Sprache des Dokuments : ECLI:EU:C:2001:447

SCHLUSSANTRÄGE DER FRAU GENERALANWALT

CHRISTINE STIX-HACKL

vom 13. September 2001(1)

Rechtssache C-60/00

Mary Carpenter

gegen

Secretary of State for the Home Department

(Vorabentscheidungsersuchen des Immigration Appeal Tribunal)

„Dienstleistungsfreiheit - Aufenthaltsrecht einer drittstaatsangehörigen Ehegattin eines Unionsbürgers“

I - Einleitung

1.     Das Immigration Appeal Tribunal befasst den Gerichtshof mit der Frage, ob sich ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger verheiratet ist, auf Artikel 49 EG oder die Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (im Folgenden: Richtlinie 73/148) berufen kann, um das Aufenthaltsrecht im Herkunftsstaat seines Ehegatten zu erlangen. Im vorliegenden Fall geht es um eine philippinische Staatsangehörige, die mit einem Staatsangehörigen des Vereinigten Königreiches verheiratet ist.

II - Sachverhalt und Ausgangsverfahren

2.     Der philippinischen Staatsangehörigen Mary Carpenter wurde 1994 für sechs Monate eine Einreiseerlaubnis als Besucher in das Vereinigte Königreich („leave to enter as a visitor“) erteilt. Sie überzog die Dauer dieser Erlaubnis und heiratete im Mai 1996 Herrn Peter Carpenter, einen Staatsangehörigen des Vereinigten Königreiches, mit dem sie seit Oktober 1995 zusammen lebte. Herr Carpenter hat zwei Kinder aus erster Ehe, die 1996 geschieden wurde. Frau Carpenter kümmert sich jetzt um diese Kinder.

3.     Herr Carpenter betreibt als Alleineigentümer ein Unternehmen, das Anzeigen an Zeitschriften verkauft und den Herausgebern dieser Zeitschriften diverse Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung und der Veröffentlichung von Anzeigen anbietet. Das Unternehmen hat seinen Sitz im Vereinigten Königreich, wo auch einige seiner Kunden niedergelassen sind. Ein erheblicher Teil des Geschäfts des Unternehmens wird allerdings mit Kunden abgewickelt, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben. Herr Carpenter nimmt darüber hinaus zu Geschäftszwecken auch an Tagungen in anderen Mitgliedstaaten teil. Das Unternehmen, dessen Erfolg vom unmittelbaren persönlichen Einsatz von Herrn Carpenter abhängt, beschäftigt vier Vollzeitarbeitskräfte. Von 1996 bis 1998 steigerte sich der Reingewinn des Unternehmens auf mehr als das Doppelte. Herr Carpenter führt dies auf seine Ehefrau zurück, die ihn bei der Obsorge für die Kinder entlastet habe.

4.     Am 15. Juli 1996 beantragte Frau Carpenter beim Secretary of State eine Erlaubnis zum Aufenthalt als Ehegattin eines Staatsangehörigen des Vereinigten Königreiches („leave to remain as a spouse of a UK national“). Dieser Antrag wurde am 21. Juli 1997 abgelehnt. Gemeinsam mit dieser Ablehnung erließ der Secretary of State eine Entscheidung, einen Ausweisungsbeschluss gegen Frau Carpenter zu fassen, eine so genannte „decision to make a deportation order“.

5.     Gegen diesen Beschluss des Secretary of State legte Frau Carpenter einen Rechtsbehelf bei einem Adjudicator ein. Dieser Rechtsbehelf wurde am 10. Juni 1998 zurückgewiesen. Daraufhin erhob sie ein Rechtsmittel beim Immigration Appeal Tribunal. Dieses ließ das Rechtsmittel am 30. November 1998 zu und legte dem Gerichtshof folgende Frage vor:

„Kann sich in einem Fall, in dem

a) ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat an Personen in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen erbringt und

b) mit einem Ehegatten verheiratet ist, der selbst kein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist,

der letztgenannte Ehegatte auf

1) Artikel 49 EG und/oder

2) die Richtlinie 73/148/EWG

berufen, um das Aufenthaltsrecht an der Seite seines Ehegatten in dessen Herkunftsmitgliedstaat zu erlangen?

Fällt die Antwort auf die vorgelegte Frage anders aus, wenn der Ehegatte, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, den anderen, bei dem dies der Fall ist, mittelbar bei der Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten unterstützt, indem er sich um die Kinder kümmert?“

III - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

6.     Artikel 1 der Richtlinie 73/148/EWG bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten heben nach Maßgabe dieser Richtlinie die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen auf:

a)     für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, oder die dort eine Dienstleistung erbringen wollen;

b)     für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die sich als Empfänger einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begeben wollen;

c)     ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit für den Ehegatten und die noch nicht 21 Jahre alten Kinder dieser Staatsangehörigen;

d)     ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit für Verwandte in aufsteigender und absteigender Linie dieser Staatsangehörigen und ihrer Ehegatten, denen diese Unterhalt gewähren.“

7.     Artikel 3 Absatz 1 legt fest:

„Die Mitgliedstaaten gestatten den in Artikel 1 genannten Personen bei einfacher Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses die Einreise in ihr Hoheitsgebiet.“

8.     Artikel 4 Absatz 2 Unterabsätze 1 und 2 bestimmt:

„Für Leistungserbringer und Leistungsempfänger entspricht das Aufenthaltsrecht der Dauer der Leistung.

Übersteigt diese Dauer drei Monate, so stellt der Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird, zum Nachweis dieses Rechts eine Aufenthaltserlaubnis aus.

Beträgt diese Dauer drei Monate oder weniger, so genügt der Personalausweis oder Reisepass, mit dem der Betroffene in das Hoheitsgebiet eingereist ist, für seinen Aufenthalt. Der Mitgliedstaat kann allerdings von dem Betroffenen verlangen, dass er seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet anzeigt.“

9.     Artikel 4 Absatz 3 bestimmt:

„Einem Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wird ein Aufenthaltsdokument mit der gleichen Gültigkeit ausgestellt wie dem Staatsangehörigen, von dem es seine Rechte herleitet.“

B - Nationales Recht

10.     Die grundlegenden Bestimmungen über Einwanderung finden sich im Immigration Act 1971 (geändert durch den Immigration Act 1988).

Section 3 (1) des Immigration Act 1971 bestimmt, dass Personen, die der Einwanderungskontrolle unterliegen, in das Vereinigte Königreich nur mit Einreiseerlaubnis („leave to enter“) einreisen dürfen. Eine Aufenthaltserlaubnis („leave to remain“) kann befristet oder unbefristet erteilt werden.

