Language of document : ECLI:EU:C:2017:108

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

EVGENI TANCHEV

vom 9. Februar 2017(1)

Rechtssache C578/16 PPU

C. K.,

H. F.,

A. S.

gegen

Republika Slovenija

(Vorabentscheidungsersuchen des Vrhovno sodišče [Oberster Gerichtshof, Slowenien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Begriff des einzelstaatlichen Gerichts, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können – Gemeinsames Europäisches Asylsystem – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 – Systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat – Art. 17 Abs. 1 – Souveränitätsklausel“







I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist(2). Diese Verordnung soll – wie ihre Vorgänger(3) – zum einen verhindern, dass sich Drittstaatsangehörige dadurch, dass sie in mehreren Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, den Mitgliedstaat aussuchen können, der ihren Antrag prüft (Phänomen des „forum shopping“), und zum anderen gewährleisten, dass jeder Antrag tatsächlich von einem Mitgliedstaat geprüft wird(4). Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 604/2013 vor, dass jeder Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, und nennt die Kriterien, die es ermöglichen, den für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen(5).

2.        Was geschieht, wenn von einem Mitgliedstaat, der anhand der in der Verordnung Nr. 604/2013 aufgestellten Kriterien als zuständiger Staat bestimmt wurde, behauptet wird, er beachte die Grundrechte von Asylbewerbern nicht? Zwar gewährleisten die Mitgliedstaaten die Beachtung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(6) (im Folgenden: Genfer Konvention) zu findenden Grundrechte. Gleichwohl lässt sich nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat ein Grundrecht von Asylbewerbern verletzt. In der Verordnung Nr. 604/2013 wird dem Rechnung getragen. Nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 darf der Antragsteller nämlich nicht an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen.

3.        Wie verhält es sich aber, wenn sich die Schwachstellen nicht auf das gesamte Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaats auswirken, sondern nur die besondere Situation eines Antragstellers betreffen? Können diese Schwachstellen als „systemisch“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 eingestuft werden? Und wenn nicht, schaffen sie gleichwohl eine Verpflichtung, den Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen? Diese Fragen muss der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache beantworten.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Völkerrecht

4.        Art. 3 EMRK bestimmt:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

5.        Art. 33 der Genfer Konvention sieht vor:

„1.      Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“

B.      Unionsrecht

1.      Charta

6.        Art. 4 der Charta bestimmt:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

7.        Art. 19 Abs. 2 der Charta sieht vor:

„Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“

2.      Verordnung Nr. 604/2013

8.        Art. 3 („Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“) der Verordnung Nr. 604/2013 bestimmt in Abs. 2:

„Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der [Charta] mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.“

9.        Art. 17 („Ermessensklauseln“) der Verordnung Nr. 604/2013 sieht in Abs. 1 vor:

„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10.      Frau C. K. eine syrische Staatsangehörige, und ihr Ehemann, Herr H. F., ein ägyptischer Staatsangehöriger, reisten am 16. August 2015 über Kroatien in das Gebiet der Mitgliedstaaten ein. Sie besaßen von Kroatien ausgestellte Touristenvisa, die vom 6. August 2015 bis 28. August 2015 galten.

11.      Am 17. August 2015 reisten Frau C. K., die im sechsten Monat schwanger war, und Herr H. F. mit falschen griechischen Ausweispapieren nach Slowenien ein. Dort befinden sie sich derzeit und sind in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Ljubljana untergebracht.

12.      Am 20. August 2015 stellten Frau C. K. und Herr H. F. in Slowenien Anträge auf internationalen Schutz. Nach den Angaben der slowenischen Regierung wurde Frau C. K. am selben Tag von einem Arzt untersucht, der feststellte, dass die Schwangerschaft normal verlaufe, dass Frau C. K. keine offensichtlichen psychischen Symptome zeige und dass sie mitteilsam sei. Herr H. F. wurde am selben Tag ebenfalls von einem Arzt untersucht, der ihm gute Gesundheit attestierte(7).

13.      Am 28. August 2015 richteten die slowenischen Behörden eine Anfrage an die kroatischen Behörden. Am 14. September 2015 antwortete die Republik Kroatien, sie sei für die Prüfung der Anträge von Frau C. K. und Herrn H. F. zuständig.

14.      Am 20. November 2015 gebar Frau C. K. einen Sohn, A. S. Am 27. November 2015 wurde für A. S. in Slowenien ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die slowenischen Behörden bearbeiteten diesen Antrag zusammen mit den Anträgen von Frau C. K. und Herrn H. F.

15.      Am 18. Januar 2016 erhielten die slowenischen Behörden vom Bevollmächtigten der Kläger ärztliche Gutachten, wonach bei Frau C. K. eine Risikoschwangerschaft vorgelegen habe und nach der Niederkunft Beschwerden aufgetreten seien. Unter diesen Dokumenten befand sich ein Frau C. K. betreffender psychiatrischer Befund vom 4. Dezember 2015, dem zufolge sie und ihr Kind in der Aufnahmeeinrichtung bleiben müssten, da sie der Behandlung bedürften. Nach weiteren psychiatrischen Befunden vom 1. April, 15. April, 22. April und 13. Mai 2016 leidet Frau C. K. seit ihrer Niederkunft an einer Depression und wiederkehrenden Selbstmordgedanken, die auf die Ungewissheit über ihren Status zurückzuführen seien.

16.      Weil u. a. ein Kleinkind betroffen war, ersuchten die slowenischen Behörden die zuständigen kroatischen Stellen um Zusicherungen in Bezug auf die medizinische Versorgung der Familie in der Aufnahmeeinrichtung in Kroatien. Am 7. April 2016 erhielten sie die Zusicherung, dass Frau C. K., Herr H. F. und ihr Kind in Kroatien eine Unterkunft, angemessene Versorgung und die erforderlichen medizinischen Behandlungen erhalten würden(8).

