EMARK - JICRA - GICRA 2004 / 37

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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 23. September 2004 i.S. M.R., Serbien und Montenegro (Kosovo)
Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG: Nichteintreten auf ein Asylgesuch; Anforderungen an die Beweiskraft eines abzugebenden Identitätspapiers.
Ein Identitätspapier kann rechtsgenüglich im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG sein, obwohl es nicht alle in Art. 1 Bst. a
SR 142.311 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, AsylV 1) - Asylverordnung 1
AsylV-1 Art. 1 Geltungsbereich - 1 Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
1    Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
2    Die Dublin-Assoziierungsabkommen sind in Anhang 1 aufgeführt.4
AsylV 1 genannten Bestandteile der Identität aufführt; es muss auch nicht zwingend vom Heimatstaat ausgestellt worden sein (Erw. 5.1.).
Art. 32 al. 2 let. a LAsi : non-entrée en matière sur une demande d'asile ; exigences quant à la valeur probatoire du document d'identité produit.
Un document d'identité produit par un requérant peut être suffisant au sens de l'art. 32 al. 2 let. a LAsi, quand bien même il ne contient pas tous les éléments d'identification énumérés à l'art. 1 let. a OA 1 ; il n'est pas nécessaire non plus qu'il ait été délivré par le pays d'origine (consid. 5.1.).
Art. 32 cpv. 2 lett. a LAsi: non entrata nel merito di una domanda d'asilo; valore probatorio di un documento d'identificazione.
Un documento d'identificazione può essere sufficiente ai sensi dell'art. 32 cpv. 2 lett. a LAsi pure se non contiene tutti gli elementi dell'identità enumerati all'art. 1 lett. a OAsi 1; non è parimenti necessario che sia stato emesso dal Paese d'origine (consid. 5.1.).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Der Beschwerdeführer ersuchte am 30. Juni 2004 in der Schweiz um Asyl. Er gab zu Protokoll, er habe sechs Jahre lang in Deutschland gelebt und sei im März 2004 in seine Heimat zurückgekehrt. Sein Reisepass und seine Identitätskarte seien in Deutschland (bei den deutschen Behörden) geblieben. Er sei in den Kosovo zurückgekehrt, weil er keine Möglichkeit gehabt habe, in Deutschland zu bleiben. Da er illegal gereist sei, habe er sich davor gefürchtet, die Dokumente mitzunehmen. Auf Anraten seines Anwalts habe er sich den deutschen

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Behörden, die ihn hätten abschieben wollen, nicht gestellt. Der Beschwerdeführer reichte einen auf seinen Namen lautenden deutschen Führerschein und eine von einem Anwalt aus Y. beglaubigte Aussage zweier Personen vom 8. Juli 2004, wonach er sich bis zum 26. Juni 2004 im Kosovo aufgehalten habe, zu den Akten.
Das Bundesgrenzschutzamt Weil am Rhein teilte den Einwohnerdiensten des Kantons X. am 5. Juli 2004 mit, der Beschwerdeführer sei am 11. Mai 1998 nach Deutschland eingereist. Am 17. Dezember 2003 habe er erneut einen Asylantrag gestellt, am 29. April 2004 sei er nach unbekannt weggezogen. Seit dem 27. Mai 2004 sei er zur Festnahme zwecks Ausweisung/Abschiebung ausgeschrieben.
Mit Verfügung vom 14. Juli 2004 trat das BFF auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein und verfügte gleichzeitig dessen Wegweisung aus der Schweiz. Das BFF begründete seinen auf Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG gestützten Nichteintretensentscheid damit, dass der Beschwerdeführer den Asylbehörden innert der eingeräumten Frist von 48 Stunden keine Identitätspapiere abgegeben habe. Dass es ihm nicht möglich sei, den Schweizer Behörden rechtsgenügliche Dokumente abzugeben, habe er sich selbst zuzuschreiben. Durch seine illegale Ausreise aus Deutschland in ein angrenzendes Land habe er selbst die Ursache dafür geschaffen, dass er ohne Identitätspapiere habe ausreisen müssen. Es könne davon ausgegangen werden, dass die deutschen Behörden ihm bei einer legalen Ausreise in sein Heimatland auch seine Identitätspapiere ausgehändigt hätten. Die Asylvorbringen des Beschwerdeführers entbehrten jeglicher Grundlage und seien als offensichtlich haltlos zu qualifizieren. Das BFF bezweifelte auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er von Deutschland aus in den Kosovo zurückgekehrt sei. Den Wegweisungsvollzug erachtete das BFF als zulässig, zumutbar und möglich.
Mit Eingabe an die ARK vom 19. Juli 2004 beantragte der Beschwerdeführer, die Verfügung des BFF sei aufzuheben.
Die Akten wurden zur Vernehmlassung an das BFF überwiesen. Die Vorinstanz wurde vom Instruktionsrichter darauf aufmerksam gemacht, dass den Akten der deutsche Führerschein des Beschwerdeführers beiliege, was in der Verfügung unerwähnt geblieben sei.
Das BFF beantragte in der Vernehmlassung vom 9. August 2004 die Abweisung der Beschwerde.

