Language of document : ECLI:EU:C:2000:159

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO SAGGIO

vom 23. März 2000 (1)

Rechtssache C-455/98

Tullihallitus

gegen

Kaupo Salumets u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Tampereen Käräjäoikeus [Finnland])

„Zölle - Verbrauchsteuern auf Ethylalkohol und alkoholische Getränke - Mehrwertsteuer - Aus Drittstaaten eingeschmuggelter Ethylalkohol - Geltung der zoll- und steuerrechtlichen Verpflichtungen“

1.    Mit am 14. Dezember 1998 eingegangenem Beschluß hat das Tampereen Käräjäoikeus (Gericht erster Instanz) dem Gerichtshof - im Rahmen einer zivilrechtlichen Streitigkeit zwischen der finnischen Zollverwaltung (Tullihallitus) und mehreren wegen Schmuggels von Ethylalkohol bereits strafrechtlich verurteilten Personen - eine Frage zur Zoll-, Verbrauchsteuer- und Mehrwertsteuerpflichtigkeit des Schmuggels von einigen Partien Ethylalkohol aus Drittstaaten nach Finnland (und daher in die Gemeinschaft) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Einschlägiges Gemeinschaftsrecht

2.    Ich fasse zunächst die im streitigen Bereich geltenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, die a) die Zölle, b) die Verbrauchsteuern und c) die Mehrwertsteuer betreffen, zusammen.

3.    Was die Zölle anbelangt, so ist die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften(2) (im folgenden: Zollkodex) zu nennen. Nach den Artikeln 202 Absatz 1 Buchstabe a und 212 des Zollkodex entsteht eine Zollschuld, „wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird“, nicht aber dann, „wenn Falschgeld, Suchtstoffe oder psychotrope Stoffe vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, jedoch nicht in den Wirtschaftskreislauf eingehen, der im Hinblick auf die Verwendung zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken einer strengen Kontrolle durch die Behörden unterliegt“. Diese Bestimmungen sind gemäß dem Gemeinsamen Zolltarif(3) auf nicht denaturierten Ethylalkohol anwendbar.

4.    Hinsichtlich der Verbrauchsteuern sieht die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren(4) (im folgenden: Richtlinie 92/12), die gemäß Artikel 3 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich auf Alkohol und alkoholische Getränke Anwendung findet, in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c vor, daß „die Verbrauchsteuer mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr“ der betreffenden Waren entsteht und daß unter „Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr“ auch die „unrechtmäßige“ Einfuhr der fraglichen Waren zu verstehen ist. Artikel 19 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke(5) (im folgenden: Richtlinie 92/83) verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine Verbrauchsteuer auf Ethylalkohol nach Maßgabeharmonisierter Steuersätze zu erheben, und nach Artikel 27 Absatz 1 Buchstaben a und b dürfen sie nur denaturierten Alkohol von der harmonisierten Steuer befreien.

5.    Was schließlich die Mehrwertsteuer betrifft, so bestimmt die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(6) (im folgenden: Sechste Richtlinie) in Artikel 2, daß „die Einfuhr von Gegenständen“ jeglicher Art der Mehrwertsteuer unterliegt.

Einschlägiges nationales Recht

6.    Das finnische Gesetz Nr. 1143 vom 8. Dezember 1994 über Alkohol (alkoholilaki) definiert als Alkohol „Ethylalkohol oder eine damit hergestellte wäßrige Lösung, die über 60 % Ethylalkohol enthält und nicht denaturiert ist“ (§ 3 Absatz 2 Nr. 4). Die Einfuhr ist nur Wirtschaftsteilnehmern, die im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis sind, oder - für den eigenen Gebrauch - Personen gestattet, die hierfür eine Erlaubnis erhalten haben (§ 8 Absatz 2).