17.      Mit Bescheid vom 5. Mai 2016 lehnten die slowenischen Behörden die Prüfung der Anträge von Frau C. K., Herrn H. F. und ihres Kindes A. S. auf internationalen Schutz ab. Der Bescheid wurde auf Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 gestützt, wonach bei einem Antragsteller, der ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

18.      Mit Urteil vom 1. Juni 2016 erklärte der Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien) den Bescheid vom 5. Mai 2016 für nichtig. Mit Beschluss vom selben Tag setzte er dessen Vollziehung bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Verwaltungsrechtsstreit aus.

19.      Mit Urteil vom 29. Juni 2016 änderte der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) das Urteil des Upravno sodišče (Verwaltungsgericht) ab und bestätigte den Bescheid vom 5. Mai 2016. Der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) ging u. a. davon aus, dass Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht anwendbar sei. Kein Bericht der Organe der Europäischen Union oder des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen belege nämlich, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien systemische Schwachstellen aufwiesen. Aus einem Bericht des Hohen Flüchtlingskommissariats gehe vielmehr hervor, dass die Situation in Kroatien, namentlich die Aufnahmebedingungen in der Aufnahmeeinrichtung von Kutina, gut seien. Diese Einrichtung, die für besonders schutzbedürftige Asylbewerber bestimmt sei, könne bis zu 100 Asylbewerber aufnehmen, beherberge aber in der Regel nur 20 bis 30. Der Zugang zu medizinischer Behandlung sei gewährleistet (einmal in der Woche kämen ein Arzt und ein Gynäkologe), und in Notfällen hätten Asylbewerber Zugang zu den örtlichen Krankenhäusern in Kutina oder Zagreb. In der Aufnahmeeinrichtung von Kutina sei jeden Tag ein Sozialarbeiter anwesend, und zweimal im Monat werde rechtliche Unterstützung angeboten.

20.      Die Kläger erhoben gegen das Urteil des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) vom 29. Juni 2016, das mittlerweile rechtskräftig geworden war, Verfassungsbeschwerde zum Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof, Slowenien).

21.      Mit Entscheidung vom 28. September 2016 hob der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) das Urteil des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) auf und verwies die Rechtssache an diesen zurück.

22.      In seiner Entscheidung vom 28. September 2016 bestätigte der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) die Auffassung des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof), dass Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht anwendbar sei, da das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien keine systemischen Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta mit sich brächten. Gleichwohl dürften die Kläger nicht nach Kroatien überstellt werden. Die slowenischen Behörden müssten nämlich bei der Prüfung, ob die Vermutung, dass die Republik Kroatien ein sicherer Staat sei, widerlegt worden sei, alle einschlägigen Gesichtspunkte, insbesondere die persönliche Situation und den Gesundheitszustand der Antragsteller, berücksichtigen. Der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) habe sich zwar damit befasst, ob Frau C. K. und ihrem Kind in Kroatien eine angemessene Gesundheitsversorgung zuteilwerde, aber nicht geprüft, ob sich die Überstellung als solche auf den Gesundheitszustand von Mutter und Kind auswirken könne. Daher wurde das Urteil des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) aufgehoben und der Rechtsstreit an ihn zurückverwiesen, damit er alle einschlägigen Gesichtspunkte prüft.

23.      Der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof), bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Erfolgt die Auslegung der Regeln für die Anwendung der Ermessensklausel nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 angesichts des Wesens dieser Bestimmung in der Weise, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten letztzuständig für die Auslegung sind und dass dabei die Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, von der Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV befreit sind?

Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird:

2.      Genügt die Prüfung der Umstände nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 (in einem Fall wie dem vorliegenden), um den Anforderungen von Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta in Verbindung mit Art. 3 EMRK sowie mit Art. 33 der Genfer Konvention zu genügen?

In Zusammenhang damit:

3.      Folgt aus der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013, dass die Anwendung der Ermessensklausel durch einen Mitgliedstaat zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes vor Verletzungen der Rechte aus Art. 4 der Charta in Fällen wie dem vorliegenden zwingend ist und es ausschließt, Personen, die internationalen Schutz begehren, in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, der seine Zuständigkeit gemäß dieser Verordnung anerkannt hat?

Für den Fall, dass die dritte Frage bejaht wird:

4.      Bietet die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 eine Grundlage dafür, dass eine Person, die internationalen Schutz begehrt, oder eine andere Person in einem Verfahren zur Überstellung aufgrund dieser Verordnung die Anwendung der Klausel verlangen kann, über die die zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte des Mitgliedstaats zu entscheiden haben, oder sind die Verwaltungsbehörden und Gerichte des Mitgliedstaats verpflichtet, die genannten Umstände von Amts wegen festzustellen?

24.      Am 1. Dezember 2016 hat der Gerichtshof beschlossen, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren nach Art. 107 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung zu unterwerfen(9). Zu den Vorlagefragen haben die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Republik Slowenien und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Parteien sowie die Italienische Republik und das Vereinigte Königreich sind außerdem in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2017 gehört worden.

IV.    Analyse

A.      Zur ersten Vorlagefrage

25.      Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht vom Gerichtshof erstens wissen, ob die Entscheidung eines Mitgliedstaats, einen Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 selbst zu prüfen, unter das nationale Recht oder unter das Unionsrecht fällt, und zweitens – falls Letzteres bejaht wird –, ob ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht verpflichtet ist, den Gerichtshof anzurufen.

26.      Die Parteien(10) stimmen darin überein, dass die Ausübung der in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen Befugnis unter das Unionsrecht fällt.

