Language of document : ECLI:EU:C:2011:845

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 15. Dezember 2011(1)

Rechtssache C‑489/10

Łukasz Marcin Bonda

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy [Republik Polen])

„Landwirtschaft – Verordnung (EG) Nr. 1973/2004 – Ausschluss und Kürzung von Beihilfen bei unrichtiger Flächenangabe – Strafrechtlicher Charakter einer Verwaltungssanktion – Verbot der Doppelbestrafung – Grundsatz ne bis in idem“





I –    Einleitung

1.        Wegen unrichtiger Angaben in einem Antrag auf Unionsagrarbeihilfe verhängte die nationale Verwaltung gegen einen Landwirt die in einer Verordnung der Union vorgesehenen Kürzungen der beantragten Beihilfe. Im Anschluss ist der Landwirt aufgrund derselben Falschangaben wegen Subventionsbetrugs vor einem Strafgericht angeklagt worden. Kern der vorliegenden Rechtssache ist somit die Frage, ob das Verwaltungsverfahren strafrechtlichen Charakter hat, mit der Folge, dass wegen des Verbots der Doppelbestrafung (Grundsatz ne bis in idem) gegen den Beihilfeempfänger nicht zusätzlich ein Strafverfahren eingeleitet werden darf.

II – Rechtlicher Rahmen

2.        Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(2) bestimmt:

„Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“

3.        Art. 138 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1973/2004(3) lautete in seiner zum Zeitpunkt der Stellung des streitgegenständlichen Beihilfeantrags (16. Mai 2005) und der Verwaltungsentscheidung (25. Juni 2006) geltenden Fassung(4) wie folgt:

„1. Stellt sich außer in Fällen höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Artikel 72 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 bei Verwaltungs- oder Vor-Ort-Kontrollen heraus, dass sich die Differenz zwischen der angegebenen und der ermittelten Fläche im Sinne von Artikel 2 Nummer 22 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 auf mehr als 3 %, aber weniger als 30 % der ermittelten Fläche beläuft, so wird der im Rahmen der Regelung für die einheitliche Flächenzahlung zu gewährende Betrag für das betreffende Kalenderjahr um das Doppelte der festgestellten Differenz gekürzt.

Beläuft sich die Differenz auf mehr als 30 % der ermittelten Fläche, so wird für das betreffende Kalenderjahr keine Beihilfe gezahlt.

Beläuft sich die Differenz auf mehr als 50 %, so wird der Betriebsinhaber wiederum von der Gewährung der Beihilfe bis zu einem Betrag ausgeschlossen, der der Differenz zwischen der angegebenen und der ermittelten Fläche entspricht. Dieser Betrag wird mit den Beihilfezahlungen verrechnet, auf die der Betriebsinhaber im Rahmen der Anträge Anspruch hat, die er in den auf das Kalenderjahr der Feststellung folgenden drei Kalenderjahren stellt.“

III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

4.        Gemäß dem Vorabentscheidungsersuchen stellte Herr Łukasz Marcin Bonda am 16. Mai 2005 bei der Kreisstelle der Agentur für Umstrukturierung und Modernisierung der Landwirtschaft (im Folgenden: Kreisstelle) einen Antrag auf Gewährung einer Unionsagrarbeihilfe(5) für das Jahr 2005. In diesem Antrag machte Herr Bonda unrichtige Angaben zur Größe der von ihm landwirtschaftlich genutzten Fläche und zu den auf dieser Fläche angebauten Kulturen.(6)

5.        Wegen dieser unrichtigen Angaben lehnte die Kreisstelle, gestützt auf Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004, gemäß dem Vorabentscheidungsersuchen für das Jahr 2005 eine Beihilfezahlung ab und erklärte darüber hinaus den Verlust eines Anspruchs auf Agrarbeihilfe für die drei Folgejahre.

6.        Am 14. Juli 2009 wurde Herr Bonda aufgrund der genannten unrichtigen Angaben in seinem Beihilfeantrag vom Sąd Rejonowy w Goleniowie(7) wegen Begehung der Straftat des Subventionsbetrugs auf der Grundlage von Art. 297 § 1 des polnischen Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 20 Zloty verurteilt.

7.        Gegen dieses Urteil legte Herr Bonda Berufung vor dem Sąd Okręgowy w Szczecinie(8) ein. Dieses Gericht gab der Berufung statt und stellte das Strafverfahren gegen Herrn Bonda ein. Aufgrund der Tatsache, dass gegen Herrn Bonda wegen desselben Verhaltens bereits gemäß Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004 eine Sanktion verhängt worden war, sei das Strafverfahren gegen ihn unzulässig. Auf die Kassationsbeschwerde des Prokurator Generalny(9) ist das Verfahren nunmehr vor dem Sąd Najwyższy(10), dem vorlegenden Gericht, anhängig.

IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

8.        Mit Beschluss vom 27. September 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 2010, hat der Sąd Najwyższy dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Welche Rechtsnatur hat die Sanktion nach Art. 138 der Verordnung (EG) Nr. 1973/2004 der Kommission vom 29. Oktober 2004 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates hinsichtlich der Stützungsregelungen nach Titel IV und IVa der Verordnung und der Verwendung von Stilllegungsflächen für die Erzeugung von Rohstoffen (ABl. L 345, S. 1), die darin besteht, dass einem Betriebsinhaber in den Jahren, die auf das Jahr folgen, in dem er eine unrichtige Erklärung über die Größe der die Grundlage für Direktzahlungen bildenden Fläche vorgelegt hat, Direktzahlungen versagt werden?

9.        Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich Herr Bonda, Österreich, Polen sowie die Europäische Kommission schriftlich geäußert. An der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2011 haben sich Polen und die Kommission beteiligt.

V –    Würdigung

A –    Vorbemerkungen

10.      Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist die Vorlagefrage zu ergänzen und zu präzisieren.(11)

1.      Prüfungsumfang: unionsrechtliches Verbot der Doppelbestrafung

11.      Das vorlegende Gericht stellt seine Frage im Hinblick auf die Anwendung des Verbots der Doppelbestrafung nach polnischem Recht. Auch die polnische Regierung und die Kommission trugen in der mündlichen Verhandlung vor, dass das polnische Verbot der Doppelbestrafung Prüfungsmaßstab sei. Im Folgenden werde ich jedoch darlegen, dass im vorliegenden Fall das unionsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung Anwendung findet.(12)

12.      Außerdem erscheint mir zweifelhaft, ob bei Eingreifen des nationalen Doppelbestrafungsverbots der Gerichtshof überhaupt berufen wäre, zum Strafcharakter der vorliegenden Verwaltungssanktionen Stellung zu nehmen. Denn auch die Frage nach ihrem Strafcharakter wäre dann am Maßstab des nationalen Rechts zu messen. Denkbar wäre insofern, was vorliegend aber nicht der Fall ist, dass das nationale Gericht die Kriterien darlegt, die nach seinem Prüfungsmaßstab den Anwendungsbereich des Doppelbestrafungsverbots eröffnen, und der Gerichtshof dann Stellung nimmt, ob eine bestimmte unionsrechtliche Verwaltungssanktion diese Kriterien erfüllt; hierbei könnte es sich zum Beispiel um die Frage handeln, ob eine bestimmte unionsrechtliche Sanktion einen repressiven Zweck verfolgt, sollte ein solcher nach nationalem Recht für den Strafcharakter einer Norm konstitutiv sein.

a)      Anwendbarkeit des unionsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung

13.      Das Verbot der Doppelbestrafung bzw. ‑verfolgung (Grundsatz ne bis in idem) ist auf Unionsebene als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt(13) und genießt inzwischen nach Art. 50 der Charta der Grundrechte den Rang eines Unionsgrundrechts.