7.    Nach dem finnischen Gesetz Nr. 1469 vom 29. Dezember 1994 über die Verbrauchsteuer (valmisteverotuslaki) und dem Gesetz Nr. 1471 vom 29. Dezember 1994 über die Besteuerung von Alkohol und alkoholischen Getränken (laki alkoholi ja alkoholijuomaverosta) sind Ethylalkohol und alkoholische Getränke, die in Finnland hergestellt worden sind, aus einem anderen Mitgliedstaat stammen oder aus Drittstaaten eingeführt werden, verbrauchsteuerpflichtig, außer wenn es sich um vollständig denaturierten Alkohol handelt oder wenn - im Fall von teilweise denaturiertem Alkohol - dieser nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt ist. Ferner sind aus Drittstaaten eingeführte Waren - einschließlich Ethylalkohol - nach dem finnischen Gesetz Nr. 1501 vom 30. Dezember 1995 über die Mehrwertsteuer (arvonlisäverolaki) mit ihrer Einfuhr mehrwertsteuerpflichtig.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

8.    Zwischen Sommer 1996 und November 1997 schmuggelte Herr Salumets gemeinsam mit anderen ungefähr 100 000 l Alkohol chinesischen und amerikanischen Ursprungs aus Estland nach Finnland ein. Ein Teil des eingeführten Alkohols war bereits in Flaschen abgefüllt und verkaufsfertig; der andere Teil war in Kanistern nach Finnland gebracht und dort in einem alten Stall mit einfachsten Mitteln und unter zweifelhaften hygienischen Bedingungen auf Flaschen gezogen worden.

9.    Nachdem die Verantwortlichen für diesen Schwarzhandel festgestellt waren, wurden sie am 31. März 1998 von einem finnischen Strafgericht zu Freiheitsstrafen und Geldbußen verurteilt. Ein Teil des eingeschmuggelten Ethylalkohols (ungefähr 9 500 l) wurde beschlagnahmt. Schließlich erhob die finnische Zollverwaltung beim Tampereen Käräjäoikeus Schadensersatzklage gegen Herrn Salumets und seine Mittäter, mit der sie die Zahlung der Zölle sowie der Verbrauch- und Mehrwertsteuer in Höhe von 38 Millionen FIM verlangte, die ihr durch den Schmuggel der Ethylalkoholpartien nach Finnland entgangen waren. Die Klage ist auf das einschlägige nationale Recht gestützt, das im übrigen das vorerwähnte Gemeinschaftsrecht wiedergibt.

Die Vorlagefrage

10.    Im Rahmen des oben beschriebenen Rechtsstreits hat das Tampereen Käräjäoikeus mit Beschluß vom 8. Dezember 1998 den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Frage gebeten, ob der Zollkodex, die Richtlinien 92/12 und 92/83 sowie die Sechste Richtlinie dahin auszulegen sind, daß der Einfuhrschmuggel von Ethylalkohol zoll-, verbrauchsteuer- und mehrwertsteuerpflichtig ist.

11.    Im Vorlagebeschluß hat das nationale Gericht ausgeführt, daß seine die Vorlage begründenden Zweifel daher rührten, daß sich Ethylalkohol in reinem Zustand („pirtu“), der gewöhnlich nicht zum unmittelbaren Verzehr bestimmt sei, wegen des Genehmigungssystems, dem er in Finnland unterliege, nicht in direktem Wettbewerb mit anderen alkoholischen Getränken befinde und einen erheblich beschränkteren Markt habe. Daher weise reiner Ethylalkohol starke Ähnlichkeit mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen auf, deren Vertrieb weder zoll-, noch verbrauch- oder mehrwertsteuerpflichtig sei. Im vorliegenden Fall habe der eingeführte Alkohol wegen seiner geringen Qualität und der in ihm enthaltenen Unreinheiten die Gesundheit etwaiger Verbraucher gefährdet, so daß er - auch in wäßrigen Lösungen verdünnt oder als Grundlage für andere Getränke - nicht hätte vermarktet werden dürfen.

Antwort auf die Frage

12.    Es sei daran erinnert, daß der Ethylalkohol, um den es im Ausgangsrechtsstreit geht, aus einem Drittstaat (Estland) in das gemeinschaftliche Zollgebiet (Finnland) geschmuggelt worden ist, ohne in den zollrechtlich freien Verkehr oder ein anderes Zollverfahren nach dem Zollkodex überführt worden zu sein. Unter diesen Umständen wäre jede andere Ware nach dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht und dem entsprechenden innerstaatlichen Recht, durch das dieses umgesetzt worden ist, zoll-, verbrauchsteuer- und mehrwertsteuerpflichtig. Warum sollten daher für eingeschmuggelten Ethylalkohol nicht die gleichen Abgaben anfallen?