27.      Hinsichtlich des zweiten Teils der Frage vertreten die Kläger des Ausgangsverfahrens die Ansicht, der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) sei nicht verpflichtet gewesen, den Gerichtshof anzurufen, da es allein Sache des nationalen Gerichts sei, zu beurteilen, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig sei, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibe. Die slowenische Regierung ist der Auffassung, da sich der Gerichtshof noch nicht zu den Umständen der Ausübung der in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen Befugnis geäußert habe, sei ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden könnten, zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. Die Kommission trägt vor, es obliege den nationalen Gerichten, gegen deren Entscheidungen nach nationalem Recht kein gerichtlicher Rechtsbehelf gegeben sei, zu beurteilen, ob ein acte clair vorliege oder ob sie den Gerichtshof anrufen müssten.

28.      Meines Erachtens fällt die Entscheidung eines Mitgliedstaats darüber, ob er von der ihm durch Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 eröffneten Befugnis Gebrauch macht, einen Asylantrag selbst zu prüfen, obwohl er nach der Verordnung nicht dafür zuständig ist, unter das Unionsrecht.

29.      Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 wird ein Antrag auf internationalen Schutz nämlich von dem Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als für diese Prüfung zuständiger Staat bestimmt wird. Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 sieht vor, dass ein Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschließen „kann“, einen bei ihm gestellten Antrag selbst zu prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat hat somit ein Ermessen bei der Entscheidung darüber, ob er die ihm durch Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 verliehene Prüfungsbefugnis ausübt oder nicht.

30.      Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausübung des einem Mitgliedstaat zustehenden Ermessens bei der Entscheidung darüber, ob er einen Antrag prüft, dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen ist. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 65 bis 69), entschieden hat, wird der Mitgliedstaat, der beschließt, einen Antrag selbst zu prüfen, der im Sinne der Verordnung Nr. 604/2013 für diese Prüfung zuständige Mitgliedstaat und muss den oder die anderen betroffenen Mitgliedstaaten davon unterrichten. Die Ausübung des den Mitgliedstaaten durch diese Bestimmung verliehenen Ermessens ist daher Teil des Mechanismus zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats. Somit fällt die Entscheidung eines Mitgliedstaats darüber, ob er von der ihm durch Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, unter das Unionsrecht.

31.      Was die Pflicht eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts zur Anrufung des Gerichtshofs betrifft, lässt sich der ersten Vorlagefrage nur schwer entnehmen, ob das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen möchte, ob der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet gewesen wäre oder ob es selbst dazu verpflichtet sei. In der ersten Vorlagefrage ist nämlich nur von „Gerichten, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können“, die Rede, ohne sie zu benennen. Ich habe allerdings den Eindruck, dass das vorlegende Gericht vor allem seine eigenen Pflichten klären möchte, zum einen, weil es den Gerichtshof vor Erlass seines Urteils vom 29. Juni 2016 nicht angerufen hatte, und zum anderen, weil es ihn nunmehr anruft, obschon das höhere Gericht, nämlich der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof), selbst nicht den Gerichtshof angerufen hat. Daher werde ich nachfolgend prüfen, ob der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) verpflichtet ist, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorzulegen. Das ist meines Erachtens der Fall.

32.      Insoweit weise ich darauf hin, dass ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, seiner Vorlagepflicht nachkommen muss, wenn vor ihm eine Frage des Unionsrechts aufgeworfen wird, es sei denn, es hat festgestellt, dass die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt(11).

33.      Erstens nimmt der Umstand, dass Urteile des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) mit einer Verfassungsbeschwerde angefochten werden können, ihm meines Erachtens nicht die Eigenschaft als Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Im Urteil vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 72), hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die Möglichkeit, beim slowakischen Verfassungsgericht ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) einzulegen, „das auf die Prüfung einer etwaigen Verletzung der durch die innerstaatliche Verfassung oder ein internationales Übereinkommen gewährleisteten Rechte und Freiheiten beschränkt ist“, nicht den Schluss zulässt, dass der Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) nicht als ein Gericht eingestuft werden kann, dessen Entscheidungen nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Der Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) war „als Oberster Gerichtshof“ „verpflichtet, den Gerichtshof … zu befassen“. Das Gleiche gilt für den Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien). Denn eine Verfassungsbeschwerde gegen dessen Urteile ist nur wegen einer Verletzung der Grundrechte und ‑freiheiten des Beschwerdeführers möglich.

34.      Zweitens kommt es nicht darauf an, dass der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) nach nationalem Recht an die vom Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) vorgenommene Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 gebunden ist. Denn im Urteil vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 68), hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Rechtsvorschrift, nach der die Beurteilung des höheren innerstaatlichen Gerichts – dort des Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgerichtshof der Slowakischen Republik) – für ein anderes innerstaatliches Gericht – den Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) – bindend ist, dem letztgenannten Gericht nicht die Möglichkeit nehmen kann, dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, um das es bei dieser rechtlichen Beurteilung geht. Der Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) ist, wie soeben ausgeführt, ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Daher entbindet die Vorschrift des innerstaatlichen Rechts, nach der die vom nationalen Verfassungsgericht vorgenommene Auslegung für den Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) bindend ist, diesen ebenso wenig wie den Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) von seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs; dies gilt erst recht, wenn es das nationale Verfassungsgericht, wie im vorliegenden Fall, unterlassen hat, den Gerichtshof anzurufen.

35.      Was drittens die Frage betrifft, ob Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 als acte clair anzusehen ist, was den Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) von seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs entbinden würde, ist es zum einen allein Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt(12), und zum anderen geht aus der Vorlageentscheidung klar hervor, dass der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 in Anbetracht der Entscheidung des Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) vom 28. September 2016 nicht als acte clair ansieht(13).

36.      Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaats, von der ihm durch Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 gebotenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, unter das Unionsrecht fällt. Ein nationales Gericht wie das vorlegende Gericht ist als Gericht anzusehen, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, sofern die Möglichkeit, gegen seine Entscheidungen einen Rechtsbehelf beim Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats einzulegen, auf die Prüfung etwaiger Verstöße gegen Grundrechte und ‑freiheiten beschränkt ist. Insoweit spielt es keine Rolle, dass das betreffende nationale Gericht nach nationalem Recht an die Beurteilung durch das Verfassungsgericht gebunden ist.

