Language of document : ECLI:EU:C:2005:700

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS G. JACOBS

vom 17. November 20051(1)

Rechtssache C‑493/04

L. H. Piatkowski

gegen

Inspecteur van de Belastingdienst/Grote ondernemingen Eindhoven






1.        In dieser Rechtssache hat der Gerechtshof ’s-Hertogenbosch (regionales Berufungsgericht ’s-Hertogenbosch) gefragt, ob es das Gemeinschaftsrecht den Niederlanden verwehrt, Beiträge zu den Volksversicherungen (im Folgenden auch: Sozialversicherungsbeiträge) auf Zinseinkünfte zu erheben, die eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft an einen in Belgien wohnhaften niederländischen Staatsangehörigen gezahlt hat, auf den nach der Verordnung Nr. 1408/71 sowohl die niederländischen als auch die belgischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung finden(2).

2.        Diese Frage stellt sich in einem Verfahren zwischen dem Kläger Piatkowski und dem Inspecteur der zuständigen Steuerbehörde (im Folgenden: Inspecteur).

 Das einschlägige Gemeinschaftsrecht

3.        Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 enthält eine Reihe von Kollisionsnormen, die die für die unter den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Personen geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bestimmen. Diese Normen beruhen auf dem Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger zu einer bestimmten Zeit den Vorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt („Grundsatz der Anwendung nur eines Rechts“). Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 enthält daher die folgende allgemeine Regelung:

„Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.“

4.        Der Grundsatz der Anwendung nur eines Rechts gilt für Personen, die in mehr als einem Mitgliedstaat abhängig beschäftigt sind(3), für Personen, die eine selbständige Tätigkeit in mehr als einem Mitgliedstaat ausüben(4), sowie für Personen, die in einem Mitgliedstaat abhängig beschäftigt sind und in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausüben(5).

5.        Wie Artikel 13 Absatz 1 zu entnehmen ist, enthält Titel II nur zwei Ausnahmen von diesem Grundsatz.

6.        Artikel 14f betrifft Beamte, die gleichzeitig in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind; um diese Bestimmung geht es im vorliegenden Fall nicht.

7.        Artikel 14c Buchstabe a enthält die allgemeine Regelung, dass eine Person, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sie eine abhängige Beschäftigung ausübt.

8.        Artikel 14c Buchstabe b schränkt diese Regel in bestimmten Fällen ein; er lautet:

„Eine Person, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt:

b)      in den in Anhang VII aufgeführten Fällen

–      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie eine abhängige Beschäftigung ausübt, … und

–      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie eine selbständige Tätigkeit ausübt, …“

9.        Anhang VII der Verordnung Nr. 1408/71 listet unter den Fällen, in denen eine Person gleichzeitig den Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten unterliegt, Folgendes auf:

„1. Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Belgien und einer abhängigen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat“.

 Einschlägiges nationales Recht

10.      Zum maßgeblichen Zeitpunkt sah das niederländische Recht der sozialen Sicherheit vor, dass eine nicht gebietsansässige, in den Niederlanden lohnsteuerpflichtige Person nach den vier allgemeinen Regelungen des niederländischen Sozialversicherungssystems pflichtversichert war(6).

11.      Eine solche Person war auch verpflichtet, Beiträge zu den Volksversicherungen zu entrichten(7).

12.      Im Fall einer nicht gebietsansässigen Person wurde die Höhe der Beiträge nach Maßgabe des steuerpflichtigen inländischen Einkommens des Versicherten im Sinne der Wet op de inkomstenbelasting (Einkommensteuergesetz) 1964 festgesetzt(8).

13.      Das steuerpflichtige inländische Einkommen wurde als das Bruttoinlandseinkommen(9) definiert, was wiederum definiert wurde als alle Einkünfte einschließlich i) Einkünften aus abhängiger Beschäftigung und ii) Nettoeinkünften aus Forderungen zu Lasten einer in den Niederlanden ansässigen Gesellschaft, wenn der Nutznießer eine erhebliche Beteiligung an dieser Gesellschaft hatte und diese Beteiligung nicht zu dem Vermögen des Unternehmens gehörte(10).