In Section 3 (5) des Immigration Act 1971 heißt es:

„Wer nicht britischer Staatsbürger ist, kann aus dem Vereinigten Königreich ausgewiesen werden:

a)     Wenn er bei zeitlich begrenzter Erlaubnis zur Einreise oder zum Aufenthalt eine Auflage nicht erfüllt, die mit der Erlaubnis verknüpft ist, oder sein Aufenthalt die in der Erlaubnis begrenzte Dauer überschreitet ...“

Section 7 (1) des Immigration Act 1988 bestimmt:

„Die Bestimmungen [des Immigration Act 1971] über die Erlaubnis zur Einreise in das oder zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich gelten nicht für Personen, die einen sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden durchsetzbaren Anspruch auf eine Erlaubnis zur Einreise oder zum Aufenthalt haben oder die aufgrund einer Bestimmung nach Section 2 (2) des European Communities Act (Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften) 1972 hierzu berechtigt sind.“

IV - Vorbringen der Beteiligten

A - Vorbringen von Frau Carpenter

1. Grundsätzliche Ausführungen

11.     Frau Carpenter unterstreicht, dass sie die Ehegattin von Herrn Carpenter, eines Unionsbürgers, ist. Ihr Ehegatte mache von der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit insoferne Gebrauch, als er in andere Mitgliedstaaten reise, um dort Dienstleistungen zu erbringen. Seine Reisen würden durch sie wesentlich erleichtert: sie reise mit ihm oder bleibe während seiner Reisen im Vereinigten Königreich und kümmere sich um seine Kinder. Ihre Ausweisung nach den Philippinen für eine längere Dauer „würde die Erbringung von Dienstleistungen und die Integration des Binnenmarktes behindern“. Jede substanzielle Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit sei Frau Carpenter zufolge gegen die Zielsetzungen des Vertrages.

Frau Carpenter ist sich bewusst, dass sie gemäß dem Gemeinschaftsrecht nicht selbst über das Aufenthaltsrecht in irgendeinem Mitgliedstaat verfügt. Ihre diesbezüglichen Rechte leiten sich ihrer Meinung nach von denen ihres Ehegatten ab, d. h. von seinem Recht auf Erbringung von Dienstleistungen und auf Reisefreiheit innerhalb der Union. Des Weiteren sei ihr klar, dass ein Mitgliedstaat Regelungen erlassen könne, die die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet regeln. Diese Befugnis der Mitgliedstaaten folge laut Frau Carpenter aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Alpine Investments(2).

2. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

12.     Frau Carpenter sieht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch verletzt, dass die Entscheidung, gegen sie einen Ausweisungsbeschluss zu fassen, nur aus dem Grund gefällt worden sei, weil sie sich länger als erlaubt im Vereinigten Königreich aufgehalten habe. Gründe der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit, wie sie in Artikel 8 der Richtlinie 73/148 vorgesehen seien, seien nicht geltend gemacht worden.

13.     In diesem Zusammenhang weist Frau Carpenter auf das Urteil in der Rechtssache Singh(3) hin. Darin habe der Gerichtshof für Recht erkannt, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat seine aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte ausgeübt hat, in seinen Herkunftsstaat in Begleitung seines drittstaatsangehörigen Ehegatten zurückkehren dürfe. Frau Carpenter zufolge sei diesem Urteil zu entnehmen, dass sich die im Vertrag begründeten Rechte von Gemeinschaftsbürgern nicht voll entfalten könnten, wenn der Gemeinschaftsbürger von ihrer Ausübung durch Hindernisse abgehalten werde, die in seinem Herkunftsstaat für die Einreise und den Aufenthalt seines drittstaatsangehörigen Ehegatten bestehen.

Aus diesem Urteil folge weiter, dass der drittstaatsangehörige Ehegatte eines Unionsbürgers über dasselbe Recht auf Einreise in den bzw. auf Aufenthalt im Herkunftsstaat des Unionsbürgers verfügen müsse wie auf Einreise in einen bzw. auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat.

14.     Ferner betont Frau Carpenter, dass ihr Ehegatte im Vereinigten Königreich über dieselben gemeinschaftlichen Rechte verfügen müsse, wie in einem anderen Mitgliedstaat. Würde er seine Ehegattin in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen, müsste dieser Mitgliedstaat beiden Eheleuten die Einreise erlauben.

15.     Im Übrigen betreffe das Urteil in der Rechtssache Singh zwar die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit, doch dürften die Personen, die Dienstleistungen erbringen, nicht weniger Rechte haben. Die Parallelität dieser Grundfreiheiten gehe aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervor.

16.     Desgleichen geht Frau Carpenter auf den ihrer Ansicht nach in ihrem Fall fehlenden Aspekt des rein internen Sachverhalts ein. Da Herr Carpenter im gesamten Binnenmarkt Dienstleistungen erbringe, könne nämlich nicht argumentiert werden, dass die ihr auferlegte Beschränkung von rein interner Bedeutung sei.

Sie unterstützt dieses Vorbringen mit dem Urteil in der Rechtssache Moser(4), aus dem sich ihrer Meinung nach nicht ableiten lasse, dass die Situation von Herrn und Frau Carpenter eine rein interne sei. Ihre Situation sei nämlich vollkommen verschieden von derjenigen, die der Rechtssache Moser zugrunde lag. Darin sei es um einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gegangen, der sich nie in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten oder dort gearbeitet oder Dienstleistungen erbracht habe. In dieser Rechtssache habe der Gerichtshof daher für Recht erkannt, dass der Vertrag keine Anwendung auf einen solchen Sachverhalt finde.

Die Situation von Herrn Carpenter sei aber vielmehr mit der Situation zu vergleichen, die der Rechtssache Stanton(5) zugrunde lag. Dabei unterstreicht Frau Carpenter, dass der Gerichtshof darin zum Ergebnis kam, dass der Vertrag eine nationale Regelung verbiete, die Personen benachteilige, die eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben.

3. Zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung

17.     Hinsichtlich des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung macht Frau Carpenter geltend, dass für den Fall, dass sie z. B. einen französischen Staatsangehörigen geheiratet hätte, der - ganz wie Herr Carpenter - im Vereinigten Königreich niedergelassen wäre, von wo aus er Dienstleistungen in andere Mitgliedstaaten erbringen würde, das Gemeinschaftsrecht ihrer Ausweisung nach den Philippinen entgegenstünde. Die Ausübung des Rechts auf Dienstleistungsfreiheit durch einen solchen französischen Staatsangehörigen wäre dann nämlich erheblich eingeschränkt, wenn sein aus einem Drittland stammender Ehegatte ausgewiesen würde. Ein britischer Staatsbürger, wie Herr Carpenter, dürfe sich also in keiner ungünstigeren Lage befinden als ein französischer Staatsangehöriger im Vereinigten Königreich. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebe, sei eine solche Bestimmung betreffend die „Einwanderung“ diskriminierend und verstoße daher gegen den Vertrag.

B - Vorbringen der britischen Regierung

18.     Die britische Regierung unterstreicht, dass die gegenständlichen nationalen Bestimmungen das Ziel verfolgen, die Anwendung der nationalen Verfahren und Regelungen betreffend die Einwanderung sicherzustellen. Das Einwanderungsrecht unterscheide zwischen Personen, die nur ein beschränktes Einreiserecht haben, und solchen, die ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich haben. Ferner sei sicherzustellen, dass die Vorschriften nicht umgangen würden. So dürften Eheschließungen nicht allein zum Zwecke des Aufenthalts geschlossen werden.

19.     Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Artikels 49 EG bzw. der Richtlinie 73/148 weist die britische Regierung darauf hin, dass sich das Recht, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, aus dieser Richtlinie und nicht aus dem Primärrecht ergebe. Die korrekte Auslegung von Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 73/148 zeige z. B., dass ein britischer Staatsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen erbringen will, das Recht hat, sich in diesem Mitgliedstaat für die Dauer der Dienstleistung aufzuhalten. Sein Ehegatte dürfe sich während des gleichen Zeitraumes ebenso dort aufhalten. Diese Vorschriften begründeten hingegen kein Aufenthaltsrecht für britische Staatsangehörige im Vereinigten Königreich (ein solches ergebe sich aus dem nationalen Recht).