B.      Zur zweiten Vorlagefrage

37.      Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 erfasste Fall, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem als zuständig bestimmten Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen, der einzige Fall ist, in dem sich die Überstellung des Antragstellers an diesen Mitgliedstaat als unmöglich erweist. Es möchte klären, ob die Überstellung des Antragstellers an den zuständigen Mitgliedstaat auch in anderen Fällen ausgeschlossen ist, nämlich dann, wenn wegen des Gesundheitszustands des Antragstellers die Überstellung selbst eine Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta darstellt. Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof mit anderen Worten, ob eine Überstellung des Antragstellers möglich ist, wenn Schwachstellen, die sich auf seine besondere Situation auswirken, eine Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen.

38.      Im Ausgangsverfahren sind sowohl der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) in seinem Urteil vom 29. Juni 2016 als auch der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) in seiner Entscheidung vom 28. September 2016 davon ausgegangen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien keine systemischen Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen. Im Gegensatz zum Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) hat der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) daraus jedoch nicht den Schluss gezogen, dass die Überstellung der Kläger des Ausgangsverfahrens nach Kroatien möglich sei. Er hat nämlich angenommen, dass die Vermutung, wonach die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Antragsteller beachteten, nicht nur dann widerlegt werden könne, wenn es im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 gebe, sondern auch dann, wenn der zuständige Mitgliedstaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK oder Art. 33 Abs. 1 der Genfer Konvention nicht nachkomme. Letzteres betreffe Sachverhalte, die nicht von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 erfasst würden. Infolgedessen müssten die zuständigen Behörden bei der Klärung der Frage, ob die Überstellung des Antragstellers an den zuständigen Staat möglich sei, alle einschlägigen Gesichtspunkte, insbesondere die persönliche Situation der Antragsteller und deren Gesundheitszustand, berücksichtigen. Der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) habe aber nicht geprüft, ob sich die Überstellung auf den Gesundheitszustand von Frau C. K. und ihres Kindes auswirken würde. Deshalb habe das vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) am 29. Juni 2016 erlassene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an ihn zurückverwiesen werden müssen, damit er anhand der persönlichen Situation von Frau C. K. und ihres Kindes beurteile, ob es möglich sei, sie an Kroatien zu überstellen.

39.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens sowie die italienische Regierung sind der Auffassung, dass der von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 erfasste Fall nicht der einzige Fall sei, in dem die Überstellung des Antragstellers an den zuständigen Mitgliedstaat unmöglich sei. Die slowenische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vertreten die Gegenmeinung. Die Kommission hebt insoweit hervor, die der Verordnung Nr. 604/2013 zugrunde liegende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat die Grundrechte der Antragsteller beachte, könne nur in ganz außergewöhnlichen Situationen widerlegt werden. Solche Situationen zeichneten sich durch das Vorliegen systemischer Schwachstellen aus. Auch Schwachstellen bei der Gesundheitsversorgung und der Betreuung besonders schutzbedürftiger Personen sowie die unangemessene Dauer des Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahrens seien systemische Schwachstellen. Im vorliegenden Fall seien in Kroatien keine systemischen Schwachstellen festgestellt worden. Der Gesundheitszustand von Frau C. K. sei nicht so kritisch, dass er nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) eine Überstellung unmöglich machen würde.

40.      Ich werde nachfolgend darlegen, wann es nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 unmöglich ist, einen Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, und dann auf das umfassendere Verbot der Überstellung des Antragstellers nach der Rechtsprechung des EGMR eingehen. Anschließend werde ich erläutern, weshalb die Pflicht, den Antragsteller nicht zu überstellen, meines Erachtens allein auf den von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 erfassten Fall zu beschränken ist.

1.      Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013: Berücksichtigung allein „systemischer“ Schwachstellen

41.      Wie bereits ausgeführt, sieht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 vor, dass nach der Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats anhand der Kriterien von Kapitel III der Verordnung der Antragsteller nicht an diesen Mitgliedstaat überstellt werden darf, sofern „es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der [C]harta mit sich bringen“.

42.      Weder in der Verordnung Nr. 604/2013 noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird aber definiert, was „systemische Schwachstellen“ sind.

43.      Meines Erachtens können unter „systemischen“ Schwachstellen nur solche Schwachstellen verstanden werden, die sich auf das Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaats als solches auswirken, seien es die Rechtsvorschriften, aus denen dieses System besteht, oder deren praktische Anwendung. Diese Schwachstellen müssen schwerwiegend sein, denn im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 84 und 85), hat der Gerichtshof es ausgeschlossen, dass „der geringste Verstoß“ oder „geringfügige Verstöße“ gegen die Richtlinien im Asylbereich(14) systemische Schwachstellen darstellen. Solche Schwachstellen müssen durch stichhaltige und übereinstimmende Beweise nachgewiesen werden, namentlich durch regelmäßige übereinstimmende Berichte internationaler nicht staatlicher Organisationen, des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen und der Unionsorgane(15). Da sich die Schwachstellen auf das Asylsystem als solches beziehen müssen, ist insbesondere jede Berücksichtigung von Schwachstellen ausgeschlossen, die die besondere Situation eines Antragstellers betreffen. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 verlangt somit von den Mitgliedstaaten nicht, dass sie eine Einzelfallprüfung vornehmen, um festzustellen, ob für den betreffenden Antragsteller das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im zuständigen Mitgliedstaat besteht(16).

44.      Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist eine Kodifizierung des Urteils vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865). In diesem Urteil hat die Große Kammer des Gerichtshofs ausgeführt, dass zwar die Vermutung gelten muss, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charta im Einklang steht, doch nicht ausgeschlossen werden kann, dass das gemeinsame europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt. Dies wäre der Fall, wenn systemische Mängel vorlägen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung implizieren(17). Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, „wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden“(18).