13.    Das Vorbringen der Beklagten des Ausgangsrechtsstreits - dem das Vorlagegericht sich nicht verschließt - stützt sich auf die Prämisse, daß reiner Ethylalkohol nicht als ein zum normalen Verzehr bestimmtes Getränk zu betrachten sei, sondern als eine Art Suchtmittel für Alkoholiker; daher könne er nicht mit anderen alkoholischen Getränken, die frei auf dem Markt vertrieben würden, konkurrieren. Ferner sei der Ursprung des vorliegend aus Estland eingeführten Alkohols unsicher, seine Qualität gering und seine Reinheit zweifelhaft, kurzum, eine die Gesundheit des etwaigen Verbrauchers gefährdende Ware, die als Grundlage für die Zubereitung anderer, weniger alkoholhaltiger Getränke ungeeignet und daher nicht vermarktungsfähig sei. Schließlich sei der Markt für Alkohol in Finnland wegen der Erlaubnispflichtigkeit der Herstellung, des Vertriebs, der Einfuhr und der Ausfuhr dieses Erzeugnisses sehr beschränkt. Da folglich in bezug auf reinen Ethylalkohol nicht von einem freien Wirtschaftskreislauf gesprochen werden könne, sei dieses Erzeugnis nicht Gegenstand einer echten wirtschaftlichen Betätigung im Sinne des EG-Vertrags und werde daher nicht vom Gemeinschaftsrecht erfaßt, wonach die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten zoll-, verbrauchsteuer- und mehrwertsteuerpflichtig sei.

14.    Nach Auffassung der finnischen, der italienischen und der griechischen Regierung sowie der Kommission kann reiner Ethylalkohol keinesfalls einem Betäubungsmittel gleichgesetzt werden. Vielmehr stelle er eine gewöhnliche Ware dar, deren Einfuhr aus Drittstaaten in das Gemeinschaftsgebiet den gleichen Abgaben unterliege wie die große Mehrzahl der Erzeugnisse. Der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität und die Notwendigkeit, die Erhebung der Zölle, der Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer zu harmonisieren, stünden einer Differenzierung zwischen regulär eingeführten Waren und Waren, die - wie im vorliegenden Fall - eingeschmuggelt worden seien, entgegen. Diese träten nämlich wegen ihres niedrigeren Endpreises mit den legal eingeführten Waren, die den entsprechenden Abgaben unterlägen, in Wettbewerb.

15.    Der Vergleich von reinem Ethylalkohol mit Suchtstoffen und anderen psychotropen Stoffen ist nicht überzeugend. Zwar wird Ethylalkohol gewöhnlich nicht im Reinzustand konsumiert und kann, wenn er in übermäßigen Mengen zu sich genommen wird, der Gesundheit schaden, insbesondere dann, wenn er von Personen, die an chronischem Alkoholismus leiden, getrunken wird. Es ist aber nicht zu leugnen, daß es sich bei Ethylalkohol im Unterschied zu Suchtstoffen um ein Erzeugnis handelt, das sich rechtmäßig auf dem Markt befindet und dessen Herstellung, Vertrieb, Einfuhr und Ausfuhr - mögen diese auch in einigen Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften geregelt oder eingeschränkt sein - nicht aufgrund der unerlaubten Natur eines solchen Produktes als verboten angesehen werden können. Ethylalkohol fällt daher nicht unter die am 30. Mai 1961 in New York geschlossene und von allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ratifizierte Einheitskonvention über Suchtstoffe(7). Vielmehr wird er im Geschäftsverkehr alseine gewöhnliche Ware betrachtet und ist im Gemeinsamen Zolltarif (sog. Kombinierte Nomenklatur) - wie oben erwähnt - aufgeführt. Die Situation von reinem Ethylalkohol weist weniger Ähnlichkeiten mit Suchtstoffen als vielmehr mit Tabak und dessen Folgeerzeugnissen auf: eine anerkannt gesundheitsgefährdende Ware, deren Handel jedoch (derzeit) nicht illegal ist und die (derzeit) nicht als Droge eingestuft wird.

16.    Dies gilt auch, wenn, wie hier, der Ursprung des eingeführten Alkohols unsicher, seine Qualität gering und seine Reinheit zweifelhaft ist. Diese Eigenschaften mögen in der Tat dazu beitragen, den Genuß dieses Erzeugnisses noch gefährlicher zu machen, sie ändern aber nichts an seiner Natur als erlaubte Ware. Ein legales Produkt kann sich nämlich nicht aus Gründen, die mit seiner Herkunft, seiner Qualität oder seinem Reinheitsgrad zusammenhängen, in ein Betäubungsmittel verwandeln.