14.      Demgegenüber wurde im Fall eines Gebietsansässigen die Höhe der Beiträge zur Volksversicherung unter Bezugnahme auf das weltweite Einkommen des Versicherten im Sinne der Wet op de inkomstenbelasting festgelegt.

 Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfrage

15.      Das vorlegende Gericht führt zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens Folgendes aus.

16.      Der Kläger Piatkowski, der niederländischer Staatsangehöriger ist, lebte bis 1996, als er nach Belgien umzog, in den Niederlanden. Er war während des ganzen Jahres 1998 in Belgien wohnhaft und arbeitete in diesem Jahr sowohl in den Niederlanden als auch in Belgien.

17.      In den Niederlanden arbeitete er als Direktor der Vanderheide Beheer BV (im Folgenden: Vanderheide BV), einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden. Die Vanderheide BV ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Marlon NV, einer Gesellschaft mit Sitz in Belgien, deren Anteile sämtlich vom Kläger und seiner Ehefrau gehalten werden. Das Einkommen des Klägers bei der Vanderheide BV wird in den Niederlanden als Einkommen aus abhängiger Beschäftigung besteuert; dementsprechend war er nach den niederländischen Rechtsvorschriften über die Volksversicherungen pflichtversichert und somit beitragspflichtig.

18.      In Belgien arbeitete der Kläger als Manager einer oder mehrerer Firmen mit Sitz in Belgien. Nach dem belgischen Recht der sozialen Sicherheit gelten diese Tätigkeiten als selbständige Tätigkeiten.

19.      Der Kläger hatte eine Forderung gegen die DuvedeC BV, eine Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, an der die Vanderheide BV 41 % der Anteile hielt. 1998 erhielt der Kläger auf diese Forderung eine Zinszahlung. Da diese Zinszahlung den Tatbestand des Artikels 49 Absatz 1 Buchstabe c Nummer 4 der Wet op de inkomstenbelasting(11) erfüllte, stellte sie nach niederländischem Recht einen Teil des steuerpflichtigen inländischen Einkommens des Klägers dar.

20.      Der Inspecteur bezog daher die Zinszahlung in die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der 1998 vom Kläger in den Niederlanden geschuldeten Beiträge zu den Volksversicherungen ein.

21.      In Belgien wurde die Zinszahlung nicht in die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge des Klägers für dieses Jahr einbezogen(12).

22.      Nach Auffassung des Klägers ist nach der Verordnung Nr. 1408/71 Belgien aufgrund seines Wohnsitzes für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen auf die Zinsen zuständig.

23.      Das vorlegende Gericht ist sich der richtigen Auslegung des Artikels 14c Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 nicht sicher. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verwehrt es das Gemeinschaftsrecht, insbesondere das Recht auf Freizügigkeit und Artikel 14c Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 (Wortlaut von 1998), den Niederlanden, einen Sozialversicherungsbeitrag auf Zinseinkünfte zu erheben, die eine Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden an eine in Belgien wohnhafte Person gezahlt hat, auf die nach Artikel 14c Buchstabe b in Verbindung mit Anhang VII Teil 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sowohl die niederländischen als auch die belgischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung finden?

24.      Schriftliche Erklärungen haben die niederländische Regierung und die Kommission eingereicht. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt und hat nicht stattgefunden.

 Würdigung

25.      Sowohl die niederländische Regierung als auch die Kommission sind der Auffassung, dass die Vorabentscheidungsfrage zu verneinen sei. Ich stimme dem zu.

 Anwendbares Recht

26.      Dem ersten Anschein nach fällt der Sachverhalt eindeutig in den Anwendungsbereich von Artikel 14c Buchstabe b: Der Kläger „[übt] im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit aus …“, und erfüllt damit den allgemeinen Tatbestand von Artikel 14c; insbesondere geht er „einer selbständigen Tätigkeit in Belgien und einer abhängigen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat“ im Sinne von Anhang VII nach und erfüllt damit den besonderen Tatbestand von Artikel 14c Buchstabe b.

27.      Hierfür bestimmt Artikel 14c Buchstabe b, dass er – abweichend von der in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen allgemeinen Regelung, dass die Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen – den Rechtsvorschriften der beiden betroffenen Mitgliedstaaten unterliegt.