45.      Im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), war die Hellenische Republik der zuständige Mitgliedstaat. Es stand außer Zweifel, dass die Schwachstellen in diesem Mitgliedstaat das Asylsystem als solches betrafen. Denn Griechenland war elf Monate zuvor vom EGMR wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Asylbewerbern verurteilt worden(19). In Kroatien gibt es hingegen nach den Angaben des vorlegenden Gerichts keine systemischen Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013(20). Für die slowenischen Behörden ergäbe sich daher die etwaige Unmöglichkeit, die Kläger des Ausgangsverfahrens an Kroatien zu überstellen, allein aus ihrer besonderen Situation. Während Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 jede Prüfung der besonderen Situation der Antragsteller ausschließt, verlangt Art. 3 EMRK nach seiner Auslegung durch den EGMR hingegen eine solche Prüfung.

2.      Standpunkt des EGMR: Berücksichtigung der besonderen Situation des Antragstellers

46.      In seinem Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel/Schweiz (CE:ECHR:2014:1104JUD002921712)(21), hat der EGMR unter Anführung des Urteils vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), die Vermutung bekräftigt, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte von Asylbewerbern beachten. Anschließend führt er aus, dass für die Widerlegung dieser Vermutung die „Quelle der Gefahr“ unerheblich sei. Ob die Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ihre „Quelle“ im Bestehen systemischer Schwachstellen habe oder nicht, sei unerheblich. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsse, sei gehalten, „eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Rücküberstellung auszusetzen, wenn die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nachgewiesen ist“(22). Im konkreten Fall sollte der Antragsteller nach Italien überstellt werden. Der EGMR führt aus, zwar stelle die allgemeine Lage in Italien kein Hindernis für die Überstellung dar, doch sei „die Annahme, dass eine erhebliche Zahl der in dieses Land rücküberstellten Asylbewerber ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne Privatsphäre oder gar unter gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht werden könnte, nicht unbegründet“. Daher verlangt der EGMR von den Schweizer Behörden, vor der Überstellung der Antragsteller an die Italienische Republik von diesem Staat eine „individuelle Zusicherung“ einzuholen, dass sie unter Bedingungen aufgenommen werden, die den Anforderungen von Art. 3 EMRK entsprechen(23).

47.      Mit anderen Worten: Während der Gerichtshof ein Verbot der Überstellung eines Antragstellers an den zuständigen Mitgliedstaat von „systemischen“ Mängeln in diesem Mitgliedstaat abhängig macht, hält der EGMR Mängel für ausreichend, die die besondere Situation des Antragstellers betreffen.

3.      „Systemische Schwachstellen“ als einziger Fall, in dem die Überstellung unmöglich ist

48.      Steht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 auch in einem anderen als dem dort geregelten Fall des Vorliegens systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat einer Pflicht entgegen, den Antragsteller nicht zu überstellen?

49.      Meines Erachtens steht er dem entgegen.

50.      Zwar deutet nichts im Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 darauf hin, dass der von ihm erfasste Fall des Bestehens systemischer Schwachstellen der einzige Fall ist, in dem die Überstellung des Antragstellers unmöglich ist. In dieser Vorschrift heißt es nämlich, dass „es sich als unmöglich [erweist], einen Antragsteller … zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass … in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen“ bestehen. Man könnte daher annehmen, dass die Unmöglichkeit einer Überstellung andere Gründe haben kann als systemische Schwachstellen. Zudem ist es möglich, dass der Gerichtshof im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), nicht verlangen wollte, dass die Schwachstellen systemisch sein müssen, damit die Überstellung des Antragstellers unmöglich ist, sondern die Frage schlicht nicht in Betracht gezogen hat. Da die Schwachstellen in jener Rechtssache unbestreitbar systemisch waren, musste er sich nicht damit befassen, welche Folgen Schwachstellen haben, die nur die Situation des Antragstellers betreffen.

51.      Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 kann jedoch meines Erachtens nicht in diesem Sinne ausgelegt werden. Erstens lässt sich eine solche Auslegung kaum mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens vereinbaren, auf dem das gemeinsame europäische Asylsystem beruht. Insoweit ist festzustellen, dass nach dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 604/2013 „die Mitgliedstaaten, die alle den Grundsatz der Nichtzurückweisung achten, als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige [gelten]“. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens als „Eckstein“ des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts(24) verlangt deshalb von jedem Mitgliedstaat, dass er, „abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten“(25). Würde man von den Mitgliedstaaten verlangen, vor der Überstellung eines Antragstellers an den zuständigen Mitgliedstaat zu prüfen, dass in diesem Mitgliedstaat keine die besondere Situation des Antragstellers berührende Schwachstelle besteht, liefe dies aber darauf hinaus, von den Mitgliedstaaten zu verlangen, systematisch zu prüfen, ob der zuständige Mitgliedstaat die Grundrechte von Asylbewerbern beachtet. Die Auferlegung einer solchen Verpflichtung würde nicht nur den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beinträchtigen, sondern auch die praktische Wirksamkeit der Verordnung Nr. 604/2013 und den von ihr nach ihrem fünften Erwägungsgrund geschaffenen Mechanismus zur raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats(26).

52.      Zweitens kann meines Erachtens nicht davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), den Fall von Schwachstellen, die nur den Antragsteller betreffen, nicht in Betracht gezogen hat, da der Ausdruck „systemische Schwachstellen“ in den Schlussanträgen von Generalanwältin Trstenjak nicht vorkommt(27).