20.     Des Weiteren bezieht sich die britische Regierung auf die Randnummern 17 und 18 des Urteils in der Rechtssache Singh(6). Daraus gehe erstens hervor, dass die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einreisen und sich dort aufhalten dürfen, um eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Zweitens ergebe sich aus diesem Urteil, dass deren Ehegatten über dieselben Rechte verfügen.

21.     Ferner gehe aus Randnummer 23 dieses Urteils hervor, dass der Vertrag den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats das Recht auf Einreise in den eigenen Mitgliedstaat „nicht direkt“ verleihe. Ein solches Recht gehöre normalerweise zur Staatsangehörigkeit und ergebe sich somit aus dem nationalen Recht.

22.     Hinsichtlich der Anwendung dieser sich aus der Rechtsprechung ergebenden Grundsätze auf die Situation von Frau Carpenter macht die britische Regierung darauf aufmerksam, dass Herr Carpenter sein Recht auf Personenfreizügigkeit nicht ausgeübt habe. Daher könnten sich weder er noch seine Ehegattin auf den vom Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Singh aufgestellten Grundsatz noch auf die im Urteil in der Rechtssache Asscher(7) zusammengefasste Rechtsprechung berufen. Nach dieser Rechtsprechung können sich Staatsangehörige gegen ihren eigenen Mitgliedstaat auf Gemeinschaftsrecht berufen, „wenn sie sich aufgrund ihres Verhaltens gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat in einer Lage befinden, die mit derjenigen anderer Personen, die in den Genuss der durch den Vertrag garantierten Rechte und Freiheiten kommen, vergleichbar ist“.

23.     Die von Frau Carpenter zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofes betreffe andere Situationen und sei daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

24.     Ferner weist die britische Regierung darauf hin, dass das Recht von Herrn Carpenter, seine geschäftlichen Aktivitäten in andere Mitgliedstaaten auszudehnen, ihm nicht das Recht auf indirekte Unterstützung durch einen Drittstaatsangehörigen, der im Vereinigten Königreich kein Aufenthaltsrecht besitzt, einräume.

25.     Abschließend bringt die britische Regierung vor, dass eine Person, die sich in einer Situation wie Frau Carpenter befindet, daher aus dem Gemeinschaftsrecht kein Recht auf Einreise oder Aufenthalt ableiten könne. Abhilfe böte eventuell die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).

C - Vorbringen der Kommission

26.     Der Kommission zufolge sei klar zwischen der Situation von Frau Carpenter und der Situation einer drittstaatsangehörigen Ehegattin eines Unionsbürgers zu unterscheiden, der sein Recht auf Personenfreizügigkeit ausübt und der seinen Herkunftsmitgliedstaat daher verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben hat, um sich dort niederzulassen bzw. dort zu arbeiten. Die Kommission stellt hiezu fest, dass Herr Carpenter sich nie in einem anderen Mitgliedstaat als dem Vereinigten Königreich niederlassen wollte, wo sich sein Unternehmen schon immer befunden habe und wo er mit Frau Carpenter und seinen Kindern lebe.

27.     Nach Auffassung der Kommission könne das in Randnummer 23 des Urteils in der Rechtssache Singh(8) angesprochene Recht auf Einreise und Aufenthalt für drittstaatsangehörige Ehegatten eines Unionsbürgers nicht auf eine Situation ausgedehnt werden, gemäß der sich der Unionsbürger mit seinem Ehegatten nie in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollte, sondern bloß von seinem Herkunftsstaat aus Dienstleistungen erbringe.

28.     Im Unterschied zu Frau Carpenter verfügte das Ehepaar Singh vor der Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat im Vereinigten Königreich zudem über einen legalen Aufenthalt.

Die Kommission sehe nicht, wie die Situation von Frau Carpenter als eine Situation angesehen werden könne, die dem Gemeinschaftsrecht unterliege. Sie neige vielmehr dazu, dass eine solche Situation als ein interner Sachverhalt im Sinne des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Morson und Jhanjan(9) zu qualifizieren sei.

29.     Im Übrigen habe die Schlussfolgerung des Immigration Adjudicator, wonach der Umstand, dass Frau Carpenter die Kinder betreue, indirekt Herrn Carpenter helfe, seine sich aus Artikel 49 EG ergebenden Rechte auszuüben, d. h. sich mehr seinen Geschäften zu widmen, nichts mit der Frage zu tun, ob Herr Carpenter tatsächlich in der Weise sein Recht auf Personenfreizügigkeit ausgeübt habe, dass seine Ehegattin unter das Gemeinschaftsrecht falle. Der Umstand, dass Frau Carpenter die Kinder betreue, stelle bloß eine mögliche Sachverhaltskonstellation dar und beruhe auf einer freien Entscheidung der beiden Ehegatten.

V - Würdigung

30.     Die Vorlagefrage besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil betrifft die allgemeine Frage nach dem Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Unionsbürger verheiratet ist, der seinerseits in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen erbringt, im Herkunftsstaat des Unionsbürgers. Der zweite Teil der Vorlagefrage betrifft eine bestimmte konkrete Konstellation, und zwar den Fall, dass der Drittstaatsangehörige den Unionsbürger, mit dem er verheiratet ist, mittelbar bei der Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten unterstützt, indem er sich um die Kinder des Unionsbürgers kümmert.

31.     Die Vorlagefrage ist darüber hinaus auf zwei mögliche Rechtsgrundlagen gerichtet: Artikel 49 EG und die Richtlinie 73/148.

A - Erster Teil der Vorlagefrage: Aufenthaltsrecht von drittstaatsangehörigen Ehegatten im Allgemeinen

32.     Hinsichtlich des ersten Teils der Vorlagefrage ist also die Prüfung differenziert nach den beiden oben genannten Rechtsgrundlagen vorzunehmen.

1. Artikel 49 EG: Dienstleistungsfreiheit

33.     Zunächst ist der Gegenstand dieses und des Ausgangsverfahrens in Erinnerung zu rufen: Es geht um das Aufenthaltsrecht von Frau Carpenter, also einer Drittstaatsangehörigen, die mit einem Unionsbürger verheiratet ist.

34.     Demgegenüber beziehen sich manche Ausführungen von Frau Carpenter auf die Rechte von Herrn Carpenter, und zwar dahin gehend, ob die ihr gegenüber getroffenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen des Vereinigten Königreiches Herrn Carpenter behindern, in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen zu erbringen, d. h., ob die Maßnahmen eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen.

35.     Aus der Formulierung der Vorlagefrage geht jedoch deutlich hervor, dass diese auf Artikel 49 EG als mögliche Rechtsgrundlage für ein eventuelles Aufenthaltsrecht von Frau Carpenter, und nicht von Herrn Carpenter, gerichtet ist.

36.     Daher ist auf die Frage, ob und inwieweit die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Vereinigten Königreiches die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte von Herrn Carpenter beschränken und ob solche Beschränkungen gerechtfertigt sind, in diesem Zusammenhang vorerst nicht näher einzugehen.

37.     Hier geht es nämlich vielmehr darum, zu prüfen, ob sich Frau Carpenter für ihr Aufenthaltsrecht auf Artikel 49 EG berufen kann.

38.     Als Staatsangehörige der Philippinen kann sich Frau Carpenter jedoch nicht selbst auf die Grundfreiheiten und daher auch nicht auf Artikel 49 EG berufen. Da sich Frau Carpenter nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen kann, kann sie daraus auch kein Recht auf Aufenthalt ableiten. Die einschlägigen Bestimmungen betreffend Einreise und Aufenthalt für Drittstaatsangehörige finden sich vielmehr im abgeleiteten Recht, worauf daher noch einzugehen ist.