28.      Der vorliegende Fall kann von den früheren Fällen unterschieden werden, in denen der Gerichtshof Artikel 14c Buchstabe b ausgelegt hat(13). Diese Fälle betrafen allesamt die Frage, ob ein Versicherter, der sich in einer ähnlichen Lage befand wie der Kläger, aufgrund dieser Bestimmung verpflichtet werden konnte, Beiträge zu zwei getrennten Systemen der sozialen Sicherheit zu entrichten. In den Rechtssachen De Jaeck und Hervein I wurde vorgetragen, dass Direktoren von Gesellschaften tatsächlich selbständig seien, auch wenn der betreffende Mitgliedstaat(14) sie als abhängig beschäftigt eingeordnet habe; nach Artikel 14a Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71(15) unterliege der Betroffene daher in jedem der Fälle den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften nur des Wohnsitzmitgliedstaats. Der Gerichtshof entschied in allen diesen Fällen, dass in den Artikeln 14a und 14c unter „abhängiger Beschäftigung“ und „selbständiger Tätigkeit“ die Tätigkeiten zu verstehen seien, die für die Zwecke des Rechts der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet diese Tätigkeiten ausgeübt würden, als solche angesehen würden. Im Urteil Hervein II brachten die Betroffenen vor, dass Artikel 14c Buchstabe b (damals Artikel 14c Absatz 1 Buchstabe b)(16) und Anhang VII in Widerspruch zu den Artikeln 39 EG und 43 EG stünden, soweit sie vorsähen, dass Personen, die in einem Mitgliedstaat abhängig beschäftigt und in einem anderen Mitgliedstaat selbständig tätig seien, den Rechtsvorschriften dieser beiden Mitgliedstaaten unterlägen. Der Gerichtshof ist dem nicht gefolgt.

29.      Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger nicht, dass er zwei verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit unterliege, wendet sich aber dagegen, dass die Niederlande und nicht Belgien die Zinszahlung in die Bemessungsgrundlage einbeziehen wollen. Der Kläger ist der Ansicht, dass dies gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße.

30.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Artikel 14c Buchstabe b in seiner ursprünglichen Fassung(17) die gleichzeitige Anwendung der Rechtsvorschriften jedes der betroffenen Mitgliedstaaten „in Bezug auf die in ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit“ vorsah; nach dieser Fassung konnte jeder der betroffenen Mitgliedstaaten Versicherungsbeiträge nur auf das in seinem Gebiet erzielte Einkommen erheben(18). Das vorlegende Gericht sieht, dass die derzeitige Fassung des Artikels 14c Buchstabe b keine Entsprechung hierfür enthält, stellt aber fest, dass die Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 3811/86(19), die diese Fassung mit Wirkung ab 1. Januar 1987 eingeführt habe, keinen Anhaltspunkt dafür lieferten, dass irgendeine materielle Änderung beabsichtigt worden sei. Müsste die derzeitige Fassung des Artikels 14c Buchstabe b ebenso verstanden werden wie die frühere, so wäre im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob die Zinszahlung in Belgien oder in den Niederlanden erzieltes Einkommen sei.

31.      Wie jedoch die niederländische Regierung im vorliegenden Fall hervorhebt, wurde die Wendung „in Bezug auf die in ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit“ überflüssig, als der Wortlaut der Bestimmung geändert wurde. In seiner ursprünglichen Fassung lautete Artikel 14c Absatz 1 Buchstabe b wie folgt:

„Eine Person, die gleichzeitig im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist und eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt, unterliegt:

b)      in den in Anhang VII aufgeführten Fällen den Rechtsvorschriften jedes dieser Mitgliedstaaten in Bezug auf die in ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit.“

32.      In der geänderten Fassung ist nunmehr jedoch impliziert, dass in den in Anhang VII aufgeführten Fällen der Versicherte in Bezug auf die abhängige Beschäftigung den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er abhängig beschäftigt ist, und in Bezug auf die selbständige Tätigkeit den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dem er selbständig tätig ist.