53.      Drittens ist der Gerichtshof keineswegs verpflichtet, dem Standpunkt des EGMR zu folgen. Zwar haben nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die darin enthaltenen Rechte, soweit sie den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, „die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der [EMRK] verliehen wird“. Nach den Erläuterungen zur Charta werden „Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte … nicht nur durch den Wortlaut [der EMRK und ihrer Protokolle], sondern auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und durch den Gerichtshof der Europäischen Union bestimmt“(28). Gleichwohl wäre es – wie Generalanwältin Trstenjak ausführt – „verfehlt …, im Rahmen der Anwendung der [C]harta die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungsquelle mit uneingeschränkter Geltung zu betrachten“(29).

54.      Viertens hat der Gerichtshof im Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 60), Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003, wonach gegen die Überstellungsentscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, dahin ausgelegt, dass ein Antragsteller, wenn ein Mitgliedstaat aufgrund eines der in der Verordnung Nr. 343/2003 festgelegten Kriterien(30) als für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig bestimmt worden ist, „der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten [kann], dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden“(31). Der Mitgliedstaat, der anhand der in der Verordnung Nr. 604/2013 aufgestellten Kriterien als zuständig bestimmt worden ist, verliert seine Zuständigkeit mit anderen Worten nur dann, wenn sein Asylverfahren und seine Aufnahmebedingungen systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung aufweisen. Er verliert sie also nicht, wenn die Schwachstellen nur die besondere Situation des Antragstellers betreffen.

55.      Der Gerichtshof hat zwar im Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 61), entschieden, dass „ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III [der] Verordnung [Nr. 604/2013] festgelegten Zuständigkeitskriteriums … geltend machen kann“. In dieser Rechtssache hatte der Antragsteller aber nicht geltend gemacht, dass für ihn das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im zuständigen Mitgliedstaat bestehe(32). Der Gerichtshof hat sich daher zu dieser Frage nicht geäußert. Folglich kann aus dem Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409), nicht abgeleitet werden, dass das Vorliegen systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat nicht der einzige Fall ist, in dem dieser Mitgliedstaat seine Zuständigkeit verliert und der Antragsteller nicht an ihn überstellt werden darf.

56.      Ich bin daher der Auffassung, dass das Vorliegen systemischer Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 der einzige Fall ist, in dem die Überstellung des Antragstellers nicht möglich ist. Wenn Schwachstellen, die die besondere Situation des Antragstellers betreffen, eine Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta darstellen, halte ich die Überstellung des Antragstellers an den zuständigen Mitgliedstaat nicht für unmöglich.

57.      Im vorliegenden Fall machen die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend, dass die Überstellung von Frau C. K. und ihres Kindes nach Kroatien in Anbetracht ihres Gesundheitszustands die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta mit sich bringe. Eine Prüfung, ob sich die Überstellung auf den Gesundheitszustand von Frau C. K. und ihres Kindes auswirken kann, liefe aber auf eine Berücksichtigung ihrer besonderen Situation hinaus, was, wie wir gesehen haben, Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 widerspräche. Davon abgesehen haben die slowenischen Behörden im vorliegenden Fall von den entsprechenden kroatischen Stellen die Zusicherung erhalten, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens eine Unterkunft, angemessene Versorgung und die erforderliche medizinische Behandlung erhalten werden.

58.      Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 dem entgegensteht, dass der Mitgliedstaat, der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, in einem anderen als dem von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 erfassten Fall systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen, gehalten ist, den Antragsteller nicht an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Es ist insbesondere nicht unmöglich, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn die Überstellung als solche eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringt.

C.      Zur dritten Vorlagefrage

59.      Die dritte Frage wird für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof auf die zweite Frage antwortet, dass Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 dem nicht entgegensteht, dass die Mitgliedstaaten in anderen als dem von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 erfassten Fall gehalten sind, den Antragsteller nicht zu überstellen. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, wenn er gehalten ist, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, von der ihm durch diese Vorschrift eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen und selbst den Antrag auf internationalen Schutz prüfen muss.

60.      In Anbetracht der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die zweite Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten. Hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof meine Analyse der zweiten Frage nicht teilen sollte, werde ich die dritte Frage jedoch prüfen.

61.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens vertreten die Ansicht, die Ausübung der in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen Befugnis sei obligatorisch, wenn für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im zuständigen Mitgliedstaat bestehe. Die slowenische Regierung, die italienische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission sind der Auffassung, dass Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 keine solche Verpflichtung entnommen werden könne.

62.      Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vermag meines Erachtens keine Verpflichtung zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zu begründen, wenn es unmöglich ist, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen.

63.      Eine solche Auslegung liefe nämlich erstens dem Wortlaut von Art. 17 der Verordnung Nr. 604/2013 zuwider. Er stellt, wie aus seiner Überschrift hervorgeht, eine „Ermessensklausel“ dar. Art. 17 Abs. 1 sieht ausdrücklich vor, dass der Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag gestellt wird, beschließen „kann“, diesen Antrag zu prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

64.      Zweitens hat der Gerichtshof im Urteil vom 14. November 2013, Puid (C‑4/11, EU:C:2013:740, Rn. 37), entschieden, dass „die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als solche nicht zur Folge [hat], dass der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat verpflichtet ist, den Asylantrag auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [Nr. 343/2003, der Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 entspricht,] selbst zu prüfen“. Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 96), entschieden, dass im Fall der Unmöglichkeit einer Überstellung eines Antragstellers die Prüfung des Antrags durch den Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, eine bloße „Befugnis“ ist. Schließlich hat der Gerichtshof zu Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013, der ebenfalls unter der Überschrift „Ermessensklauseln“ steht, entschieden, dass es sich um „eine fakultative Bestimmung [handelt], die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen … einräumt“(33).

65.      Drittens ist Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 als „Souveränitätsklausel“ eingestuft worden(34). Im Urteil vom 30. Mai 2013, Halaf (C‑528/11, EU:C:2013:342, Rn. 37), hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass in dem Vorschlag der Kommission, der zum Erlass der Verordnung Nr. 343/2003 geführt hat, „erläutert [wird], dass die in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung enthaltene Bestimmung eingeführt wurde, damit sich jeder Mitgliedstaat aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen bereit erklären kann, einen Asylantrag zu prüfen“. Daher wäre es paradox, wenn die Anwendung dieser Bestimmung zur Pflicht des betreffenden Mitgliedstaats gemacht würde.