14.      Die Charta der Grundrechte ist gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ anwendbar.(14) Die Auslegung dieser Bestimmung ist nicht unumstritten. So stellt sich die Frage, ob der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta anders zu definieren ist als jener der allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie er in der Rechtsprechung entwickelt wurde.(15) Danach gelten diese, wenn eine nationale Maßnahme in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Vertreter eines engeren Verständnisses von Art. 51 Abs. 1 der Charta problematisieren vor allem die Anwendung der Unionsgrundrechte auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die Grundfreiheiten beschränken, und auf Maßnahmen, die nicht direkt der Umsetzung einer Richtlinienbestimmung dienen, sondern nur von dem in der Richtlinie geregelten Bereich erfasst werden.

15.      Der Gerichtshof hatte bislang noch nicht dezidiert zur Anwendung der Charta ratione materiae Stellung genommen.(16) In zwei Beschlüssen hat er Art. 51 Abs. 1 dahin gehend ausgelegt, dass die Charta zur Anwendung kommt, wenn ein Sachverhalt einen Anknüpfungspunkt zum Unionsrecht aufweist.(17) In seinem Urteil in der Rechtssache Dereci hat der Gerichtshof nunmehr festgestellt, dass die Charta zur Anwendung kommt, wenn ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, und hat damit seine Formulierung zur Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze aufgegriffen.(18)

16.      Auch hiermit sind sicherlich nicht alle Fragen beantwortet. Der vorliegende Fall fällt meiner Ansicht nach aber selbst bei einem engeren Verständnis des Art. 51 Abs. 1 in den Anwendungsbereich der Charta.

17.      Was die Verwaltungssanktion gegen Herrn Bonda angeht, so wurde diese in unmittelbarer Durchführung von Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 verhängt. Die zweite Sanktion, die das nationale Gericht wegen Begehung der Straftat des Subventionsbetrugs verhängte, beruht zwar auf einer nationalen Strafbestimmung, aber auch diese wurde vom Unionsrecht veranlasst. Denn die polnische Strafnorm dient im konkreten Fall der Sanktionierung eines Verstoßes gegen Bestimmungen des Agrarrechts der Union. Sie dient daher der Durchführung der primärrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union effektiv und angemessen zu sanktionieren.

18.      Art. 325 Abs. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen, die abschreckend und effektiv sind. Wenn dies zur Durchsetzung des Unionsrechts erforderlich ist, können hierzu auch strafrechtliche Sanktionen zählen.(19) Art. 325 Abs. 2 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, die gleichen Maßnahmen anwenden, die sie auch zur Bekämpfung von Betrügereien ergreifen, die sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richten. Wenn die Mitgliedstaaten in Erfüllung dieser unionsrechtlichen Verpflichtung zur Sanktionierung von Unregelmäßigkeiten handeln, sind sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, zu denen die Unionsgrundrechte sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, zu beachten.(20)

19.      Wenn sich für die Mitgliedstaaten aus Unionsrecht daher die Verpflichtung ergeben kann, strafrechtliche Sanktionen für die Gefährdung der finanziellen Interessen der Union im Zusammenhang mit Agrarbeihilfen vorzusehen, dann müssen sich im Gegenzug auch die möglichen Grenzen für diese Verpflichtung aus dem Unionsrecht und insbesondere den Unionsgrundrechten ergeben. Die unionsrechtliche Verpflichtung zur strafrechtlichen Sanktionierung von Verstößen gegen Unionsrecht kann nur in dem Umfang bestehen, wie dabei nicht die auf Unionsebene garantierten Grundrechte der Betroffenen tangiert werden. Nur so wird im Übrigen sichergestellt, dass aus dem Unionsrecht resultierende Verpflichtungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union im gesamten Unionsgebiet einheitlichen Grenzen unterliegen.

20.      Für die Verpflichtung zur Achtung der Unionsgrundrechte bei der Sanktionierung von Verstößen gegen Unionsrecht kann es meiner Meinung nach keinen Unterschied machen, ob die mitgliedstaatliche Maßnahme zur Sanktionierung explizit in Umsetzung von Unionsrecht erlassen wurde oder bereits bestand. Zur Durchsetzung von Unionsrecht dient sie in beiden Fällen. Die Anwendung der Unionsgrundrechte kann schließlich nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob bereits eine Strafnorm bestand oder erst in Umsetzung der unionsrechtlichen Verpflichtung erlassen wurde.

b)      Das Protokoll Nr. 30 zum Vertrag von Lissabon

21.      Die Anwendbarkeit der Charta der Grundrechte im vorliegenden Fall wird auch nicht durch das Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich(21) in Frage gestellt. Dieses Protokoll wurde den Verträgen mit dem Vertrag von Lissabon beigefügt. Gemäß Art. 51 EUV ist es Bestandteil der Verträge und entfaltet dieselben rechtlichen Wirkungen.

22.      Art. 1 Abs. 1 dieses Protokolls besagt, dass die Charta keine Ausweitung der Befugnis des Gerichtshofs oder eines Gerichts Polens oder des Vereinigten Königreichs zu der Feststellung bewirkt, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Verwaltungspraxis oder Maßnahmen Polens oder des Vereinigten Königreichs nicht mit den durch die Charta bekräftigten Grundrechten, Freiheiten und Grundsätzen im Einklang stehen.

23.      Diese Bestimmung zeichnet sich nicht durch große Klarheit aus. Jedenfalls bedeutet das Protokoll Nr. 30 kein Opt-out des Vereinigten Königreichs und der Republik Polen von der Grundrechtecharta.(22) Der 8. und 9. Erwägungsgrund der Präambel des Protokolls sprechen vielmehr dafür, dass das Protokoll für die beiden angeführten Länder keine Abweichung von der Charta für die beiden angeführten Länder enthält, sondern nur klarstellenden Charakter hat und als Interpretationshilfe dienen soll.(23) Art. 51 Abs. 2 der Charta selbst stellt fest, dass diese den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet, noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert. Da das in Art. 50 der Charta normierte Verbot der Doppelbestrafung aber bereits zuvor als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Unionsrecht anerkannt war und auch dieser nach der bisherigen Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall anwendbar gewesen wäre und auch bei einem engeren Verständnis des Art. 51 der Charta, wie oben dargelegt, deren Anwendungsbereich eröffnet ist, kann von einer Ausweitung der Befugnis des Gerichtshofs im Sinne des Protokolls nicht die Rede sein.

c)      Zwischenergebnis

24.      Die Frage, ob Sanktionen nach Art. 138 der Verordnung 1973/2004 einer anschließenden strafrechtlichen Verfolgung wegen Subventionsbetrugs entgegenstehen, entscheidet sich damit am Maßstab des unionsrechtlichen Grundsatzes ne bis in idem. Die Vorlagefrage ist entsprechend umzuformulieren.

2.      Präzisierung der Vorlagefrage – Prüfungsgegenstand

25.      Der Sąd Najwyższy hat sich in seiner Frage nicht auf einen konkreten Absatz von Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004 bezogen. Im Gegensatz zum ersten Absatz regelt der zweite Absatz den besonderen Fall der absichtlichen Falschangabe. Die Republik Polen hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme jedoch unwidersprochen präzisiert, dass der Leiter der Kreisstelle seine Entscheidung auf den ersten Absatz des Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004 stützte. Gegenstand der Auslegung ist somit Art. 138 Abs. 1 der Verordnung.

26.      Darüber hinaus erwähnt das vorlegende Gericht in seiner Frage nicht, dass Herr Bonda, abgesehen von den Kürzungen gemäß Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 3 für die Jahre 2006 bis 2008, gemäß Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 2 auch den Beihilfenanspruch für das Jahr 2005 – dem Jahr, in dem er den unrichtigen Antrag stellte – verlor. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, sollte die Beurteilung des Charakters der in Art. 138 Abs. 1 vorgesehenen Sanktion die danach zu verhängenden Maßnahmen in ihrer Gesamtheit erfassen. Es ist daher notwendig, nicht nur die Beihilfenkürzung, die sich in den Jahren 2006 bis 2008 auswirkte, sondern auch den Ausschluss im Antragsjahr in die Bewertung mit einzubeziehen.