39.     Aus alledem folgt, dass ein drittstaatsangehöriger Ehegatte eines Unionsbürgers sein Aufenthaltsrecht nicht auf Artikel 49 EG stützen kann.

40.    Festzuhalten ist hier allerdings, dass die Dienstleistungsfreiheit jedenfalls als Maßstab der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung der Richtlinie 73/148 wie des nationalen Rechts zum Tragen zu kommen hat.

41.     Nach dem Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung sind nämlich erstens die Bestimmungen des abgeleiteten Rechts im Lichte des Primärrechts auszulegen; im vorliegenden Fall bedeutet dies die Notwendigkeit einer Auslegung im Lichte der primärrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (siehe dazu unten 2. b). Zweitens umfasst der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung auch die Verpflichtung, das nationale Recht im Lichte des entsprechenden primären und sekundären Gemeinschaftsrechts auszulegen. Für das vorliegende Verfahren bedeutet das die Verpflichtung des Vereinigten Königreichs, das Ausländerrecht, insbesondere den Immigration Act, im Lichte der Dienstleistungsfreiheit sowie der Richtlinie 73/148 auszulegen.

2. Richtlinie 73/148

42.     Nach derzeit geltendem Gemeinschaftsrecht, d. h. nach der hier einschlägigen Richtlinie 73/148, richtet sich der aufenthaltsrechtliche Status eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Unionsbürger verheiratet ist, nach der rechtlichen Stellung des Unionsbürgers.

43.     Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c gilt die Richtlinie auch für Ehegatten von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit, also insoferne auch für philippinische Staatsangehörige, die mit einem britischen Staatsangehörigen verheiratet sind. Nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie ist einem Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, ein Aufenthaltsdokument auszustellen, das die gleiche Gültigkeit hat wie das des Staatsangehörigen, von dem das drittstaatsangehörige Familienmitglied seine Rechte herleitet.

44.     Drittstaatsangehörige, die mit Unionsbürgern verheiratet sind, verfügen also nur über Rechte, die von denen ihrer Ehegatten abgeleitet sind. Dazu gehört auch das im vorliegenden Fall streitige Recht auf Aufenthalt.

45.     Zuerst ist als grundlegende Voraussetzung dafür, dass der Drittstaatsangehörige Rechte von seinem Ehegatten ableiten kann, daher zu prüfen, ob der Ehegatte seine aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte überhaupt ausübt, ob also der Gemeinschaftsbezug gegeben ist. Es darf sich somit um keinen rein internen Sachverhalt handeln, weil in einem solchen Fall der erforderliche Anknüpfungspunkt für Rechte des Drittstaatsangehörigen fehlen würde.

46.     Im Anschluss daran sind die Maßstäbe näher darzulegen, in deren Lichte die Richtlinie 73/148 sowie das nationale Recht, das zur Umsetzung dieser Richtlinie dient, auszulegen sind. Das sind neben der hier einschlägigen Dienstleistungsfreiheit auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Zu diesen gehören nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes auch die Grundrechte (10).

47.     Der Dienstleistungsfreiheit wie den Grundrechten sind auch Grenzen für den Spielraum der Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung zu entnehmen. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens könnten sie daher den Handlungsspielraum des Vereinigten Königreiches im Bereich des Ausländerrechts in Gesetzgebung und Vollziehung grundsätzlich einschränken.

a) Gemeinschaftsbezug als generelle Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Richtlinie 73/148

aa) Grundsatz - Gemeinschaftsbezug im Rahmen der Grundfreiheiten

48.     Drittstaatsangehörigen Ehegatten, die mit Unionsbürgern verheiratet sind, räumt die Richtlinie 73/148 nur dann ein Recht auf Aufenthalt ein, wenn der Unionsbürger auch von seinen aus dem Gemeinschaftsrecht ableitbaren Rechten Gebrauch macht. Damit setzt auch das Aufenthaltsrecht der Drittstaatsangehörigen einen Gemeinschaftsbezug voraus. Im vorliegenden Fall kommen als Anknüpfungspunkt die Grundfreiheiten in Betracht.

49.     Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes finden die Grundfreiheiten keine Anwendung auf Sachverhalte, deren sämtliche Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen(11).

50.     Dieser Grundsatz gilt einmal für das Primärrecht, also im vorliegenden Fall für die Bestimmungen des Vertrages betreffend den freien Dienstleistungsverkehr. Darüber hinaus gilt dieser Grundsatz aber auch für die zur Durchführung der primärrechtlichen Bestimmungen erlassenen Rechtsakte(12). Der einschlägige Rechtsakt des abgeleiteten Rechts ist im vorliegenden Fall die Richtlinie 73/148.

51.     Es ist also stets zu prüfen, ob der zu beurteilende Sachverhalt einen Berührungspunkt mit einem Sachverhalt aufweist, auf den das Gemeinschaftsrecht abstellt.

52.     Fehlt es am erforderlichen Gemeinschaftsbezug, d. h. macht ein Unionsbürger nicht von seinen gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch, so unterliegt er und mit ihm der drittstaatsangehörige Ehegatte alleine dem nationalen Recht(13). Das gilt auch für das Recht auf Aufenthalt(14).

53.     Drittstaatsangehörige, die mit Unionsbürgern in deren Herkunftsstaat verheiratet sind, werden somit, wenn diese Unionsbürger von ihren gemeinschaftlichen Rechten nicht Gebrauch machen, schlechter gestellt als Drittstaatsangehörige, die mit Unionsbürgern verheiratet sind, die von ihren gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch machen.

54.     In diesem Sinne könnten Drittstaatsangehörige, die mit britischen Staatsangehörigen verheiratet sind und im Vereinigten Königreich wohnen, grundsätzlich gegenüber Drittstaatsangehörigen benachteiligt sein, deren Ehegatten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und von ihren Rechten Gebrauch machen. Das wäre der Fall, wenn dieser Ehegatte z. B. als Wanderarbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet oder dort Dienstleistungen erbringt: damit würden beispielsweise Drittstaatsangehörige unter das Gemeinschaftsrecht fallen, die mit französischen Staatsangehörigen verheiratet sind und mit diesen im Vereinigten Königreich wohnen oder die beispielsweise mit ihrem britischen Ehegatten in Frankreich leben.

55.     Eine Schlechterstellung von drittstaatsangehörigen Ehegatten besteht daher immer nur dann, wenn der Ehegatte, der Unionsbürger ist, nicht von seinen gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch macht.

56.     Drittstaatsangehörige, deren jeweiliger Ehegatte als Unionsbürger „nie“ von seinem Recht auf Dienstleistungsfreiheit „Gebrauch gemacht hat“(15), können daher nach Gemeinschaftsrecht von ihrem Ehegatten auch keine Rechte ableiten.

57.     Der Umstand, dass eine Anwendung des Gemeinschaftsrechts - auch auf drittstaatsangehörige Ehegatten - auf derartige interne Sachverhalte ausscheidet, hat daher eine umgekehrte Diskriminierung zur Folge(16).