17.    Meiner Ansicht nach sind daher die für Betäubungsmittel vorgesehenen Ausnahmen hinsichtlich der Zoll-, Verbrauchsteuer- und Mehrwertsteuerpflichtigkeit, die alle darauf beruhen, daß es sich bei diesen um Waren handelt, deren Vertrieb wegen ihrer unerlaubten Natur verboten ist, nicht auf den Einfuhrschmuggel von Ethylalkohol anwendbar. Diese Ausnahmen sollten einzeln geprüft werden, um unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten die Gründe darzulegen, aus denen ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall abzulehnen ist.

18.    In bezug auf die Zölle ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes seit 1981(8), daß sie auf Betäubungsmittel nicht zu erheben sind, da es sich um Waren handelt, „die nach ihrer Natur in keinem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden dürfen, sondern von den zuständigen Behörden nach ihrer Entdeckung zu beschlagnahmen und aus dem Verkehr zu ziehen sind“(9), „wobei lediglich ein streng überwachter und beschränkter Handel ausgenommen ist, der der erlaubten Verwendung zu pharmazeutischen und medizinischen Zwecken dient“(10). Betäubungsmittel (und psychotrope Stoffe im allgemeinen) können - so die Ausführungen des Gerichtshofes - nicht Erzeugnissen gleichgesetzt werden, die „in Verkehr gebracht und in den Wirtschaftskreislauf aufgenommen“(11) werden, und unterliegen daher nicht dem Zollrecht. Diese Auslegung ist 1982 bestätigt(12) und1990 auf die Einfuhr von Falschgeld ausgedehnt worden(13). Es sei daran erinnert, daß der 1992 erlassene Zollkodex unter Zugrundelegung dieser Auslegung der zollrechtlichen Regelungen in Artikel 212 ausdrücklich vorsieht, daß „keine Zollschuld [entsteht], wenn Falschgeld, Suchtstoffe oder psychotrope Stoffe vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, jedoch nicht in den Wirtschaftskreislauf eingehen, der im Hinblick auf die Verwendung zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken einer strengen Kontrolle durch die Behörden unterliegt“. Ethylalkohol ist jedoch zweifellos ein Produkt, das in den Mitgliedstaaten vertrieben wird und daher Teil des Wirtschaftskreislaufs ist, so daß die Regelung, nach der für Suchtstoffe und Falschgeld keine Zölle anfallen, auf dieses Erzeugnis nicht anwendbar ist.

19.    Was die Mehrwertsteuer angeht, so hat die Gemeinschaftsrechtsprechung seit 1984(14) betont, daß die Auslegung, wonach für Betäubungsmittel keine Zölle anfallen, ebenso auf die Mehrwertsteuer anzuwenden sei: „Beide Abgaben sind hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar, als sie durch die Einfuhr in die Gemeinschaft und die sich anschließende Überführung in den Vertrieb innerhalb der Mitgliedstaaten entstehen und als jede von ihnen ein Element des Verkaufspreises darstellt, der von den Wirtschaftsteilnehmern der nachfolgenden Vertriebsstufen in gleicher Weise kalkuliert wird“(15). Diese Parallelität, die durch die spätere Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich(16) bestätigt wird, spiegelt sich auch im Wortlaut des Artikels 10 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie wider, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrumsatzsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen. Aus den oben in bezug auf die Zölle dargelegten Gründen kann Ethylalkohol, der mit einem Betäubungsmittel nicht vergleichbar ist, daher nicht unter die Ausnahmen von der Mehrwertsteuerpflicht fallen.

20.    Die Überlegungen zu den Zöllen und zur Mehrwertsteuer können auch für die Verbrauchsteuer gelten, im vorliegenden Fall für die Herstellungssteuer und die Alkoholsteuer. In Ermangelung einer spezifischen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Verbrauchsteuerregelungen auf Betäubungsmittel kann die Rechtsprechung zu den Zöllen und zur Mehrwertsteuer auf die Verbrauchsteuernübertragen werden. Zwar müssen die Mitgliedstaaten denaturierten Alkohol und zu medizinischen Zwecken oder wissenschaftlichen Forschungszwecken eingeführten Alkohol von der harmonisierten Verbrauchsteuer der Richtlinie 92/83 befreien; der hier aus Estland eingeführte Ethylalkohol ist jedoch keinem Denaturierungsverfahren unterzogen worden, um ihn ungeeignet für den Verzehr zu machen, denn ihm wurde lediglich ein blauer Lebensmittelfarbstoff zugefügt, um ihm den Anschein eines Frostschutzmittels zu geben. Er war auch in keiner Weise für medizinische oder wissenschaftliche Zwecke bestimmt.