27.      Außerdem sollte sich die Beantwortung der Vorlagefrage enger am Wortlaut der nach Art. 138 Abs. 1 verhängten Maßnahmen orientieren. Dies ist auch noch aus folgendem Grund angezeigt.

28.      Die gegenwärtige Formulierung der Vorlagefrage wirft nämlich selbst eine weitere Frage auf. Und zwar wurden Herrn Bonda nach der Vorlagefrage und den Angaben im Vorlagebeschluss in den drei der Falschangabe nachfolgenden Jahren die Beihilfezahlungen vollständig versagt. In Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung heißt es allerdings, dass der Beihilfenempfänger nach dem Ausschluss im Antragsjahr „wiederum“ von der Gewährung der Beihilfe bis zu einem Betrag, der der Differenz der angegebenen von der ermittelten Fläche entspricht, ausgeschlossen wird und dieser Betrag mit den Beihilfezahlungen der drei Folgejahre verrechnet wird.

29.      Aus dem Wortlaut der Norm geht nicht eindeutig hervor, ob der Differenzbetrag in den Folgejahren einmal von den Beihilfezahlungen abgezogen wird oder in jedem der drei Folgejahre (so der Vorlagebeschluss). Meiner Ansicht nach sprechen insbesondere die englische und die französische Sprachfassung der Norm(24) dafür, dass der Differenzbetrag nur einmal und nicht dreimal abgezogen wird, dass dieser einmalige Betrag aber mit den Beihilfeansprüchen von drei Jahren verrechnet werden kann.(25) Nachfragen an die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung führten zu in sich widersprüchlichen Aussagen. Da das vorlegende Gericht diese Frage des Verständnisses von Art. 138 der Verordnung nicht zum Gegenstand seines Ersuchens gemacht hat und auch die Verfahrensbeteiligten in ihren Schriftsätzen hierzu nicht Stellung genommen haben, eignet sich das vorliegende Verfahren nicht, die Frage der Auslegung dieser Norm abschließend zu klären. Für die weitere Prüfung ist die konkrete Ausgestaltung der Kürzungen nicht relevant.(26)

30.      Die Kommission und Polen haben schließlich angeregt, auch die Auslegung von Art. 51 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004(27) in die Beantwortung der Vorlagefrage einzubeziehen, da die Kreisstelle auch eine Verwaltungssanktion auf Grundlage dieser Bestimmung verhängt habe. Da im Vorlagebeschluss aber nur nach Art. 138 der Verordnung Nr. 1073/2004 gefragt ist, werde ich mich auf dessen Prüfung beschränken.

3.      Umformulierung der Vorlagefrage

31.      Die Vorlagefrage ist daher wie folgt umzuformulieren:

Stellt die Verhängung der in Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 vorgesehenen Sanktionen, die darin bestanden, dem Betriebsinhaber in dem Jahr, in dem er eine unrichtige Angabe über die Größe der seinem Beihilfeantrag zugrunde liegenden Fläche vorgelegt hat, keine Beihilfe zu zahlen und den Betrag, der der Differenz zwischen der angegebenen und der ermittelten Fläche entspricht, von der Summe der Beihilfezahlungen, auf die der Betriebsinhaber in den drei Folgejahren Anspruch hat, abzuziehen, ein Strafverfahren im Sinne des unionsrechtlichen Grundsatzes ne bis in idem dar, wie er in Art. 50 der Charta der Grundrechte der Union niedergelegt ist?

B –    Das unionsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung: Wann liegt ein Verfahren mit strafrechtlichem oder strafrechtsähnlichem Charakter vor?

32.      Der Grundsatz ne bis in idem in seiner durch Art. 50 der Charta der Grundrechte kodifizierten Fassung besagt, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf.

33.      Bislang wurde der Grundsatz ne bis in idem als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts vor allem im Kartellrecht behandelt.(28) Darüber hinaus war der Gerichtshof wiederholt mit der Auslegung dieses Grundsatzes im Zusammenhang mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen befasst.(29) Gegenstand all dieser Verfahren war aber im Wesentlichen der Aspekt des „idem“, also die Frage, ob dieselbe Tat mehrfach sanktioniert wurde.(30) Kern des vorliegenden Falles ist hingegen, ob die Falschangabe von Herrn Bonda unter Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem zweifach durch ein Strafverfahren geahndet wird. Es geht also um die Bestimmung des „bis“. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verfahren mit strafrechtlichem oder strafrechtsähnlichem Charakter vorliegt, der zur Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes führt, hat sich der Gerichtshof noch nicht tiefergehend geäußert.(31)

34.      Auch wenn der Gerichtshof sich noch nicht zur Einordnung von Verfahren wie dem nach Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 als strafrechtlich oder strafrechtsähnlich im Sinne des Grundsatzes ne bis in idem geäußert hat, so hat er doch Stellung genommen zur Anwendbarkeit anderer strafrechtlicher Grundsätze auf vergleichbare Verfahren.

1.      Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Strafrechtscharakter von Sanktionen im Agrarbereich

35.      Bereits in seinem Urteil in der Rechtssache Deutschland/Kommission vor dem Hintergrund einer Anfechtungsklage gegen eine Bestimmung im Agrarrecht, die bei Unregelmäßigkeiten durch den Antragsteller einen kompletten Leistungsausschluss für ein Jahr vorsah, hat der Gerichtshof entschieden, dass der zeitweilige Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von einer Beihilferegelung keine Strafsanktion darstellt.(32)

36.      Erneut war der Gerichtshof in der Rechtssache Käserei Champignon Hofmeister(33) mit der Frage befasst, ob einer Sanktion im Agrarrecht Strafrechtscharakter zukommt. Dieser Fall hatte eine Bestimmung zum Gegenstand, die als Sanktion bei falschen Angaben in einem Ausfuhrerstattungsantrag die Zahlung einer Geldbuße vorsah. Es stellte sich die Frage, ob diese Sanktion am Grundsatz nulla poena sine culpa zu messen ist. Der Gerichtshof verneinte diese Frage mit dem Argument, dass die streitgegenständliche Sanktion Bestandteil der Ausfuhrerstattungsregelung sei und keinen strafrechtlichen Charakter habe.(34)

37.      Der Gerichtshof prüfte den Strafcharakter der Sanktionen anhand von zwei Kriterien.

38.      Zum einen stellte er auf die Art der vorgeworfenen Verstöße ab. Er stellte fest, dass die Vorschriften, die verletzt worden waren, sich allein an die Wirtschaftsteilnehmer richteten, die sich aus freien Stücken dafür entschieden hatten, eine Beihilferegelung im Bereich der Landwirtschaft in Anspruch zu nehmen. In dem Fall habe ein Verfahren keinen strafrechtlichen Charakter.(35)

39.      Zum anderen untersuchte er das Ziel der verhängten Sanktion. Bei dieser Prüfung betonte er, dass der vorübergehende Ausschluss von der Beihilferegelung der Bekämpfung der zahlreichen Unregelmäßigkeiten dient, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Beihilfen begangen werden und die durch die von ihnen verursachte erhebliche Belastung des Unionshaushalts die Maßnahmen beeinträchtigen können, die die Unionsorgane im Agrarbereich ergreifen, um die Märkte zu stabilisieren, die Lebenshaltung der Landwirte zu stützen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.(36) Da eine Beihilfe im Rahmen einer unionsrechtlichen Beihilferegelung nur zu gewähren ist, wenn ihr Empfänger volle Gewähr für Redlichkeit und Zuverlässigkeit bietet, stellt die Sanktion, die bei Nichtbeachtung dieser Anforderungen verhängt wird, eine spezifische Handhabe für die Verwaltung dar, die Bestandteil der Beihilferegelung ist und dazu dient, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Union sicherzustellen.