33.      Ich halte daher an der in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hervein II geäußerten Auffassung fest, dass die Streichung der Wendung „in Bezug auf die in ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit“ in Artikel 14c Absatz 1 Buchstabe b im Rahmen der Änderung dieser Bestimmung durch die Verordnung Nr. 3811/86 die materielle Bedeutung dieser Vorschrift nicht geändert hat(20). Dies bedeutet jedoch nur, dass, wie ich ebenfalls in der Rechtssache Hervein II feststellte, Personen, die unter Artikel 14c Buchstabe b fallen, nicht verpflichtet werden können, für dieselben Einkünfte Beiträge in mehreren Mitgliedstaaten zu entrichten(21). Das ist ein elementares, der Verordnung Nr. 1408/71 zugrunde liegendes Prinzip(22). Im vorliegenden Fall gibt es keinen Hinweis auf eine solche doppelte Beitragserhebung: Das vorlegende Gericht stellt nämlich ausdrücklich fest, dass die Zinsen bei der Berechnung der Höhe der Beiträge in Belgien nicht berücksichtigt werden.

 Einbeziehung der Zinszahlung in die Bemessungsgrundlage

34.      Was im vorliegenden Fall streitig ist, ist vielmehr, dass der Beitrag des Klägers in den Niederlanden durch die Einbeziehung der Zinsen in die Bemessungsgrundlage steigt. Der Kläger scheint der Auffassung zu sein, dass Belgien für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen auf diese Zahlung zuständig sei und dass sie daher bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage der Beiträge zu den Volksversicherungen in den Niederlanden nicht berücksichtigt werden dürfe. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass es „in der Verordnung … keinen klaren Anknüpfungspunkt für eine ausschließliche Zurechnung von Zinseinkünften an einen der betroffenen Mitgliedstaaten gefunden [hat]“.

35.      Der einzige Zweck der Regelungen in Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 besteht darin, die Rechtsvorschriften zu bestimmen, die für die unter die Verordnung fallenden Personen gelten. Damit legen sie nicht fest, unter welchen Voraussetzungen eine Person einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann oder muss. Es ist Sache des Rechts jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen(23). Sobald daher nach den relevanten Regelungen des Titels II festgestellt ist, dass das Recht eines bestimmten Mitgliedstaats gilt, ist es Sache dieses Mitgliedstaats, die Einkünfte zu definieren, die bei der Berechnung der zu seinem System der sozialen Sicherheit zu entrichtenden Beiträge zu berücksichtigen sind.

36.      Der Gerichtshof ist dem Vorbringen gefolgt, dass es einem Mitgliedstaat, dessen Recht kraft der Verordnung Nr. 1408/71 gilt, freisteht, die Einzelheiten der Finanzierung seines Systems der sozialen Sicherheit festzulegen(24), und er hat außerdem in dem weiteren Zusammenhang der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer festgestellt, dass es „mangels einer gemeinschaftlichen Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten [ist], zu bestimmen, welche Einkünfte bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind“(25).

37.      Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat abhängig beschäftigt ist und zugleich in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausübt, in den in Anhang VII aufgeführten Fällen gleichzeitig den Rechtsvorschriften jedes dieser Staaten unterliegt und „somit verpflichtet [ist], die Beiträge zu entrichten, die ihr gegebenenfalls von den Rechtsvorschriften eines der beiden Staaten auferlegt werden“(26). Die Verordnung Nr. 1408/71 „[belässt] den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Regelung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für die Festsetzung der Höhe der … verlangten Beiträge“(27). Es ist notwendige Folge des durch die Verordnung Nr. 1408/71 errichteten Systems der Koordinierung, das in Titel II die Bestimmung der Rechtsvorschriften betrifft, die für abhängig Beschäftigte und Selbständige gelten, die unter verschiedenen Umständen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, dass die Höhe der für die Ausübung ein und derselben Tätigkeit zu entrichtenden Beiträge sich je nach dem Mitgliedstaat, in dem diese Tätigkeit ganz oder teilweise ausgeübt wird, oder je nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit, denen die betreffende Tätigkeit unterliegt, unterscheidet(28).

38.      Ich stimme daher der Kommission zu, dass die Einbeziehung der in Rede stehenden Zinsen in die Bemessungsgrundlage schlichte Folge des Umstands ist, dass nach Artikel 14c das niederländische Recht in seiner Gesamtheit mit all den Vor- und Nachteilen, die dies mit sich bringt, auf den Kläger Anwendung findet.