58.     Eine solche umgekehrte Diskriminierung kann entweder durch den Gemeinschaftsgesetzgeber selbst, etwa durch Regelungen über die Familienzusammenführung, oder durch die Mitgliedstaaten - auch ohne dass es vom Gemeinschaftsrecht her geboten wäre - selbst beseitigt werden(17), indem Mitgliedstaaten, wo sich diese Frage stellt, den Status von Drittstaatsangehörigen, die mit ihren eigenen Staatsangehörigen, d. h. mit Inländern, verheiratet sind, an den Status von Drittstaatsangehörigen angleichen, die mit Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die von ihren gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch machen, verheiratet sind. Von dieser Möglichkeit einer so genannten „Assimilation“(18) haben auch manche Mitgliedstaaten tatsächlich bereits Gebrauch gemacht.

bb) Gemeinschaftsbezug als konkrete Voraussetzung im vorliegenden Sachverhalt

59.     Um den Status von Frau Carpenter in Bezug auf das Recht auf Aufenthalt zu bestimmen, ist daher zunächst der Status von Herrn Carpenter zu bestimmen. Aus den Akten ergibt sich, dass als gemeinschaftliches Recht, von dem Herr Carpenter Gebrauch macht, die Dienstleistungsfreiheit in Betracht kommt.

60.     Im vorliegenden Fall ist es zwar so, dass Herr Carpenter seinen Wohnsitz und seinen Geschäftssitz im Vereinigten Königreich hat, doch beschränkt sich seine berufliche Tätigkeit nicht nur auf den heimischen Markt(19), sondern er entfaltet zusätzlich außerhalb des Vereinigten Königreiches wirtschaftliche Aktivitäten.

61.     Wie aus den Akten ebenso hervorgeht, macht Herr Carpenter einen erheblichen Teil seines Umsatzes durch Aufträge von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten. Einige der Dienstleistungen sind insoferne als grenzüberschreitend zu qualifizieren, als sich der Dienstleistungserbringer in einen anderen Mitgliedstaat begibt(20).

62.     Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes weist ein Sachverhalt beispielsweise sogar schon dann einen Gemeinschaftsbezug auf, wenn „sich ein über den nationalen Rahmen hinausweisender Aspekt insbesondere aus der Tatsache ergeben [kann], dass ein Sportler an einem Wettkampf in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen teilnimmt, in dem er wohnt“(21).

Herr Carpenter kann nun jedenfalls zumindest insoferne auch mit einem solchen Berufssportler verglichen werden, als er sich ebenso in andere Mitgliedstaaten begibt, um dort Dienstleistungen zu erbringen.

63.     Neben dieser so genannten aktiven Dienstleistungsfreiheit kommen angesichts der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit von Herrn Carpenter auch die so genannten „Korrespondenzdienstleistungen“ in Betracht. Dazu gehören solche Dienstleistungen, bei denen zwar kein Ortswechsel von Erbringer und Empfänger der Leistung erfolgt, diese selbst aber über die Grenze erbracht werden. Auch solche Dienstleistungen sind vom Gerichtshof(22) als Dienstleistungen mit Gemeinschaftsbezug anerkannt worden.

64.     Ein wesentliches Argument dafür, dass der Sachverhalt betreffend Herrn Carpenter kein rein interner ist, sondern unter das Gemeinschaftsrecht fällt, liefert auch das Urteil in der Rechtssache Singh. Der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich zwar vom vorliegenden Sachverhalt in zwei Punkten, doch sind diese Unterschiede wohl nicht rechtserheblich.

65.     Ein Unterschied liegt darin, dass Herr und Frau Singh in einem anderen Mitgliedstaat als Arbeitnehmer tätig waren und nicht als Dienstleistungserbringer wie Herr Carpenter. Der Umstand, dass Herr Carpenter insoweit also von einer anderen Grundfreiheit, nämlich der Dienstleistungsfreiheit, Gebrauch gemacht hat, darf allerdings für sich genommen für die Herstellung des Gemeinschaftsbezuges keinen wesentlichen Unterschied machen.

66.     Der zweite Unterschied zum vorliegenden Fall liegt darin, dass das Ehepaar Singh nach fast dreijährigem Aufenthalt in Deutschland in das Vereinigte Königreich, den Herkunftsstaat von Frau Singh, zurückkehrte. Demgegenüber kehrte das Ehepaar Carpenter nicht in das Vereinigte Königreich zurück, sondern war dort und will dort verbleiben. Dass auch dieser Umstand keinen wesentlichen Unterschied macht, ergibt sich meines Erachtens daraus, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Singh die Ausübung von gemeinschaftlichen Rechten nicht in der Rückkehr aus einem anderen Mitgliedstaat in den Herkunftsstaat innerhalb der Union gesehen hat, sondern darin, dass Frau Singh sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben hat, um dort von ihren gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch zu machen, und zwar von der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

67.     Dass sich das Ehepaar Singh daraus folgend in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, ist keine rechtserhebliche Besonderheit des Falles. Dieser Umstand hängt vielmehr damit zusammen, dass es eine andere Grundfreiheit als Herr Carpenter ausübte, nämlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit.

68.     Würde Herr Carpenter sich also in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen, um dort selbständig oder unselbständig zu arbeiten, würde seine Situation unmittelbar der Situation des Ehepaares Singh entsprechen.

69.     Die im Urteil in der Rechtssache Singh vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze können also meiner Ansicht nach auf den vorliegenden Fall eines Dienstleistungserbringers übertragen werden.

70.     Nach den in Randnummer 23 des genannten Urteils gemachten Ausführungen des Gerichtshofes kommt es darauf an, dass der „Ehegatte eines Gemeinschaftsbürgers ... bei dessen Rückkehr in sein Herkunftsland zumindest die Einreise- und Aufenthaltsrechte haben“ muss, „die das Gemeinschaftsrecht ihm gewähren würde, wenn sein Ehegatte in einen anderen Mitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten würde“.

71.     Herr Carpenter macht also von seinen gemeinschaftlichen Rechten in zweierlei Hinsicht Gebrauch, erstens insoweit, als er sich aus beruflichen Gründen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben und, zweitens insoweit, als er die Dienstleistungen auch über die Grenze erbringt, ohne sich selbst in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben.

72.     Alle diese Umstände zeigen, dass der für das vorliegende Verfahren wesentliche Sachverhalt betreffend Herrn und Frau Carpenter nicht rein interner Natur ist. Vielmehr weist er einen Gemeinschaftsbezug auf, was zur Folge hat, dass auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens Gemeinschaftsrecht Anwendung findet.

73.     Als Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass Frau Carpenter beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts als Ehegattin eines Unionsbürgers jedenfalls - und nur so lange(23) - ein von ihrem Ehegatten abgeleitetes Recht auf Aufenthalt hat, als ihr Ehegatte von seinen Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht Gebrauch macht.

74.     Abschließend ist noch auf den Aspekt des Missbrauchsrisikos einzugehen, insbesondere auf die eventuelle Gefahr, dass nationale Aufenthaltsregelungen betreffend die Rechtsstellung von drittstaatsangehörigen Ehegatten von Inländern dadurch umgangen werden könnten, dass der inländische Ehegatte versucht sein könnte, einen Gemeinschaftsbezug „herzustellen“. So könnte man argumentieren, dass Staatsangehörige eines Mitgliedstaats gerade deswegen z. B. eine - auch nur kurzfristige - Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen könnten, um dadurch sich und den drittstaatsangehörigen Ehegatten in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts „zu bringen“. Man könnte weiters argumentieren, dass damit die drittstaatsangehörigen Ehegatten der alleinigen Anwendung des nationalen Rechts entzogen würden und ihnen eine im Vergleich zum nationalen Recht eventuell günstigere Rechtsstellung verschafft würde, indem ihnen dadurch ein auf Gemeinschaftsrecht gestütztes Aufenthaltsrecht ermöglicht würde.