40.      Diese Kriterien des Gerichtshofs müssen ebenso für die Beurteilung des Strafcharakters eines Verfahrens im Hinblick auf den strafrechtlichen Grundsatz ne bis in idem gelten. Danach hätten im vorliegenden Fall weder der Ausschluss für das laufende Jahr gemäß Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung noch die Kürzung in den drei Folgejahren gemäß Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung strafrechtlichen Charakter. Der Grundsatz ne bis in idem käme folglich nicht zur Anwendung. Denn ebenso wie die Sanktion, die der Rechtssache Käserei Champignon Hofmeister zugrunde lag, richten sich die Beihilfevorschriften, die vorliegend verletzt wurden, allein an die Wirtschaftsteilnehmer, die sich aus freien Stücken dafür entscheiden, eine Beihilferegelung in Anspruch zu nehmen. Außerdem stellen auch die vorliegenden Sanktionen gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verordnung eine spezifische Handhabe für die Verwaltung dar, die Bestandteil eines geschlossenen Systems der Beihilferegelung sind und dazu dienen, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Union sicherzustellen.

41.      Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum strafrechtlichen Charakter vergleichbarer Verwaltungssanktionen im Bereich des Agrarrechts gegen den strafrechtlichen Charakter der in Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 vorgesehenen Sanktionen spricht.

2.      Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR bei der Bestimmung des Strafcharakters

42.      Im Folgenden werde ich untersuchen, ob sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Parallelbestimmung des ne bis in idem in der EMRK(37) andere Kriterien ergeben, die bei der Beurteilung des strafrechtlichen Charakters zu berücksichtigen sind und ob diese zu einer von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs abweichenden Einordnung von Sanktionen wie der vorliegenden führen.

43.      Bei der Auslegung des unionsrechtlichen ne bis in idem-Grundsatzes ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen.(38) Dies folgt aus dem Homogenitätsgebot(39), nach dem den Rechten der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen sind wie den entsprechenden Bestimmungen der EMRK in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR.(40)

44.      Das Verbot der Doppelbestrafung im Unionsrecht lehnt sich an Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK an, mag auch dieses Protokoll bis heute nicht von allen Mitgliedstaaten der Union ratifiziert sein.(41) Auf diese große Nähe zur EMRK deuten nicht nur die Erläuterungen zu Art. 50 der Charta der Grundrechte hin, sondern auch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum allgemeinen unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz ne bis in idem.(42)

a)      Rechtsprechung des EGMR

45.      Der EGMR interpretiert den Begriff des strafrechtlichen Verfahrens in Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 im Licht der allgemeinen Grundsätze, die er für die entsprechenden Begriffe „strafrechtliche Anklage“ und „Strafe“ in den Art. 6 und 7 der EMRK entwickelt hat.(43)

46.      Im Rahmen von Art. 6 zieht der EGMR die drei „Engel-Kriterien“ heran, benannt nach dem Urteil, in dem er sie erstmals formuliert hat.(44)

47.      Das erste Engel-Kriterium betrifft die Zuordnung der Vorschrift zum Strafrecht nach nationalem Recht. Diese sieht der EGMR jedoch nicht als ausschlaggebend an, sondern lediglich als Ausgangspunkt der Betrachtung.(45)

48.      Im Rahmen des zweiten Engel-Kriteriums untersucht der EGMR zunächst den Adressatenkreis einer Regelung, die ein bestimmtes Vergehen unter Sanktion stellt. Richtet sich eine Regelung an die Allgemeinheit und nicht – wie beispielsweise im Disziplinarrecht – an eine Gruppe, die einen bestimmten Status innehat, spricht dies für den strafrechtlichen Charakter der Sanktion.(46) Daneben stellt der EGMR auf das Ziel der in der Strafvorschrift angedrohten Sanktion ab. Der strafrechtliche Charakter wird verneint, wenn die Sanktion nur einen Ersatz von Vermögensschäden bezweckt.(47) Zielt sie hingegen auf Repression und Prävention, liegt eine strafrechtliche Sanktion vor.(48) Darüber hinaus nimmt der EGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung in den Blick, ob die Sanktionierung der Zuwiderhandlung dem Schutz von Rechtsgütern dient, deren Schutz üblicherweise durch strafrechtliche Normen gesichert wird.(49) Diese Elemente sind in einer Gesamtschau zu bewerten(50).

49.      Das dritte Engel-Kriterium betrifft die Art und Schwere der angedrohten Strafe.(51) Bei Freiheitsstrafen gilt im Allgemeinen die Vermutung für den strafrechtlichen Charakter der Sanktion, die nur in Ausnahmefällen widerlegt werden kann.(52) Auch Geldstrafen, für deren Nichtbegleichen eine Ersatzfreiheitsstrafe angedroht ist(53) oder die einen Eintrag in das Strafregister nach sich ziehen, sprechen in der Regel für das Vorliegen eines strafrechtlichen Verfahrens.(54)

50.      Sein zweites und drittes Kriterium versteht der EGMR alternativ. Wenn jedoch eine getrennte Betrachtung der beiden Kriterien zu keinem klaren Ergebnis führt, betrachtet er sie auch kumulativ.(55)

b)      Anwendung der Engel-Kriterien auf den vorliegenden Fall: Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich des Agrarrechts?

i)      Zur Anwendung des ersten Engel-Kriteriums

51.      Das erste Engel-Kriterium beträfe im vorliegenden Fall die unionsautonome Einordnung des Verfahrens nach Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004, wie sie der Gerichtshof im Urteil Käserei Champignon Hofmeister ohne explizite Prüfung der Engel-Kriterien vorgenommen hat.

ii)     Zur Anwendung des zweiten Engel-Kriteriums

52.      Im Wesentlichen prüft der EGMR im Rahmen des zweiten Engel-Kriteriums dieselben Elemente, die auch der Gerichtshof im Urteil Käserei Champignon Hofmeister herangezogen hat.

–       Adressatenkreis

53.      Die in Art. 138 Abs. 1 der Verordnung vorgesehenen Sanktionen richten sich nicht an die Allgemeinheit, sondern sollen vielmehr sicherstellen, dass die Mitglieder einer spezifischen Gruppe, nämlich die Empfänger der betreffenden Agrarsubventionen, die an sie gerichteten Regeln beachten.(56) So betonte auch der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Käserei Champignon Hofmeister, dass sich die Vorschriften, die verletzt worden seien, allein an die Wirtschaftsteilnehmer richten, die sich aus freien Stücken dafür entschieden haben, eine Beihilferegelung im Bereich der Landwirtschaft in Anspruch zu nehmen.(57)

54.      Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des EGMR in der Rechtssache Jussila.(58) Dort ging es um Aufschläge wegen nicht gezahlter Mehrwertsteuern. Der EGMR sah die Tatsache, dass der Betroffene sich für die Registrierung im Hinblick auf die Mehrwertsteuer entschieden hatte, als irrelevant an und verneinte das Vorliegen eines begrenzten Adressatenkreises. Meiner Ansicht nach ist dies nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn anders als bei der Mehrwertsteuer, der potenziell jeder unterliegt, ist das System der Agrarbeihilfen, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ein in sich geschlossenes System, bei dem der Empfänger eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen muss, um an ihm teilzunehmen.

55.      Die besondere Ausgestaltung des Adressatenkreises spricht demnach gegen die strafrechtliche Natur des Vergehens, das Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 sanktioniert.