21.    Ich bin daher der Ansicht, daß der aus einem Drittstaat in das Gemeinschaftsgebiet eingeschmuggelte Ethylalkohol gemäß den zum Zeitpunkt der illegalen Einfuhr geltenden Regelungen zoll-, verbrauchsteuer- und mehrwertsteuerpflichtig ist. Der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität verbietet nämlich eine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften(17), so daß die Zoll-, die Verbrauchsteuer- und die Mehrwertsteuerschuld entstehen, auch wenn die steuerpflichtigen Waren illegal in das gemeinschaftliche Zollgebiet verbracht worden sind(18). Dies gilt auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Ethylalkohol in reinem Zustand in einem Mitgliedstaat hinsichtlich der Herstellung, des Vertriebs, der Einfuhr und der Ausfuhr einem besonderen Genehmigungssystem unterliegt. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, daß ein etwaiges Ausfuhrverbot für bestimmte Waren „für sich genommen nicht [genügt], um die Ausfuhren dieser Waren aus dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie herausfallen zu lassen“(19), und es gibt keinen Grund, diese Überlegung nicht auch auf die möglicherweise durch eine Verwaltungsregelung eingeschränkte Einfuhr von zoll-, verbrauchsteuer- und mehrwertsteuerpflichtigen Waren zu erstrecken. Die spätere Rechtsprechung zum Verkauf nachgeahmter Parfümeriewaren(20) und zur Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele(21) hat sich im übrigen auch in diesem Sinne geäußert.

Ergebnis

22.    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:

Die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke und die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, daß beim Schmuggel von Ethylalkohol aus einem Drittstaat in das Zollgebiet der Gemeinschaft gemäß den zum Zeitpunkt der illegalen Einfuhr geltenden Vorschriften Zölle, Verbrauchsteuern und Mehrwertsteuer anfallen.


1: Originalsprache: Italienisch.


2: -     ABl. L 302, S. 1.


3: -     KN-Codes 2207 und 2208.


4: -     ABl. L 76, S. 1.


5: -     ABl. L 316, S. 21.


6: -     ABl. L 145, S. 1.


7: -     UNTS, 520, S. 204.


8: -     Urteil vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 50/80 (Horvath, Slg. 1981, 385). Das Betäubungsmittel, um das es in diesem Urteil ging, war Heroin.


9: -     A. a. O., Randnr. 11.


10: -     A. a. O., Randnr. 10.


11: -     A. a. O., Randnr. 12.


12: -     Urteile vom 26. Oktober 1982 in der Rechtssache 221/81 (Wolf, Slg. 1982, 3681) und in der Rechtssache 240/81 (Einberger, Slg. 1982, 3699). Die betroffenen Suchtstoffe waren Kokain und Morphin.


13: -     Urteil vom 6. Dezember 1990 in der Rechtssache C-343/89 (Witzemann, Slg. 1990, I-4477).


14: -     Urteil vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 294/82 (Einberger II, Slg. 1984, 1177). In diesem Urteil ging es um die Einfuhr von mehreren Partien Morphin nach Deutschland.


15: -     A. a. O., Randnr. 18.


16: -     Urteile vom 5. Juli 1988 in der Rechtssache 269/86 (Mol, Slg. 1988, 3627) zur Abgabe von Amphetaminen und in der Rechtssache 289/86 (Happy Family, Slg. 1988, 3655) zum Verkauf von Haschisch sowie Urteil vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-158/98, Coffeeshop „Siberië“, Slg. 1999, 3971) betreffend das Zurverfügungstellen eines Tisches für den Verkauf von weichen Drogen.


17: -     Siehe Urteil Mol, Randnr. 18.


18: -     Siehe Artikel 202 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex in bezug auf Zölle und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 92/12 hinsichtlich der Verbrauchsteuern.


19: -     Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-111/92 (Lange, Slg. 1993, I-4677, Randnr. 17) zur Ausfuhr von als sensibel eingestuften Computersystemen in bestimmte osteuropäische Staaten.


20: -     Urteil vom 28. Mai 1998 in der Rechtssache C-3/97 (Goodwin und Unstead, Slg. 1998, I-3257).


21: -     Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-283/95 (Fischer, Slg. 1998, I-3369).