75.     Dazu ist zu bemerken, dass eine derartige eventuelle Umgehungsabsicht im Ausgangsfall nicht belegt ist, weil Herr Carpenter sein Unternehmen bereits vor der Eheschließung betrieben hat und grenzüberschreitend Dienstleistungen angeboten hat. Ebenso steht für die beteiligten Behörden offenbar außer Zweifel, dass es sich bei der Ehe von Herrn und Frau Carpenter um keine Scheinehe handelt.

b) Auslegung der Richtlinie 73/148 und des nationalen Rechts im Lichte des Primärrechts

76.     Die hier einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 73/148 über das Aufenthaltsrecht wie auch die nationalen Regelungen betreffend das Aufenthaltsrecht sind aufgrund der vorangegangenen Überlegungen daher im Lichte der Dienstleistungsfreiheit auszulegen.

77.     Würde man die britischen Regelungen betreffend das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen, die mit einem britischen Staatsangehörigen verheiratet sind, tatsächlich auch auf den Fall - wie den Anlassfall - anwenden, dass der britische Staatsangehörige von seinen gemeinschaftlichen Rechten Gebrauch macht, so bewirkten sie eine Beschränkung dieser gemeinschaftlichen Rechte.

78.     Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Gerichtshofes hängen Aufenthaltsrecht und Grundfreiheiten nämlich zusammen. Nach dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Singh können die aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit ableitbaren Rechte „ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn der Gemeinschaftsbürger von ihrer Ausübung durch Hindernisse abgehalten werden kann, die in seinem Herkunftsland für die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestehen“(24).

79.     Geht man davon aus, dass dieser Grundsatz für alle Grundfreiheiten gilt, so bedeutet das für den vorliegenden, die Dienstleistungsfreiheit betreffenden Fall, dass sich für Herrn Carpenter Beschränkungen, in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen zu erbringen, daraus ergeben könnten, dass seiner Ehegattin kein oder nur ein allenfalls eingeschränktes Aufenthaltsrecht gewährt wird.

c) Auslegung der Richtlinie 73/148 und des nationalen Rechts im Lichte der Grundrechte

80.     Die hier einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 73/148 über das Aufenthaltsrecht wie auch die nationalen Regelungen betreffend das Aufenthaltsrecht sind aber auch im Lichte der Grundrechte auszulegen.

81.     Hiezu ist zunächst grundsätzlich festzustellen, dass der Gerichtshof für die Beachtung der Grundrechte Sorge zu tragen hat(25). „Dabei lässt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu.“(26) „Diese Grundsätze sind im Übrigen in Artikel 6 Absatz 2 EU aufgenommen worden.“(27)

82.     Der Gerichtshof ist jedoch nicht zuständig zu prüfen, ob eine nationale Regelung eines Mitgliedstaats, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, mit den Grundrechten vereinbar ist(28).

83.     Für die in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallenden nationalen Regelungen sind dem vorlegenden Gericht hingegen alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser nationalen Regelungen mit den Grundrechten beurteilen zu können.

84.     Das gegenständliche Verfahren betrifft das in Artikel 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Familienlebens. Dieses umfasst als Kernbestand(29) den Schutz der ehelichen Beziehungen(30). Dazu kommen im vorliegenden Fall noch die Beziehungen von Frau Carpenter zu ihren Stiefkindern(31).

85.     Im gegenständlichen Verfahren wird daher erstens die aus Artikel 8 EMRK ableitbare negative Verpflichtung der Vertragsparteien bzw. Mitgliedstaaten berührt, nicht in das Recht der Ehegatten auf Zusammenleben(32) einzugreifen. Zweitens wird die positive Verpflichtung der Staaten(33) berührt, auch bestimmten Familienmitgliedern den Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten(34).

86.     Offensichtlich ist, dass eine Ablehnung einer Erlaubnis zum Aufenthalt sowie eine Entscheidung über die Ausweisung grundsätzlich in diese Rechte eingreifen.

87.     Umgekehrt genießt das Recht auf Achtung des Familienlebens allerdings keinen absoluten Schutz. Ein Eingriff in dieses Recht ist nach Maßgabe des Artikels 8 Absatz 2 EMRK zulässig, „insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist“.

88.     Hinsichtlich eines solchen Eingriffes in das Recht auf Achtung des Familienlebens verfügen die Mitgliedstaaten zwar über einen gewissen Ermessenspielraum(35). Dieser ist allerdings seinerseits wieder nicht unbegrenzt. So sind die Voraussetzungen, die Einschränkungen des Rechts auf Achtung des Familienlebens gestatten, eng auszulegen.

89.     Die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffes in Grundrechte hängt daher von der Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalles ab. Während es Aufgabe des Gerichtshofes ist, dem nationalen Gericht die Hinweise zur Auslegung zu geben, die zur Entscheidung des konkreten individuellen Rechtsstreits erforderlich sind(36), ist es Sache des nationalen Gerichts, den in Rede stehenden Sachverhalt anhand der vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien zu beurteilen. Das gilt insbesondere in Anbetracht der Natur der vorzunehmenden Prüfung(37). Denn die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften wie der Vorschriften zu deren Umsetzung auf einen konkreten Fall bleibt Aufgabe des nationalen Gerichts(38).

90.     Hinsichtlich der vom nationalen Gericht bei seiner Prüfung zu berücksichtigenden Kriterien ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, dass es hier um die Notwendigkeit des Eingriffes in das Recht auf Achtung des Familienlebens geht, und dabei in erster Linie um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes.

91.     Bei einer solchen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist insbesondere zu prüfen, ob es verhältnismäßig ist, dass Frau Carpenter nur vom Ausland aus um die Erteilung der erforderlichen Erlaubnis ansuchen kann(39). Damit im Zusammenhang wäre auch die Zumutbarkeit eines solchen Vorganges für Frau Carpenter zu untersuchen, insbesondere etwa auch die Angemessenheit der Wartezeit für die Erlangung der Erlaubnis. Ebenso wäre zu prüfen, ob für den Fall, dass Frau Carpenter auf den Philippinen bliebe, es für Herrn Carpenter - allenfalls mit seinen Kindern - zumutbar wäre, auf den Philippinen zu leben und dort wirtschaftlich tätig zu sein(40).

92.     Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, d. h. die Prüfung der Notwendigkeit des Eingriffes, hat im Wesentlichen in einer Abwägung der Schwere des Eingriffes, d. h. der Beeinträchtigung der privaten Interessen, mit dem durch die ausländerrechtliche Regelung verfolgten Ziel, d. h. mit den Interessen des Staates, zu bestehen.

93.     Die Schwere des Eingriffes, also die Beeinträchtigung privater Interessen, wäre anhand einer Reihe von Faktoren zu beurteilen. Dazu zählen einmal die familiären Umstände von Frau Carpenter, d. h. ihre familiären Beziehungen im Vereinigten Königreich(41) sowie auf den Philippinen. Des Weiteren wären auch die persönlichen Umstände von Frau Carpenter zu würdigen, also ihre Integration in Gesellschaft und Kultur des Vereinigten Königreiches(42).

94.     Im vorliegenden Fall treten zu den Interessen von Frau Carpenter als Ehegattin noch die Interessen der Stiefkinder, die ebenfalls grundsätzlich von der EMRK geschützt werden(43). Diesbezüglich spielt die Intensität der Beziehung von Frau Carpenter zu ihren Stiefkindern sowie das Alter der Kinder eine Rolle(44).