–       Typischerweise durch strafrechtliche Sanktionen geschütztes Rechtsgut

56.      Das vorliegend geschützte Rechtsgut, die finanziellen Interessen der Union, kann sowohl durch Strafrecht als auch durch Verwaltungsrecht geschützt sein, dieses Element des zweiten Engel-Kriteriums hilft somit bei der Charakterisierung der Sanktion nicht weiter.

–       Ziel und Zweck der Sanktion

57.      Die Frage, welche Zwecke charakteristisch für eine strafrechtliche Sanktion sind, ist Gegenstand einer weit zurückreichenden Diskussion. Auf diese soll hier nicht eingegangen werden. Nur so viel sei gesagt: Die moderne Strafzwecklehre betont zumeist die Verfolgung einer doppelten Zwecksetzung, den der Repression und den der Prävention(59), wobei in manchen dieser Misch- oder „Vereinigungstheorien“ die Repression keine eigenständige Bedeutung hat(60).

58.      Der Rechtsprechung des EGMR entnehme ich jedoch, dass dieser ein repressives Ziel als konstitutives Element einer strafrechtlichen Sanktion ansieht. Auch insofern bleibt zwar fraglich, was unter Repression zu verstehen ist. Gemeinhin wird darin – in Abgrenzung zur Restitution, die den Zustand herstellen will, der vor der Schadenszufügung bestand – die Zufügung eines Übels verstanden, das das begangene, schuldhafte Unrecht ausgleichen soll.(61) Auch Generalanwalt Jacobs hatte in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Deutschland/Kommission betont, dass der Zweck einer Strafsanktion über die schlichte Abschreckung oder Prävention hinausgeht und ein Unwerturteil umfasst.(62)

59.      Die vorliegenden Sanktionen dienen nicht nur dem Ausgleich eines eingetretenen Schadens. Im Folgenden ist daher ihr präventiver und repressiver Charakter zu prüfen.

60.      Eindeutig kein strafrechtliches Ziel verfolgte eine Norm, die dem Antragsteller nur den Betrag nicht gewährt, den er zu Unrecht beantragt hat, ihm aber gleichwohl die Beihilfe, die durch richtige Angaben belegt ist, zuspricht.

61.      Schwieriger erweist sich die Feststellung, ob die Sanktion repressiven Charakter hat im Hinblick auf die in Art. 138 Abs. 1 der Verordnung vorgesehenen Kürzungen im Antragsjahr (im vorliegenden Fall gemäß Unterabs. 2: der Ausschluss im Antragsjahr) und in den Folgejahren.

62.      Bei der Analyse des Ziels einer Verwaltungssanktion im Agrarbereich hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Käserei Champignon Hofmeister bereits festgestellt, dass eine vergleichbare Sanktion der Bekämpfung der zahlreichen Unregelmäßigkeiten in diesem System und der dadurch verursachten Belastung des Unionshaushalts dient.(63) Der Gerichtshof stützte sich dabei auch auf die neunte Begründungserwägung der Verordnung zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften(64), nach der die gemeinschaftlichen Maßnahmen und Sanktionen zur Verwirklichung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik Bestandteil der Beihilferegelungen sind und einen eigenen Zweck haben. Dies deutet – wie auch die Kommission ausführt – auf einen rein präventiven Charakter der Regelung hin.

63.      Kontrollen zur Verhinderung von Unregelmäßigkeiten sind wegen der Kapazitäten der Verwaltung zwangsläufig begrenzt. Ein Beihilfeempfänger, der einmal in seinem Antrag Falschangaben gemacht hat, bietet eine geringere Gewähr für Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Sorgfalt. Der bestmögliche Schutz für den Haushalt wäre daher ein vollständiger Ausschluss eines solchen Empfängers vom Beihilfensystem. Dies wäre nicht als Bestrafung gedacht, sondern würde dem Schutz des Haushalts vor möglichen weiteren falschen Anträgen dienen. Man kann argumentieren, dass eine korrekte Antragstellung, jedenfalls sofern es sich nicht um marginale Unrichtigkeiten im Antrag handelt, ebenso Bedingung für eine Beihilfezahlung ist wie beispielsweise die fristgerechte Abgabe des Antrags oder jede andere Voraussetzung, an die die Beihilfezahlung geknüpft ist.

64.      Wenn sich der Gesetzgeber aber wegen der Folgen für den einzelnen Antragsteller unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dafür entscheidet, statt eines vollständigen nur einen partiellen Beihilfenausschluss in Form von Kürzungen vorzunehmen, ändert das nicht den Charakter der Sanktion. Ihr geht es dann nicht um nachträgliche Missbilligung des Verhaltens des Antragstellers. Auch durch die Kürzung wird das Risiko für den Haushalt minimiert, das von einem unzuverlässigen Empfänger ausgeht, mit der Folge, dass den betreffenden Regelungen präventiver Charakter zukommt.

65.      Gegen den repressiven Charakter spricht darüber hinaus, dass die Kürzung nur dann zum Tragen kommt, wenn der Beihilfeempfänger einen Antrag in den drei Folgejahren stellt. Stellt der Empfänger keinen Antrag in den Folgejahren – weil er seinen Betrieb schließt, veräußert oder die sonstigen Voraussetzungen für die Beihilfe nicht erfüllt –, läuft die Sanktion ins Leere. Stehen dem Beihilfeempfänger in den Folgejahren geringere Beihilfeansprüche zu und genügen diese nicht zur Verrechnung des Kürzungsbetrags, läuft die Sanktion ebenfalls insofern leer. Ginge es um Repression, also um die Verhängung eines Unwerturteils und um Schuldausgleich, würde die Sanktion unabhängig von einem Tun des Beihilfeempfängers, hier stellen eines neuen Antrags, verhängt werden und der Betrag könnte auch nicht verfallen.

66.      Dadurch unterscheidet sich die vorliegende Sanktion auch von Steueraufschlägen, die Gegenstand der Rechtsprechung des EGMR waren und in denen er diesen einen strafrechtlichen Charakter zusprach, da sie nicht auf finanzielle Entschädigung abzielten, sondern als Strafe konzipiert waren, um Wiederholung vorzubeugen.(65)

–       Zwischenergebnis

67.      Die Anwendung des zweiten Engel-Kriteriums auf die vorliegenden Sanktionen zeigt, dass das Auslegungsergebnis im Wesentlichen dem Ergebnis entspricht, zu welchem der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zum strafrechtlichen Charakter von Sanktionen im Agrarbereich gekommen ist. Das zweite Engel-Kriterium führt somit nicht zur Bejahung des strafrechtlichen Charakters des Verfahrens nach Art. 138 Abs. 1 der Verordnung.

iii) Zur Anwendung des dritten Engel-Kriteriums

68.      Die Schwere der Sanktion hingegen hatte der Gerichtshof bislang bei der Beurteilung von vergleichbaren Sanktionen im Agrarbereich nicht explizit geprüft.(66) Im Hinblick auf das Homogenitätsgebot mit der EMRK(67) bietet somit der vorliegende Fall die Gelegenheit, auch dieses Element in die Prüfung mit einzubeziehen.

69.      Betrachtet man die Art und Schwere der vorliegend verhängten Sanktionen, fällt zunächst ins Auge, dass sie nicht mit einer Ersatzfreiheitsstrafe verbunden sind. Der EGMR stellt hinsichtlich des Kriteriums der Schwere der Strafe auf die Höhe der abstrakt angedrohten Strafe ab, nicht auf die konkret verhängte. Bei der Übertragung dieser Prämisse auf den vorliegenden Fall stößt man zunächst auf praktische Schwierigkeiten. Denn der EGMR geht dabei von Normen aus, die einen Strafrahmen und somit eine Höchststrafe vorgeben. Da sich die vorliegende Sanktion an variablen Kriterien orientiert, nämlich an der Differenz zwischen beantragter und ermittelter Förderfläche, lässt sich eine abstrakte Obergrenze der Strafe nicht ermitteln. Damit kann man sich vorliegend allenfalls an der Höhe der konkret zu errechnenden Sanktion orientieren.

