklichen(37), geht diese Vorschrift im vorliegenden Fall vor. Eine mit dieser Vorschrift unvereinbare mitgliedstaatliche Regelung verstieße gleichzeitig gegen Artikel 6(38).

71.
    Zu Inhalt und Zweck des Artikels 52 führt der Gerichtshof Folgendes aus:

„Artikel 52 EG-Vertrag soll gewährleisten, dass Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausüben wollen, wie Inländer behandelt werden; er verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die den Zugang zu einer solchen Tätigkeit oder ihrer Ausübung behindern.“(39)

72.
    Wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, „bezieht sich dieses Verbot nicht nur auf besondere Vorschriften über die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, sondern gilt auch ... für jede Beeinträchtigung der Ausübung selbständiger Tätigkeiten durch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die in einer unterschiedlichen Behandlung der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern besteht, wenn dies in einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift eines Mitgliedstaats vorgesehen ist oder sich aus der Anwendung einer solchen Vorschrift oder aus Verwaltungspraktiken ergibt“(40).

73.
    Wie die schwedische Regierung anschaulich dargestellt hat, bewirkt die unmittelbare Diskriminierung der Kinder aufgrund der Staatsangehörigkeit eine mittelbare Diskriminierung des sorgeberechtigten Elternteils. Denn die Eltern vonKindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind sehr viel häufiger Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten als die Eltern inländischer Kinder.

74.
    Die österreichische Regierung hat nun eingewandt, die Unterhaltsvorschussregelung stehe in keinem Zusammenhang zur Erwerbstätigkeit der Eltern und könne daher nicht von Artikel 52 erfasst werden.

75.
    Ein unmittelbarer Zusammenhang besteht offensichtlich nicht. Dennoch kann sich die zusätzliche finanzielle Last, der sich das sorgeberechtigte Elternteil bei Ausbleiben der Zahlungen des unterhaltspflichtigen Elternteils auf dessen selbständige Erwerbstätigkeit auswirken. Denn die fehlenden Mittel müssen auf irgendeine Weise aus der Erwerbstätigkeit heraus aufgebracht werden. Sei es, dass sich schlicht die Gewinne mindern, sei es, dass Entnahmen aus dem Geschäftsvermögen getätigt werden müssen, sei es, dass zu mehr Arbeit Anlass besteht. Auch bei einer einfachen Verminderung der Gewinne stehen diese Mittel jedenfalls nicht mehr zur Verfügung, für etwaige Rückführungen in den Betrieb, sei es für die Anschaffung von Sachmitteln, für die Bildung von Rücklagen oder auch für die Aufbringung von Personalkosten. Es sind verschiedene Konstellationen denkbar.

76.
    Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass der Ausschluss vom Zugang zu den Unterhaltsvorschüssen durchaus geeignet ist, negative Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit des sorgeberechtigten Elternteils zu entfalten. Insofern wird die im vorliegenden Fall sorgeberechtigte Mutter diskriminiert.

77.
    Da es sich um einen Fall mittelbarer Diskriminierung handelt, ist zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. Rein wirtschaftliche Überlegungen reichen insofern nicht aus. Das staatliche Bestreben zur Begrenzung der staatlichen Ausgaben ist daher nicht geeignet, die Diskriminierung zu rechtfertigen. Nach möglichen Rechtfertigungsgründen befragt, hat der Vertreter der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei dem streitigen Leistungsanspruch handele es sich um eine familienrechtliche Materie, die nicht mit der Niederlassungsfreiheit in Verbindung stehe. Außerdem werde der Anspruch dem Kind gewährt und nicht dem die Niederlassungsfreiheit ausübenden Elternteil.

78.
    Auch diese Argumente sind zurückzuweisen. Dass die unmittelbare Diskriminierung des unterhaltsberechtigten Kindes eine mittelbare Diskriminierung des sorgeberechtigten Elternteils bewirkt, wurde bereits ausgeführt. Aber auch das strukturelle Argument überzeugt nicht, handelt es sich doch um eine staatliche Unterstützungsmaßnahme, die sich - wie bereits dargestellt - auf die Erwerbstätigkeit des sorgeberechtigten Elternteils auswirken kann. Da im Übrigen keine Momente angeführt worden sind, die als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt werden könnten, ist davon auszugehen, dass es sich um eine nach Artikel 52 EG-Vertrag verbotene Diskriminierung handelt.

79.
    In der Rechtssache Meeusen hat der Gerichtshof im Übrigen ausdrücklich ausgeführt:

„Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz bezweckt ebenfalls, die Diskriminierung von Kindern, denen der Selbständige Unterhalt gewährt, zu verhindern.“(41)

Auch aus diesem Grunde ist die streitige Unterhaltsvorschussregelung, soweit sie eine unmittelbare Diskriminierung der unterhaltsberechtigten Kinder bewirkt, als gemeinschaftsrechtswidrig zu betrachten.

VII - Ergebnis

80.
    Als Ergebnis vorstehender Überlegungen ist auf die Fragen des vorlegenden Gerichts wie folgt zu antworten:

1.    Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist dahin auszulegen, dass er Unterhaltsvorschüsse an minderjährige Kinder von Selbständigen nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern umfaßt, so dass in einem solchen Fall Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist, der den Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet.