95.     Im vorliegenden Fall wäre weiter auch die geographische Entfernung zwischen den Philippinen und dem Vereinigten Königreich und die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit von Besuchen zu berücksichtigen.

96.     Schließlich wäre auch zu berücksichtigen, ob die Eheschließung vor oder nach dem Verstoß gegen die ausländerrechtlichen Vorschriften erfolgte. Wie aus den Akten hervorgeht, heiratete Frau Carpenter nach Ablauf ihrer befristeten Erlaubnis.

97.     Hinsichtlich der Interessen des Staates wären die Ziele zu berücksichtigen, die das Vereinigte Königreich mit seinen ausländerrechtlichen Regelungen, insbesondere betreffend das Aufenthaltsrecht, verfolgt. Von den in Artikel 8 Absatz 2 EMRK genannten Zielen kommt in der Regel die Verteidigung der öffentlichen Ordnung in Betracht(45). Schließlich wäre auch die Schwere des Verstoßes gegen die ausländerrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen, dessen sich Frau Carpenter schuldig gemacht hat, also des Verbleibens im Vereinigten Königreich nach Ablauf der befristeten Erlaubnis.

d) Mitgliedstaatliche Sanktionsmöglichkeiten für die Verletzung von nationalen Regelungen betreffend den Aufenthalt

98.     Abschließend sei auf Möglichkeiten hingewiesen, die den Mitgliedstaaten nach Gemeinschaftsrecht bleiben, um Verstöße gegen ausländerrechtliche Regelungen zu ahnden. Die Grenzen, die sich für die Mitgliedstaaten dabei aus dem Gemeinschaftsrecht, einschließlich der Grundrechte, ergeben, gelten allerdings - wiederum - nur in jenen Fällen, die auch einen Gemeinschaftsbezug aufweisen.

99.     So können Mitgliedstaaten etwa das Verbleiben von drittstaatsangehörigen Ehegatten im Hoheitsgebiet nach Ablauf einer Erlaubnis zum befristeten Aufenthalt mit Sanktionen belegen. Diese haben jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, wie sie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Nach ständiger Rechtsprechung sind Sanktionen, wie Geld- und Haftstrafen, zulässig, wenn sie verhältnismäßig(46) sind oder - anders ausgedrückt - eine „angemessene Ahndung eines Verstoßes“(47) darstellen.

100.     Hinsichtlich einer Entfernung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofes einer solchen Maßnahme enge Grenzen zieht. Nach dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Royer ist etwa die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet unzulässig, „wenn sie ausschließlich darauf gestützt ist, dass der Betroffene die gesetzlichen Formalitäten im Rahmen der Ausländerüberwachung nicht erfüllt hat oder keine Aufenthaltserlaubnis besitzt“(48). Im Urteil in der Rechtssache Watson und Belmann stellt der Gerichtshof klar, dass die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet wegen der Nichterfüllung von Anzeige- und Eintragungsformalitäten unzulässig ist(49).

101.     Auf den ersten Teil der Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass sich ein drittstaatsangehöriger Ehegatte eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat nicht auf Artikel 49 EG, jedoch auf die Richtlinie 73/148 berufen kann, um das Aufenthaltsrecht an der Seite seines Ehegatten in dessen Herkunftsmitgliedstaat zu erlangen, wenn sein Ehegatte Dienstleistungen an Personen in anderen Mitgliedstaaten erbringt. Dabei ist zu berücksichtigten, dass die Richtlinie 73/148 im Lichte des Primärrechts und der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Achtung des Familienlebens, auszulegen ist.

B - Zweiter Teil der Vorlagefrage: Der drittstaatsangehörige Ehegatte kümmert sich um die Kinder des Unionsbürgers

102.     Der zweite Teil der Vorlagefrage bezieht sich auf den Fall, dass der Ehegatte, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, den anderen Ehegatten, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, mittelbar bei der Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten unterstützt, indem er sich um dessen Kinder kümmert.

103.     Wie die Kommission zu Recht vorbringt, hat der Umstand, dass Frau Carpenter sich um die Kinder von Herrn Carpenter kümmert und ihm so indirekt hilft, von den sich aus der Dienstleistungsfreiheit ergebenden Rechten Gebrauch zu machen, nichts mit der Frage zu tun, ob Herr Carpenter von seinen Rechten in der Weise Gebrauch gemacht hat, dass seine Ehegattin unter das Gemeinschaftsrecht fällt.

104.     Dagegen, dass der Umstand, dass der Ehegatte sich um die Kinder des Unionsbürgers kümmert, für das Aufenthaltsrecht rechtserheblich ist, sprechen auch die hier heranzuziehenden Vorschriften des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts. So stellt die hier einschlägige Richtlinie 73/148 hinsichtlich ihres Geltungsbereiches in ihrem Artikel 1 Absatz 1 auf eine Reihe von Umständen ab, wie das Verwandtschaftsverhältnis, das Alter, die Gewährung von Unterhalt oder die häusliche Gemeinschaft. Die Pflege von Kindern ist in dieser - taxativen - Aufzählung nicht angeführt. Daraus kann man schließen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber dem Umstand der Kinderpflege in diesem Zusammenhang offensichtlich keine Bedeutung zugemessen hat.

105.     Schließlich nimmt auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes hinsichtlich der Rechte eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Unionsbürger verheiratet ist, nicht ausdrücklich darauf Bezug, dass der Drittstaatsangehörige einen Beitrag zur beruflichen Tätigkeit des Unionsbürgers leistet. So stellt der Gerichtshof in der Rechtssache Singh nämlich - wie bereits ausgeführt - darauf ab, dass die aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit ableitbaren Rechte „ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn der Gemeinschaftsbürger von ihrer Ausübung durch Hindernisse abgehalten werden kann, die in seinem Herkunftsland für die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestehen“(50). Dass davon auszugehen ist, dass dieser Grundsatz für alle Grundfreiheiten zu gelten hätte, wurde bereits dargelegt.

106.     Die im zweiten Teil der Vorlagefrage angesprochene Alternative ist für die Beantwortung der Vorlagefrage daher ohne rechtliche Bedeutung, weshalb ein weiteres Eingehen darauf unterbleiben kann.

VI - Ergebnis

107.     Nach alledem wird dem Gerichtshof vorgeschlagen, auf die Vorlagefrage wie folgt zu antworten:

In einem Fall, in dem ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat an Personen in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen erbringt und mit einem Ehegatten verheiratet ist, der selbst kein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, kann sich der drittstaatsangehörige Ehegatte nicht auf Artikel 49 EG, jedoch auf die Richtlinie 73/148/EWG des Rates zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs berufen, um das Aufenthaltsrecht an der Seite seines Ehegatten in dessen Herkunftsmitgliedstaat zu erlangen. Dabei ist zu berücksichtigten, dass die Richtlinie 73/148/EWG im Lichte der Dienstleistungsfreiheit und der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Achtung des Familienlebens, auszulegen ist.

Die Antwort auf die vorgelegte Frage fällt dabei nicht anders aus, wenn der Ehegatte, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, den anderen, bei dem dies der Fall ist, mittelbar bei der Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten unterstützt, indem er sich um dessen Kinder kümmert.


1: -     Originalsprache: Deutsch.


2: -     Urteil vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-384/93 (Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141).


3: -     Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90 (Singh, Slg. 1992, I-4265).


4: -     Urteil vom 28. Juni 1984 in der Rechtssache 180/83 (Moser, Slg. 1984, 2539, Randnr. 20).