70.      Blickt man allein auf die wirtschaftlichen Konsequenzen des Ausschlusses von der Beihilfe oder der Beihilfekürzungen und nimmt man zum Ausgangspunkt, dass der EGMR das zweite und dritte Engel-Kriterium alternativ versteht, könnte man dazu kommen, den strafrechtlichen Charakter der Beihilfekürzung nach Art. 138 Abs. 1 der Verordnung zu bejahen. Denn der Landwirt steht bei Gewährung der Beihilfe wirtschaftlich besser da als bei deren Versagung und die Beträge, um die die Beihilfeansprüche vorliegend gekürzt werden, sind nicht unerheblich.

71.      Meiner Ansicht nach darf man aber bei der Beurteilung der Schwere der angedrohten Sanktion nicht unbesehen darauf abstellen, ob sich eine Maßnahme im Ergebnis wirtschaftlich nachteilig auswirkt. Vielmehr ist eine wertende Betrachtung angezeigt, in die mit einzubeziehen ist, ob die Sanktion überhaupt in schützenswerte Interessen des Betroffenen eingreift. Ist dies zu verneinen, liegt keine schwere Sanktion im Sinne des dritten Engel-Kriteriums vor. Bei dieser Untersuchung fällt im vorliegenden Zusammenhang auf, dass die Sanktion nicht in das aktuelle Vermögen des Betroffenen eingreift, wie das bei einer Geldstrafe der Fall wäre. Auch berechtigte Erwartungen werden nicht beeinträchtigt. Dem Betroffenen widerfährt durch die Kürzung lediglich ein Verlust einer Aussicht auf eine Beihilfe. Hinsichtlich dieser Aussicht auf eine Beihilfe liegt bei einem Beihilfeempfänger, der bewusst falsche Angaben gemacht hat, jedoch kein berechtigtes Vertrauen auf die Beihilfe vor. Denn er wusste von Anfang an, dass er keine ungekürzten Beihilfen bekommt, wenn er falsche Angaben macht.(68)

3.      Konsequenzen, wenn man anders entscheiden würde

72.      Abschließend bietet sich noch ein Blick auf die praktischen Konsequenzen an, die sich ergäben, würde man in einer Konstellation wie der vorliegenden zur Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem kommen. Vorausgeschickt sei, dass die konkreten Auswirkungen selbstverständlich nicht die Auslegung des ne bis in idem-Grundsatzes determinieren dürfen, gleichwohl ist ihre Betrachtung nicht ohne Interesse und unterstreicht das Verständnis für das gesamte System der Agrarbeihilfen. Sie zeigen, dass der Gesetzgeber nicht davon ausging, dass vergleichbare Verwaltungssanktionen im Agrarbereich ein bis im Sinne des Grundsatzes ne bis in idem sind.

73.      Insofern ist zunächst interessant, dass sich Verordnungen finden, die explizit anordnen, dass die unionsrechtlich vorgesehenen Verwaltungssanktionen unbeschadet zusätzlicher Sanktionen Anwendung finden, die nach nationalem Recht vorgesehen sind.(69)

74.      Auch Art. 6 der Verordnung Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften(70) deutet nicht darauf hin, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass das Zusammentreffen von Verwaltungssanktionen und nationalen Strafsanktionen am Maßstab des ne bis in idem-Grundsatzes zu messen sind. Denn dessen Abs. 1 bestimmt, dass das Verfahren betreffend die Verwaltungssanktionen lediglich ausgesetzt werden kann, wenn gegen dieselbe Person ein Strafverfahren in den Mitgliedstaaten eröffnet wird und grundsätzlich später wieder aufgenommen werden kann.(71) Die Wiederaufnahme wird in Abs. 3 zwar unter den Vorbehalt allgemeiner Rechtsgrundsätze gestellt, käme aber ne bis in idem zur Anwendung, dann dürfte das Verwaltungsverfahren nie wieder aufgenommen werden.

75.      Gemäß dem 10. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 ist zwar die anrechnungsfreie Kumulierung von Sanktionen zu verhindern, nicht aber die Durchführung eines zweiten Verfahrens versperrt. Denn obwohl dort auch der Begriff des ne bis in idem erwähnt ist, bestimmt der neunte Erwägungsgrund gleichzeitig, dass die unionsrechtlichen Sanktionen einen eigenen Zweck haben, der die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer durch die Mitgliedstaaten unberührt lässt.

76.      Schließlich ist auf die eingangs angesprochene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zurückzukommen, betrügerische Handlungen zum Nachteil der Finanzinteressen der Union durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen zu ahnden, wozu zumindest in schweren Betrugsfällen auch Freiheitsstrafen gehören können.(72)

77.      Wenn man im vorliegenden Fall den ne bis in idem-Grundsatz anwenden würde, wäre die Sanktionierung mit einer Freiheitsstrafe selbst in Fällen schwersten und wiederholten Betrugs generell ausgeschlossen, da die Verwaltungssanktion nach der Verordnung zwingend zu verhängen ist und dies die strafrechtliche Verfolgung sperren würde.

4.      Anrechnung der Sanktion

78.      Die Nichtanwendung des ne bis in idem-Grundsatzes darf aber nicht dazu führen, dass der Betroffene bezüglich der Höhe der nationalen Strafsanktion unverhältnismäßig belastet wird.(73) Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass die Verwaltungssanktion bei der Beurteilung der Höhe der zu verhängenden Strafsanktion zu berücksichtigen ist.(74) In diese Richtung deutet auch der zuvor erwähnte 10. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95(75), nach dem eine Kumulierung finanzieller Sanktionen der Union und einzelstaatlicher strafrechtlicher Sanktionen zu verhindern ist.

5.      Prüfung der übrigen Kriterien des Grundsatzes ne bis in idem

79.      Abschließend möchte ich noch auf Ausführungen zur übrigen Prüfung des ne bis in idem-Grundsatzes eingehen, die die Republik Polen und die Kommission hilfsweise erwähnten. Beide wiesen darauf hin, dass die Anwendung dieses Grundsatzes im vorliegenden Fall auch am Fehlen der Voraussetzung des idem scheitert, denn die Verwaltungssanktion nach Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 und die nationale Strafe schützten nicht dasselbe Rechtsgut.

80.      Der EGMR stellt jedoch in seiner Rechtsprechung zum Doppelbestrafungsverbot des 7. Zusatzprotokolls der EMRK mittlerweile allein auf die Identität des Sachverhalts und nicht auch auf die Identität des geschützten Rechtsguts ab.(76) Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Toshiba u. a. dargelegt habe, sollte sich der Begriff des idem im Rahmen des unionsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung an der Rechtsprechung des EGMR orientieren, wonach die Identität des Sachverhalts maßgeblich ist.(77) Danach wäre das durch Art. 138 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1973/2004 geschützte Rechtsgut für die Prüfung des idem unerheblich.

VI – Ergebnis

81.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu beantworten:

Bei dem Verfahren gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1973/2004, das zu einer Sanktion führt, die darin besteht, dem Betriebsinhaber in dem Jahr, in dem er eine unrichtige Angabe über die Größe der seinem Beihilfeantrag zugrunde liegenden Fläche vorgelegt hat, keine Beihilfe zu zahlen und ihn wiederum von der Gewährung der Beihilfe bis zu einem Betrag auszuschließen, der der Differenz zwischen der angegebenen und der ermittelten Fläche entspricht, und diesen Betrag mit den Beihilfezahlungen zu verrechnen, auf die er im Rahmen der Anträge Anspruch hat, die er in den auf das Kalenderjahr der Feststellung folgenden drei Kalenderjahren stellt, handelt es sich nicht um ein Strafverfahren im Sinne des unionsrechtlichen Grundsatzes ne bis in idem.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde zunächst am 7. Dezember 2000 in Nizza (ABl. 2000, C 364, S. 1) und sodann ein weiteres Mal am 12. Dezember 2007 in Straßburg (ABl. 2007, C 303, S. 1, und ABl. 2010, C 83, S. 389) feierlich proklamiert.