Hilfsweise:

2.    Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und 6 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 Absatz 1 EG) sind dahin auszulegen, dass sie einer Situation entgegenstehen, in der minderjährige Kinder, die wie ihre in der Republik Österreich selbständig erwerbstätigen Eltern deutsche Staatsangehörige sind, jedoch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Österreich haben und die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussgesetz beantragen, als Familienangehörige dadurch diskriminiert werden, dass ihnen die Zuerkennung eines solchen Vorschusses unter Berufung auf deren deutsche Staatsangehörigkeit verwehrt wird.


1: Originalsprache: Deutsch.


2: -     Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2).


3: -     Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).


4: -     ABl. 1997 L 28, S. 1.


5: -     Rechtssache 35/77 (Slg. 1977, 2249, Randnr. 9).


6: -     Rechtssache 70/80 (Slg. 1981, 229, Randnr. 15).


7: -     Vgl. Rechtssache Beerens (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 9) und Urteil vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-251/89 (Athanasopoulos u. a., Slg. 1991, I-2797, Randnr. 28).


8: -     Vgl. Urteile vom 27. März 1985 in der Rechtssache 249/83 (Hoeckx, Slg. 1985, 973, Randnr. 11) und in der Rechtssache 122/84 (Scrivner, Slg. 1985, 1027, Randnr. 18); Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-78/91 (Hughes, Slg. 1992, I-4839, Randnr. 14), vom 10. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow, Slg. 1996, I-4895, Randnr. 17) und vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-160/96 (Molenaar, Slg. 1998, I-843, Randnr. 19).


9: -     Vgl. Rechtssache Hughes (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 15); Rechtssache Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 18); Rechtssache Molenaar (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 20) und Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419, Randnr. 57).


10: -     Vgl. Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h.


11: -     Vgl. z. B. die Grenzen einer rückwirkenden Geltendmachung von Unterhaltsforderungen.


12: -     Vgl. Schriftsatz der klägerischen Partei in der Rechtssache C-255/99 (Humer). Danach werden rund zwei Drittel aller Vorschusszahlungen nicht beim Unterhaltspflichtigen beigetrieben.


13: -     Urteil vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 104/84 (Kromhout, Slg. 1985, 2205, Randnr. 14).


14: -     Rechtssache Hughes (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 21).


15: -     „Family credit“.


16: -     Vgl. verbundene Rechtssachen Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 33).


17: -     Urteil vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 39/76 (Slg. 1976, 1901).


18: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache Mouthaan (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 20).


19: -     Zitiert in Fußnote 7.


20: -     Zitiert in Fußnote 8.


21: -     Urteil in den verbundenen Rechtssachen Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 23).


22: -     Urteil in den verbundenen Rechtssachen Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 25).


23: -     Urteil vom 23. November 1976 in der Rechtssache 40/76 (Slg. 1976, 1669).


24: -     Urteil in der Rechtssache Kermaschek (zitiert in Fußnote 22, Randnr. 7).


25: -     Zitiert in Fußnote 22.


26: -     Vgl. Urteile vom 6. Juni 1985 in der Rechtssache 157/84 (Frascogna, Slg. 1985, 1739), vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 94/84 (Deak, Slg. 1985, 1873), vom 17. Dezember 1987 in der Rechtssache 147/87 (Zaoui, Slg. 1987, 5511), vom 8. Juli 1992 in der Rechtssache C-243/91 (Taghavi, Slg. 1992, I-4401) und vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache C-310/91 (Schmid, Slg. 1993, I-3011).


27: -     Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-308/93 (Slg. 1996, I-2097).


28: -     Dort ging es um Leistungen bei Arbeitslosigkeit für eine drittstaatsangehörige Familienangehörige.


29: -     Vgl. Rechtssache Cabanis-Issarte (zitiert in Fußnote 26, Randnr. 34).


30: -     Urteil Cabanis-Issarte (zitiert in Fußnote 26, Randnr. 31).


31: -     Siehe Nr. 42.


32: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 33).


33: -     Die Vorschrift bestimmt, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer genießt.


34: -     Urteil vom 8. Juni 1999 in der Rechtssache C-337/97 (Slg. 1999, I-3289, Randnr. 29).


35: -     Vgl. Urteil vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-85/96 (Martínez Sala, Slg. 1998, I-2691, Randnr. 27).


36: -     Vgl. Urteile vom 12. April 1994 in der Rechtssache C-1/93 (Halliburton Services, Slg. 1994, I-1137, Randnr. 12) und vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-311/97 (Royal Bank of Scotland, Slg. 1999, I-2651, Randnr. 20).


37: -     Vgl. Rechtssache Halliburton (zitiert in Fußnote 35, Randnr. 12).


38: -     Vgl. Urteil Royal Bank of Scotland (zitiert in Fußnote 35, Randnr. 20).


39: -     Urteil in der Rechtssache Meeusen (zitiert in Fußnote 33, Randnr. 27).


40: -     Urteil in der Rechtssache Meeusen (zitiert in Fußnote 33, Randnr. 27); Urteil vom 10. März 1993 in der Rechtssache C-111/91 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Randnr. 17).


41: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache Meeusen (zitiert in Fußnote 33, Randnr. 29).