 Beschränkungen der nationalen Zuständigkeit in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit

39.      Die Rechtsprechung hat der Ausübung der Befugnisse der Mitgliedstaaten, die diese auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit haben, einige Beschränkungen auferlegt: Sie müssen z. B. sicherstellen, dass ihre sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften kein Hindernis für die wirksame Ausübung der vom EG-Vertrag garantierten Freiheiten darstellen, und insbesondere, dass ein Wanderarbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, gegenüber einem sesshaften Arbeitnehmer nicht benachteiligt wird(29).

40.      Im vorliegenden Fall jedoch wird der Kläger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte, indem er seinen Wohnsitz von den Niederlanden nach Belgien verlegte, hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Zinszahlung gegenüber einem sesshaften Arbeitnehmer nicht benachteiligt. Es ist wohl unstreitig, dass die Zinszahlung, wäre der Kläger nicht nach Belgien gezogen, sondern in den Niederlanden wohnhaft geblieben, in den Niederlanden ebenso behandelt und in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden wäre (obwohl diese Frage letztlich natürlich Sache des nationalen Gerichts ist).

41.      Das vorlegende Gericht zitiert auch die Rechtsprechung, nach der die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats gegen die Artikel 39 EG und 43 EG verstoßen, wenn die Beiträge, die ein Versicherter entrichten muss, ihm keinerlei zusätzlichen sozialen Schutz bieten(30). Im vorliegenden Fall stellt das vorlegende Gericht zwar fest, dass die vom Kläger auf die Zinsen zu entrichtenden Beiträge durch keine entsprechende Gegenleistung in Form sozialen Schutzes ausgeglichen würden, bezweifelt aber, dass dies die Freizügigkeit einschränkt, da von jeder Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge behauptet werden könne, dass es für diese Erhöhung keine Gegenleistung in Form sozialen Schutzes gebe.

42.      Ich stimme zu, dass der bloße Umstand, dass Beiträge eines Versicherten steigen, weil der betreffende Mitgliedstaat Einkünfte aus einer besonderen Quelle berücksichtigt, nicht als solcher als ein Hindernis für die Freizügigkeit dieser Person betrachtet werden kann. Wie die niederländische Regierung und die Kommission vorbringen, führt der auf die Zinsen erhobene Beitrag zwar nicht zu einem spezifischen zusätzlichen sozialen Schutz, da der Kläger bereits abgesichert ist; entscheidend ist aber, dass der Verpflichtung einer Person zur Beitragsleistung ein sozialer Schutz gegenübersteht. Der Umfang des Schutzes und die genaue Methode der Beitragsberechnung sind nicht relevant. Die oben angeführte Rechtsprechung(31) betraf Situationen, in denen die Beitragsleistung zu dem System der sozialen Sicherheit eines bestimmten Mitgliedstaats den betroffenen Arbeitnehmern keinen Anspruch auf soziale Leistungen(32) oder zusätzlichen sozialen Schutz(33) oder soziale Absicherung(34) gab. Der vorliegende Fall liegt m. E. anders: Aufgrund seiner Beiträge zu dem niederländischen System stehen dem Kläger Ansprüche auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung, Familienzulagen und Abdeckung besonderer Krankheitskosten zu.

43.      Schließlich fragt das vorlegende Gericht, ob es mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vereinbar wäre, wenn sowohl die Niederlande als auch Belgien Sozialversicherungsbeiträge auf die Zinsen erhöben. Da dieser Sachverhalt jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben ist, ist es nicht angebracht, dass sich der Gerichtshof zu dieser Frage äußert.

 Ergebnis

44.      Ich schlage daher vor, die vom Gerechtshof ’s-Hertogenbosch vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Weder die Artikel 39 EG und 43 EG noch Artikel 14c Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, verwehren einem Mitgliedstaat, Sozialversicherungsbeiträge auf Zinseinkünfte zu erheben, die eine Gesellschaft mit Sitz in diesem Mitgliedstaat an eine in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafte Person gezahlt hat, auf die nach Artikel 14c Buchstabe b in Verbindung mit Anhang VII der Verordnung Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit dieser beiden Staaten Anwendung finden.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2). Der Text der Verordnung in ihrer geänderten Fassung ist in Teil I des Anhangs A der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1997, L 28, S. 1) zu finden. Die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Bestimmungen sind ferner durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 209, S. 1) mit Wirkung ab 25. Juli 1998 geändert worden (obwohl es sich nicht um hier erhebliche Änderungen handelt).