5: -     Urteil vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87 (Stanton/INASTI, Slg. 1988, 3877, Randnr. 14). In diesem Verfahren ging es um eine Regelung, die Personen, die einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in einem Mitgliedstaat nachgehen, von der Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zum Sozialversicherungssystem für Selbständige in diesem Mitgliedstaat befreit, diese Befreiung aber Personen versagt, die einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nachgehen.


6: -     Urteil in der Rechtssache C-370/90 (zitiert in Fußnote 3).


7: -     Urteil vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089).


8: -     Urteil in der Rechtssache C-370/90 (zitiert in Fußnote 3).


9: -     Urteil vom 27. Oktober 1982 in den verbundenen Rechtssachen 35/82 und 36/82 (Morson und Jhanjan, Slg. 1982, 3723). In diesem Verfahren ging es um das Aufenthaltsrecht von drittstaatsangehörigen Müttern, deren Kinder in dem Mitgliedstaat beschäftigt waren, dessen Staatsangehörigkeit sie besaßen.


10: -     Zur Auslegung einer Verordnung im Lichte von Artikel 8 EMRK siehe das Urteil vom 18. Mai 1989 in der Rechtssache 249/86 (Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 1263, Randnr. 10); vgl. auch das Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84 (Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18) betreffend die Auslegung einer Richtlinie im Lichte der EMRK.


11: -     Urteile vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C-97/98 (Jägerskiöld, Slg. 1999, I-7319, Randnr. 42) und vom 16. Januar 1997 in der Rechtssache C-134/95 (USSL Nr. 47 di Biella, Slg. 1997, I-195, Randnr. 19).


12: -    Siehe dazu das Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-206/91 (Koua Poirrez, Slg. 1992, I-6685, Randnr. 11) und die dort wiedergegebene Rechtsprechung.


13: -     Martin, „Loi du 15 Décembre 1980“, Revue du droit des étrangers, 1996, S. 722 (725).


14: -     „Wer zu wenig wandert, den bestraft das Leben“: - Gutmann, „Europäisches Aufenthaltsrecht für Drittstaatsangehörige“, Anwaltsblatt 2000, S. 482 (484).


15: -     Urteil in der Rechtssache C-206/91 (zitiert in Fußnote 12), Randnr. 13, betreffend den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers.


16: -     Vgl. Dollat, Libre circulation des personnes et citoyenneté européenne: enjeux et perspectives, 1998, S. 104 f.; Martin (zitiert in Fußnote 13), S. 725.


17: -     Zur Beseitigung von Benachteiligungen durch das nationale Recht siehe das Urteil vom 5. Juni 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-64/96 und C-65/96 (Uecker und Jacquet, Slg. 1997, I-3171, Randnr. 23).


18: -     Martin (zitiert in Fußnote 13), S. 725.


19: -     Vgl. das Urteil vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-108/98 (RI.SAN., Slg. 1999, I-5219, Randnr. 21), in dem es um ein Unternehmen ging, das auf dem Markt seines Sitzstaates tätig war.


20: -     Urteil vom 20. Mai 1992 in der Rechssache C-106/91 (Ramrath, Slg. 1992, I-3351).


21: -     Urteil vom 11. April 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-51/96 und C-191/97 (Deliège, Slg. 2000, I-2549, Randnr. 58).


22: -     Urteile vom 9. Juli 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-34/95, C-35/95 und C-36/95 (De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843), in der Rechtssache C-384/93 (zitiert in Fußnote 2) sowie vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73 (Sacchi, Slg. 1974, 409).


23: -     Auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit des Ehegatten und dem Aufenthaltsrecht für dessen drittstaatsangehörigen Ehegatten macht Watson, „Free Movement of Workers: a one way ticket?“, Industrial Law Journal, 1993, S. 68 (75), unter Hinweis auf das Urteil in der Rechtssache Singh aufmerksam.


24: -     Urteil in der Rechtssache C-370/90 (zitiert in Fußnote 3), Randnr. 23.


25: -     Urteile vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 60/84 und 64/84 (Cinéthèque, Slg. 1985, 2605, Randnr. 26) und vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86 (Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 28).


26: -     Urteil vom 6. März in der Rechtssache C-274/99 P (Connolly/Kommission, Slg. 2001, I-1611), Randnr. 37.


27: -     Urteil in der Rechtssache C-274/99 P (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 38.


28: -     Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95 (Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 15).


29: -     Dem entspricht Artikel 7 der am 7. Dezember 2000 in Nizza verkündeten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2000, C 364, S. 1).


30: -     Urteil des EGMR Abdulaziz, Cabales und Balkandali/Vereinigtes Königreich, Serie A, Nr. 94, § 62.


31: -     Zur Anerkennung dieser Beziehungen siehe die nicht publizierte Entscheidung der Kommission vom 7. Dezember 1982 in B 9867/82, Moodey/Vereinigtes Königreich.


32: -     Zu diesem Aspekt siehe allgemein De Schutter, „Le droit au regroupement familial au croisement des ordres juridiques européens“, Revue du droit des étrangers, 1996, S. 531 (546).

    Zur negativen Verpflichtung siehe das Urteil des EGMR Ciliz/Niederlande vom 11. Juli 2000, § 62.


33: -     Urteil des EGMR Marckx gegen Belgien, Serie A, Nr. 31, § 31.


34: -     De Schutter (zitiert in Fußnote 32), S. 546.


35: -     Urteil des EGMR Ahmut/Niederlande vom 28. November 1996, Reports 1996-VI, 2031, § 63.


36: -     Urteil vom 3. Mai 2001 in der Rechtssache C-28/99 (Verdonck u. a., Slg. 2001, I-3399), Randnr. 28.


37: -     Urteil vom 14. Dezember 2000 in der Rechtssache C-446/98 (Fazenda Pública, Slg. 2000, I-11435, Randnr. 23) und die dort zitierte Rechtsprechung.


38: -     Urteil in der Rechtssache C-446/98 (zitiert in Fußnote 37), Randnr. 23.


39: -     Vgl. dazu Beschwerde 12122/86 Lukka/Vereinigtes Königreich, DR 50, 268.


40: -     Urteil des EGMR Beljoudi/Frankreich, Serie A, Nr. 234-A, § 78 ff.


41: -     Urteil des EGMR Beljoudi/Frankreich, Serie A, Nr. 234-A, § 78.


42: -     Urteil des EGMR Moustaquim/Belgien, Serie A, Nr. 193, § 45.


43: -     Siehe dazu die nicht publizierte Entscheidung der Kommission vom 7. Dezember 1982 in Beschwerde 9867/82, Moodey/Vereinigtes Königreich.


44: -     Dazu ist zu ergänzen, dass das Wohl der Kinder im Rahmen der Interessenabwägung sogar eine entscheidende Rolle spielen kann (Urteil des EGMR Elsholz/Deutschland vom 13. Juli 2000, § 48).


45: -     Beschwerde 12122/86 Lukka/Vereinigtes Königreich, DR 50, 272.


46: -     Urteil vom 7. Juli 1976 in der Rechtssache 118/75 (Watson und Belmann, Slg. 1976, 1185, Randnrn. 21/22).


47: -     Urteil vom 14. Juli 1977 in der Rechtssache 8/77 (Sagulo, Slg. 1977, 1495, Randnr. 6).


48: -     Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75 (Royer, Slg. 1976, 497, Randnrn. 38/40).


49: -     Urteil in der Rechtssache 118/75 (zitiert in Fußnote 46), Randnr. 20.


50: -     Urteil in der Rechtssache C-370/90 (zitiert in Fußnote 3), Randnr. 23.