3 – Verordnung der Kommission vom 29. Oktober 2004 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates hinsichtlich der Stützungsregelungen nach Titel IV und IVa der Verordnung und der Verwendung von Stilllegungsflächen für die Erzeugung von Rohstoffen, ABl. L 345, S. 1 (im Folgenden: Verordnung Nr. 1973/2004 oder Verordnung).


4 – Spätere geringfügige Änderungen dieses Artikels sind im Übrigen nicht relevant für den vorliegenden Fall. Die durch die Verordnung (EG) Nr. 316/2009 (ABl. L 100, S. 3) erfolgte Streichung von Art. 138 gilt erst für Beihilfeanträge ab dem Jahr 2009. Mittlerweile wurde die gesamte Verordnung Nr. 1973/2004 durch die Verordnung (EG) Nr. 1121/2009 (ABl. L 316, S. 27) aufgehoben. Gemäß deren Art. 96 Abs. 1 gilt die Verordnung Nr. 1973/2004 jedoch weiterhin für Beihilfeanträge in Bezug auf das Prämienjahr 2009 und vorhergehende Prämienjahre. Eine mit Art. 138 Abs. 1 vergleichbare Bestimmung findet sich in Art. 58 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 (ABl. L 316, S. 65).


5 – Das Vorabentscheidungsersuchen spricht von einem Antrag auf „Direktzahlung“, da jedoch nach der Auslegung von Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004 gefragt ist, dürfte es sich eher um einen Antrag auf „einheitliche Flächenzahlung“ gehandelt haben.


6 – In einer dem Antrag folgenden Kontrolle wurde festgestellt, dass die tatsächlich landwirtschaftlich genutzte Fläche statt der angegebenen 212,78 Hektar lediglich 113,49 Hektar betrug.


7 – Rayongericht Goleniów.


8 – Kreisgericht Szczecin.


9 – Generalstaatsanwalt.


10 – Oberster Gerichtshof Polens.


11 – Nach ständiger Rechtsprechung steht es dem Gerichtshof frei, bei ungenau formulierten Vorlagefragen die Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen, vgl. Urteil vom 13. Dezember 1984, Haug-Adrion (251/83, Slg. 1984, 4277, Randnr. 9), sowie alle sachdienlichen Hinweise zu geben, die dem nationalen Richter die Lösung des Ausgangsrechtsstreits erleichtern, vgl. nur Urteil vom 22. Dezember 2010, LECSON Elektromobile (C‑12/10, Slg. 2010, I‑14173, Randnr. 15).


12 – Siehe hierzu auch das anhängige Verfahren Åkerberg Fransson, C‑617/10, ABl. C 72, S. 14.


13 – Vgl. Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission („LVM“, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 59), und vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission („Showa Denko“, C‑289/04 P, Slg. 2006, I‑5859, Randnr. 50).


14 – Siehe zu den anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung J. Kokott/C. Sobotta, „Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon“, in: Europäische Grundrechte Zeitschrift (2010), S. 265-271.


15 – Vgl. hierzu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 5. April 2011, Scattolon (C‑108/10, Slg. 2011, I‑7491, Randnrn. 116 bis 119), sowie der Generalanwältin Trstenjak vom 22. September 2011, M. E. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, Nrn. 71 bis 81).


16 – Siehe für erste Anhaltspunkte die Urteile vom 5. Oktober 2010, McB. (C‑400/10 PPU, Slg. 2010, I‑8965, Randnr. 52), und vom 15. September 2011, Gueye (C‑483/09 und C‑1/10, Slg. 2011, I‑8263, Randnr. 55).


17 – Vgl. hierzu die Beschlüsse vom 12. November 2010, Asparuhov Estov u. a. (C‑339/10, Slg. 2010, I‑11645, Randnr. 14), und vom 1. März 2011, Chartry (C‑457/09, Slg. 2011, I‑819, Randnr. 25).


18 – Urteil vom 15. November 2011, Dereci u. a. (C‑256/11, Slg. 2011, I‑11315, Randnr. 72), in dem der Gerichtshof die Formulierung „unter das Unionsrecht fällt“ und „in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt“ wählt. Er hat allerdings in überraschender Weise die Entscheidung der Frage, ob der streitgegenständliche Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, dem vorlegenden Gericht überlassen.


19 – Vgl. Urteil vom 21. September, Kommission/Griechenland (68/88, Slg. 1989, 2965, Randnr. 23 ff.).


20 – Vgl. im Hinblick auf die Rechtsprechung hinsichtlich der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Unionsrecht, die aus Art. 4 Abs. 2 EUV folgt, die Urteile vom 12. Juli 2001, Louloudakis (C‑262/99, Slg. 2001, I‑5547, Randnr. 67), und vom 5. Juli 2007, Ntionik und Pikoulas (C‑430/05, Slg. 2007, I‑5835, Randnr. 53).


21 – Protokoll vom 17. 12. 2007, ABl. C 306, S. 157.


22 – So auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache M. E. u. a. (zitiert in Fn. 15, Nr. 167).


23 – Dass das Protokoll lediglich eine klärende Interpretationshilfe darstellt, betonte auch die britische Regierung. Siehe dazu House of Lords, Tenth Report of the European Union Select Committee vom 26. Februar 2008, Randnr. 5.86 unter http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200708/ldselect/ldeucom/62/6209.htm.


24 – „… est exclu une nouvelle fois du bénéfice d'une aide à hauteur d'un montant correspondant à la différence entre la superficie déclarée et la superficie déterminée. Le montant correspondant est prélevé sur les paiements d'aides …“ und „… shall be excluded once again from receiving aid up to an amount which corresponds to the difference between the area declared and the area determined. That amount shall be off-set against aid payments to which the farmer is entitled in the context of applications …“


25 – Zu einem vollständigen Beihilfenausschluss für drei Jahre kann es bei diesem Verständnis nur in den Fällen kommen, in denen der Differenzbetrag so hoch ist, dass er die Beihilfezahlungen von drei Jahren konsumiert. Angesichts der Flächen und Beträge, um die es im Ausgangsfall geht, ist es daher bei meinem Verständnis der Norm nicht verständlich, dass gegen Herrn Bonda ein vollständiger Ausschluss für drei Jahre verhängt wurde.


26 – Relevanz hätte sie aber für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Sanktion.


27 – Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom 21. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe (ABl. L 141, S. 18). Diese enthält eine dem Art. 138 der Verordnung Nr. 1973/2004 vergleichbare Regelung.


28 – Vgl. die Urteile LVM (zitiert in Fn. 13, Randnr. 59) und vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 338 bis 340).


29 – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen („SDÜ“), unterzeichnet in Schengen am 19. Juni 1990 (ABl. 2000, L 239, S. 19).


30 – Siehe hierzu zuletzt meine Schlussanträge vom 8. September 2011, Toshiba u. a. (C‑17/10, beim Gerichtshof anhängig).