66.      Viertens möchte die Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der Verordnung Nr. 604/2013(35) sogar die Befugnis zur Anwendung der Souveränitätsklausel einschränken. Art. 19 Abs. 1 ihres Vorschlags sieht nämlich vor, dass „jeder Mitgliedstaat beschließen [kann], einen in ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz aus familiären Gründen in Bezug auf die nicht unter Artikel 2 Buchstabe g fallende erweiterte Familie[, zu der der Ehegatte oder Partner des Antragstellers, dessen minderjährige Kinder und, wenn er minderjährig ist, sein Vater und seine Mutter gehören,] zu prüfen“(36). Wenn sogar die Befugnis zur Prüfung des Antrags auf der Grundlage der Souveränitätsklausel beschränkt ist, kann von einer Pflicht keine Rede sein(37).

67.      Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass ein Mitgliedstaat, wenn er gehalten ist, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, den bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz selbst prüfen muss, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für diese Prüfung zuständig ist.

D.      Zur vierten Vorlagefrage

68.      Die vierte Frage wird für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof bei der Beantwortung der dritten Frage die Auffassung vertreten sollte, dass ein Mitgliedstaat, wenn er gehalten ist, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, den Antrag auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 selbst prüfen muss. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte des Mitgliedstaats, der die Überstellung vornehmen muss, Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 von Amts wegen anzuwenden haben.

69.      Angesichts der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die dritte Frage ist die vierte Frage meines Erachtens nicht zu beantworten. Hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof meine Analyse der dritten Frage nicht teilen sollte, werde ich die vierte Frage jedoch prüfen.

70.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens vertreten die Auffassung, sobald der Antragsteller eine „vertretbare Rüge“ erhebe, wonach ihn seine Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat einer Verletzung seiner Grundrechte aussetze, seien die zuständigen Verwaltungsbehörden oder Gerichte verpflichtet, Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 von Amts wegen anzuwenden. Die slowenische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission sind der Ansicht, die zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte seien nicht verpflichtet, diese Bestimmung von Amts wegen anzuwenden. Sie heben hervor, dass die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 eine Befugnis des betreffenden Mitgliedstaats sei und kein Recht des Antragstellers.

71.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, entsprechende Regeln aufzustellen, die jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als die Regeln für gleichartige dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz)(38).

72.      Vorliegend enthält die Verordnung Nr. 604/2013 zwar Verfahrensvorschriften (Kapitel II und VI), aber keine Angaben zur Befugnis oder Pflicht der Verwaltungsbehörden und Gerichte, von Amts wegen zu prüfen, ob für den Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht, so dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornimmt, den Antrag auf internationalen Schutz selbst prüfen müsste. Daher ist anhand der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu klären, ob die nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte gehalten sind, von Amts wegen ein Vorbringen zu prüfen, das einen Verstoß gegen Art. 4 der Charta und die Anwendung von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 betrifft.

73.      Aus der Vorlageentscheidung geht aber hervor, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens bereits im Verwaltungsverfahren ihrer Überstellung nach Kroatien mit der Begründung widersprechen konnten, dass sie dadurch der Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt würden. Daher erscheint mir die Frage hypothetisch und somit unzulässig(39).

74.      Ich schlage daher vor, die vierte Vorlagefrage als unzulässig zu verwerfen.

V.      Ergebnis

75.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) wie folgt zu beantworten:

In erster Linie:

1.      Die Entscheidung eines Mitgliedstaats, von der ihm durch Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), gebotenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, fällt unter das Unionsrecht.

2.      Ein nationales Gericht wie das vorlegende Gericht ist als Gericht anzusehen, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, sofern die Möglichkeit, gegen seine Entscheidungen einen Rechtsbehelf beim Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats einzulegen, auf die Prüfung etwaiger Verstöße gegen Grundrechte und ‑freiheiten beschränkt ist. Insoweit spielt es keine Rolle, dass das betreffende nationale Gericht nach nationalem Recht an die Beurteilung durch das Verfassungsgericht gebunden ist.

3.      Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 steht dem entgegen, dass der Mitgliedstaat, der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, in einem anderen als dem von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 erfassten Fall systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen, gehalten ist, den Antragsteller nicht an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Es ist insbesondere nicht unmöglich, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn die Überstellung als solche eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringt.

Hilfsweise:

4.      Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 kann nicht dahin ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat, wenn er gehalten ist, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, den bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz selbst prüfen muss, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für diese Prüfung zuständig ist.

5.      Die vierte Vorlagefrage ist unzulässig.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2013, L 180, S. 31.


3      Durch die Verordnung Nr. 604/2013 wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), aufgehoben und ersetzt. Die Verordnung Nr. 343/2003 ersetzte ihrerseits das am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichnete Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1). Weil dieses Übereinkommen in Dublin unterzeichnet worden war, ist die Verordnung Nr. 343/2003 unter dem Namen „Dublin-II-Verordnung“ und die Verordnung Nr. 604/2013 unter dem Namen „Dublin-III-Verordnung“ bekannt.


4      Hailbronner, K., und Thym, D., „Legal Framework for EU Asylum Policy“, in Hailbronner, K., und Thym, D., EU Immigration and Asylum Law.A Commentary, Beck – Hart – Nomos, 2016, S. 1024 bis 1054 (S. 1024).


5      Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013.


6      Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet am 28. Juli 1951 in Genf und ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.


7      Dies geht aus den Erklärungen der slowenischen Regierung hervor, denen die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht widersprochen haben.


8      Dies geht aus den Erklärungen der slowenischen Regierung hervor, denen die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht widersprochen haben.