3 – Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71.


4 – Artikel 14a Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71.


5 – Artikel 14c Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71.


6 – Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Algemene Ouderdomswet (Gesetz über die allgemeine Altersrente) und die entsprechenden Vorschriften der Algemene nabestaandenwet (Gesetz über die allgemeine Hinterbliebenenversicherung), der Algemene Kinderbijslagwet (Allgemeines Kindergeldgesetz) und der Algemene Wet Bijzondere Ziektekosten (Allgemeines Gesetz über besondere Krankheitskosten).


7 – Artikel 6 der Wet financiering volksverzekeringen (Gesetz über die Finanzierung der Volksversicherungen).


8 – Artikel 7 und 8 der Wet financiering volksverzekeringen.


9 – Artikel 48 Absatz 3 der Wet op de inkomstenbelasting.


10 – Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe c Nrn. 1 und 4 der Wet op de inkomstenbelasting.


11 – Siehe oben Nr. 13.


12 – Nach den Ausführungen der Kommission werden die Zinsen auf eine Forderung in Belgien als Einkünfte aus persönlichem Eigentum behandelt und sind für die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen, deren Basis allein das Erwerbseinkommen ist, nicht relevant.


13 – Urteile vom 30. Januar 1997 in der Rechtssache C‑340/94 (De Jaeck, Slg. 1997, I‑461), in der Rechtssache C‑221/95 (Hervein und Hervillier, Slg. 1997, I‑609, im Folgenden: Hervein I) und vom 19. März 2002 in den verbundenen Rechtssachen C‑393/99 und C‑394/99 (Hervein u. a., Slg. 2002, I‑2829, im Folgenden: Hervein II).


14 – In der Rechtssache De Jaeck die Niederlande und in der Rechtssache Hervein I Frankreich.


15 – Der im Wesentlichen bestimmt, dass eine Person, die eine selbständige Tätigkeit im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt und in einem dieser Mitgliedstaaten wohnt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt.


16 – Eingefügt durch die Verordnung (EWG) Nr. 1390/81 des Rates vom 12. Mai 1981 zur Ausdehnung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen (ABl. L 143, S. 1).


17 – Siehe Fußnote 16.


18 – De Jaeck, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 40.


19 – Verordnung (EWG) Nr. 3811/86 des Rates vom 11. Dezember 1986 zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 355, S. 5).


20 – Zitiert in Fußnote 13, Nr. 60.


21 – Nr. 60; Hervorhebung hinzugefügt.


22 – Vgl. Urteil vom 8. März 2001 in der Rechtssache C‑68/99 (Kommission/Deutschland, Slg. 2001, I‑1865, Randnr. 25).


23 – Urteil vom 3. Mai 1990 in der Rechtssache C‑2/89 (Kits van Heijningen, Slg. 1990, I‑1755, Randnr. 19).


24 – Urteil vom 26. Januar 1999 in der Rechtssache C‑18/95 (Terhoeve, Slg. 1999, I‑345, Randnrn. 33 bis 35).


25 – Urteil Terhoeve, zitiert in Fußnote 24, Randnr. 51.


26 – Urteil De Jaeck, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 39.


27 – Urteil Kommission/Deutschland, zitiert in Fußnote 22, Randnr. 29.


28 – Urteil Hervein II, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 52.


29 – Vgl. die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo in der Rechtssache Kommission/Deutschland, zitiert in Fußnote 22, Nr. 27 und die dort zitierte Rechtsprechung.


30 – Urteil Hervein II, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 64 und die dort zitierte Rechtsprechung.


31 – Siehe Fußnote 30.


32 – Urteil vom 3. Februar 1982 in den verbundenen Rechtssachen 62/81 und 63/81 (Seco, Slg. 1982, 223, Randnr. 7).


33 – Urteil vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C‑53/95 (Kemmler, Slg. 1996, I‑703, Randnr. 13).


34 – Urteil Hervein II, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 64.