31 – Vgl. jedoch die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 10. Februar 2011 in der Rechtssache KME (C‑272/09 P, Slg. 2011, I‑12789, Randnrn. 61 ff.) sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 26. Oktober 2010 in der Rechtssache ThyssenKrupp Nirosta (früher ThyssenKrupp Stainless)/Kommission (C‑352/09 P, Slg. 2010, I‑2359, Randnrn. 48 ff.) und vom 26. Oktober 2010 in der Rechtssache ArcelorMittal Luxemburg/Kommission (C‑201/09 P und C‑216/09 P, Slg. 2010, I‑2239, Randnrn. 40 ff.), in denen die Generalanwälte die Kriterien des EGMR heranziehen, um den strafrechtsähnlichen Charakter des Unionskartellverfahrens zu etablieren. Siehe zum strafrechtlichen Charakter von Kartellverfahren auch EGMR, Urteil Menarini/Italien vom 27. September 2011 (Beschwerde-Nr. 43509/08, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht).


32 – Urteil vom 27. Oktober 1992, Deutschland/Kommission (C‑240/90, Slg. 1992, I‑5383, Randnr. 25).


33 – Urteil vom 11. Juli 2002, Käserei Champignon Hofmeister (C‑210/00, Slg. 2002, I‑6453).


34 – Urteil Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 44).


35 – Urteil Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 41), mit Verweis auf die Urteile vom 18. November 1987, Maizena u. a. (137/85, Slg. 1987, 4587, Randnr. 13), und Deutschland/Kommission (zitiert in Fn. 32, Randnr. 26).


36 – Urteile Deutschland/Kommission (zitiert in Fn. 32, Randnr. 19) und Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 38).


37 – Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („EMRK“, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950).


38 – Siehe hierzu auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Toshiba u. a. (zitiert in Fn. 30, Nr. 120).


39 – Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta der Grundrechte.


40 – Vgl. Urteile McB. (zitiert in Fn. 16, Randnr. 53), Dereci (zitiert in Fn. 18, Randnr. 70), sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache Toshiba u. a. (zitiert in Fn. 30, Randnr. 120). Angemerkt sei, dass Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Grundrechtecharta ein Hinausgehen über den Standard der EMRK ermöglicht.


41 – Vier Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Belgien, Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich) haben das Protokoll Nr. 7 zur EMRK bislang nicht ratifiziert.


42 – Urteile LVM (zitiert in Fn. 13, Randnr. 59) und Showa Denko (zitiert in Fn. 13, Randnr. 50).


43 – EGMR, Urteil Maresti/Kroatien vom 25. Juni 2009 (Beschwerde-Nr. 55759/07, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, § 56 mit weiteren Nachweisen).


44 – EGMR, Urteil Engel u. a./Niederlande (Große Kammer) vom 8. Juni 1976 (Beschwerde-Nrn. 5100/71; 5101/71; 5102/71; 5354/72; 5370/72, Serie A 22, § 82).


45 – EGMR, Urteil Engel u. a./Niederlande (zitiert in Fn. 44, § 82).


46 – EGMR, Urteile Öztürk/Deutschland vom 21. Februar 1984 (Beschwerde-Nr. 8544/79, Serie A 73, § 53) und Lauko/Slowakei vom 2. September 1998 (Beschwerde-Nr. 26138/95, Recueil des arrêts et décisions 1998-VI, § 58).


47 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland vom 23. November 2006 (Beschwerde-Nr. 73053/07, Recueil des arrêts et décisions 2006-XIII, § 38).


48 – Siehe nur EGMR, Urteile Zolotukhin/Russland (Große Kammer) vom 10. Februar 2009 (Beschwerde-Nr. 14939, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, § 55) unter Verweis auf Ezeh und Connors/Vereinigtes Königreich vom 9. Oktober 2003 (Beschwerde-Nrn. 39665/98 und 40086/98, Recueil des arrêts et décisions 2003-X, § 102 und 105) und Maresti/Kroatien (zitiert in Fn. 43, § 59).


49 – EGMR Urteile Zolotukhin/Russland (zitiert in Fn. 48, § 55) und Maresti (zitiert in Fn. 43, § 59).


50 – EGMR, Urteile Ezeh und Connors/Vereinigtes Königreich (zitiert in Fn. 48, § 103) und Bendenoun/Frankreich vom 24. Februar 1994 (Beschwerde-Nr. 12547/86, Serie A 284, § 47).


51 – EGMR, Urteil Zolotukhin/Russland (zitiert in Fn. 48, § 56).


52 – EGMR, Urteile Engel u. a./Niederlande (zitiert in Fn. 44, § 82) und Ezeh und Connors/Vereinigtes Königreich (zitiert in Fn. 48, § 126).


53 – EGMR, Žugić/Kroatien vom 31. Mai 2011 (Beschwerde-Nr. 3699/08, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, § 68).


54 – EGMR, Urteil Žugić/Kroatien (zitiert in Fn. 53, § 68).


55 – EGMR, Urteil Zolothukin/Russland (zitiert in Fn. 48, § 53).


56 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil Weber/Schweiz vom 22. Mai 1990 (Beschwerde-Nr. 11034/84, Serie A 177, § 33).


57 – Urteil Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 41).


58 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland (zitiert in Fn. 47, § 38).


59 – Vgl. zum Beispiel B. Bouloc, Droit pénal général, 19. Auflage (2005), S. 22 bis 23 und A. Ashworth, Principles of Criminal Law, 6. Auflage (2009), S. 16 bis 18.


60 – Vgl. die von Claus Roxin vertretene präventive Vereinigungstheorie, die zum Ausgangspunkt nimmt, dass „der Zweck der Strafe nur präventiver Art sein kann“; C. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), S. 85 bis 96.


61 – So EGMR, Urteil Jussila/Finnland (zitiert in Fn. 47, § 38), der darauf abstellt, ob eine finanzielle Belastung als Ersatz für zugefügten Schaden oder als Bestrafung gedacht ist, um einer Wiederholung vorzubeugen.


62 – Schlussanträge vom 3. Juni 1992 (zitiert in Fn. 32, Nr. 11).


63 – Urteil Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 38).


64 – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995, ABl. L 312, S. 1.


65 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland (zitiert in Fn. 47, § 38), in dem er sich auch mit Divergenzen in seiner Rechtsprechung zur Charakterisierung von Aufschlägen im Bereich der Steuern auseinander setzt. Siehe auch EGMR, Urteil Ruotsalainen/Finnland vom 16. Juni 2009 (Beschwerde-Nr. 13079/03, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, § 46), bezüglich einer Abgabe wegen Verwendung des falschen Treibstoffs.


66 – Vgl. aber im Bereich des Wettbewerbsrechts im Hinblick auf die Anwendung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung Urteil vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission (C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Randnr. 150).


67 – Siehe Nr. 43 dieser Schlussanträge.


68 – Genau auf diesen Gedanken stützte sich auch der Gerichtshof in seinem Urteil Käserei Champignon Hofmeister, in dem er das Kriterium der Freiwilligkeit an der Teilnahme am Beihilfesystem als entscheidend ansah.


69 – Siehe Art. 48 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 612/2009 der Kommission vom 7. Juli 2009 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABl. L 186, S. 1, und den 98. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1122/2009 (zitiert in Fn. 4).


70 – Zitiert in Fn. 64.


71 – Siehe hierzu auch den neunten Erwägungsgrund der Verordnung.


72 – Nrn. 18 ff. dieser Schlussanträge, vgl. hierzu auch Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. C 316, S. 49.


73 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Käserei Champignon Hofmeister (zitiert in Fn. 33, Randnr. 52), in dem der Gerichtshof betonte, dass der Betroffene trotz der Verneinung der Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine culpa nicht ohne Rechtsschutz ist.


74 – Siehe zur Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die nationale Strafsanktion Nr. 18 dieser Schlussanträge.


75 – Zitiert in Fn. 64.


76 – EGMR, Urteil Zolothukin/Russland (zitiert in Fn. 48, § 82).


77 – Zitiert in Fn. 30, Nrn. 111 bis 124.