9      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht auf ein Klarstellungsersuchen des Gerichtshofs geantwortet hat, die Vollziehung des Bescheids vom 5. Mai 2016 sei nicht ausgesetzt, und dass der Gerichtshof aus diesem Grund beschlossen hat, das vorliegende Ersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen. Die (derzeit beim Gerichtshof anhängige) Rechtssache A. S. (C‑490/16) hingegen, in der dasselbe Gericht – der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) – den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung Nr. 604/2013 ersucht hat, ist trotz eines entsprechenden Antrags des vorlegenden Gerichts nicht dem Eilvorabentscheidungsverfahren unterworfen worden, weil in dieser Rechtssache die Überstellungsentscheidung ausgesetzt worden ist.


10      Allerdings haben weder die italienische Regierung noch die Regierung des Vereinigten Königreichs Erklärungen zur ersten Vorlagefrage abgegeben.


11      Urteil vom 9. September 2015, X und van Dijk (C‑72/14 und C‑197/14, EU:C:2015:564, Rn. 55).


12      Urteil vom 9. September 2015, X und van Dijk (C‑72/14 und C‑197/14, EU:C:2015:564, Rn. 58).


13      Insoweit ist hinzuzufügen, dass der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) nach den Angaben in der Vorlageentscheidung den Gerichtshof vor Erlass des Urteils vom 29. Juni 2016 deshalb nicht angerufen hatte, weil er Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 als acte clair ansah. Erst im Anschluss an die Entscheidung des Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) vom 28. September 2016, die von der bisherigen slowenischen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis abweicht, sind dem vorlegenden Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung dieser Vorschrift gekommen.


14      Es handelt sich um die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9), die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) und die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96).


15      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 91).


16      Vgl. Hruschka, C., und Maiani, F., „Dublin III Regulation (EU) No 604/2013“, in Hailbronner, K., und Thym, D., EU Immigration and Asylum Law.A Commentary, Beck – Hart – Nomos, 2016, S. 1479 bis 1605 (S. 1499).


17      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 80, 81 und 86).


18      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 94). Als dieses Urteil erging, galt nicht die Verordnung Nr. 604/2013, sondern ihre Vorgängerin, die Verordnung Nr. 343/2003. Die Verordnung Nr. 343/2003 enthielt keine Bestimmung über die Unmöglichkeit der Überstellung eines Antragstellers an einen Mitgliedstaat, in dem für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestand. Daher hat der Gerichtshof in diesem Urteil eine Pflicht, ihn nicht zu überstellen, aus Art. 4 der Charta abgeleitet.


19      Urteil des EGMR vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland (CE:ECHR:2011:0121JUD 003069609, §§ 233, 264 und 321).


20      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass jede Beurteilung des Sachverhalts der Rechtssache in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt (Urteil vom 16. September 1999, WWF u. a., C‑435/97, EU:C:1999:418, Rn. 32).


21      Auf dieses Urteil wird in der Vorlageentscheidung verwiesen.


22      Urteil des EGMR vom 4. November 2014, Tarakhel/Schweiz (CE:ECHR:2014:1104JUD002921712, §§ 103 und 104) (Hervorhebung nur hier).


23      Urteil des EGMR vom 4. November 2014, Tarakhel/Schweiz (CE:ECHR:2014:1104JUD002921712, §§ 114, 115 und 120 bis 122).


24      Schlussanträge von Generalanwalt Bot in den Rechtssachen Aranyosi und Căldăraru (C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:140, Nr. 4).


25      Gutachten 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 191).


26      Vgl. hierzu Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Puid (C‑4/11, EU:C:2013:244, Nrn. 61 und 62).


27      Generalanwältin Trstenjak verlangt lediglich die „ernsthafte Gefahr einer Verletzung [der den Antragstellern] in der [C]harta verbürgten Grundrechte“, ohne den systemischen Charakter einer solchen Beeinträchtigung der Grundrechte zu erwähnen (Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in den verbundenen Rechtssachen N. S., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:610, Nr. 127).


28      ABl. 2007, C 303, S. 17.


29      Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in den verbundenen Rechtssachen N. S. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:610, Nr. 146).


30      Es handelte sich um das in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 vorgesehene Kriterium, wonach der Mitgliedstaat zuständig war, dessen Grenze der aus einem Drittstaat kommende Asylbewerber illegal überschritten hatte.


31      Hervorhebung nur hier.


32      Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:186, Nr. 52).


33      Urteil vom 6. November 2012, K (C‑245/11, EU:C:2012:685, Rn. 27).


34      Vgl. Hruschka, C., und Maiani, F., „Dublin III Regulation (EU) No 604/2013“, in Hailbronner, K., und Thym, D., EU Immigration and Asylum Law.A Commentary, Beck – Hart – Nomos, 2016, S. 1479 bis 1605 (S. 1534).


35      Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (COM[2016] 270 final).


36      Hervorhebung nur hier. Die Kommission schlägt ferner vor, den 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 604/2013 in der Weise umzuformulieren, dass die Verwendung der Souveränitätsklausel „nur im Ausnahmefall geschehen [sollte]“, weil sie von den in der Verordnung Nr. 604/2013 aufgestellten Kriterien abweicht und unter Umständen die Wirksamkeit des Systems beeinträchtigt.


37      Die Kommission hatte allerdings bereits im Vorschlag für die Änderung der Richtlinie Nr. 343/2003 angeregt, die Souveränitätsklausel dahin gehend zu ändern, dass „jeder Mitgliedstaat insbesondere aus humanitären Gründen … beschließen [kann], einen … Antrag … zu prüfen, auch wenn er … nicht für die Prüfung zuständig ist“ (Hervorhebung nur hier), aber dem wurde nicht gefolgt. Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (KOM[2008] 820 endgültig).


38      Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 24).


39      Urteil vom 13. März 2014, Márquez Samohano (C‑190/13, EU:C:2014:146, Rn. 35).