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Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache an das BFF zum neuen Entscheid zurück.
Aus den Erwägungen:

5.

5.1. Damit Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG Anwendung finden kann, darf die asylsuchende Person weder Reisepapiere noch andere Dokumente abgegeben haben, die es erlauben, sie zu identifizieren. Vorliegend hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, er habe sechs Jahre lang in Deutschland gelebt. Dieses Vorbringen wurde durch die deutschen Behörden bestätigt. Es trifft zwar zu, dass dem mit einer Fotografie des Beschwerdeführers versehenen, eingereichten deutschen Führerschein kein direkter Hinweis auf seine Staatsangehörigkeit zu entnehmen ist. Indessen können dem Dokument Name, Vorname und Geburtsdatum sowie Geburtsort - welcher zumindest ein Indiz dafür ist, dass der Beschwerdeführer die richtige Staatsangehörigkeit genannt hat - des Beschwerdeführers entnommen werden. Der Beschwerdeführer kann mit diesem Dokument somit identifiziert werden [...]. Das BFF führt zwar in seiner Vernehmlassung zu Recht aus, dass mit dem im AsylG verwendeten Ausdruck Identität auch die Staatsangehörigkeit gemeint ist, das AsylG verlangt indessen nicht, dass auf dem Dokument, mit welchem eine asylsuchende Person identifiziert werden können soll, alle Merkmale der Identität erkennbar sind. So gehört zum Begriff Identität gemäss Art. 1 Bst. a
SR 142.311 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, AsylV 1) - Asylverordnung 1
AsylV-1 Art. 1 Geltungsbereich - 1 Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
1    Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
2    Die Dublin-Assoziierungsabkommen sind in Anhang 1 aufgeführt.4
AsylV 1 auch die
Ethnie, welche indessen wohl in den meisten Reise- und Identitätspapieren keine Erwähnung finden dürfte. Der Hinweis des BFF, wonach als Reisepapier ein amtliches Dokument gelte, welches die Einreise in den Heimatstaat erlaube, ist zwar korrekt, vermag aber nichts daran zu ändern, dass Art. 32 Abs. 1 Bst. a
SR 142.311 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, AsylV 1) - Asylverordnung 1
AsylV-1 Art. 1 Geltungsbereich - 1 Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
1    Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
2    Die Dublin-Assoziierungsabkommen sind in Anhang 1 aufgeführt.4
AsylG auch die Abgabe eines anderen Dokumentes genügen lässt, mit welchem die asylsuchende Person identifiziert werden kann. Die Auffassung des BFF schliesslich, wonach Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG auch den Zweck habe, ein Dokument bei den Akten zu haben, mit dem ein abgewiesener Asylsuchender in den Heimatstaat zurückgeführt werden kann, mag zwar richtig sein, indessen verlangt besagter Gesetzesartikel in der heutigen Fassung gerade nicht, dass die asylsuchende Person ein Reisepapier abzugeben hat. Diesbezüglich ist abschliessend auf die Botschaft zum Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich vom 13. Mai 1998 zu verweisen, in welcher hinsichtlich des per 1. Juli 1998 in Kraft gesetzten Art. 16 Abs. 1 Bst. abis aAsylG ausgeführt wurde, dass auf ein Asylgesuch nicht eingetreten werde, wenn den Behörden keine Reisepapiere oder Identitätsausweise (z.B. Pass, Passersatz, Führerausweis oder ein anderes
amtliches Dokument mit Fotografie) abgegeben wird. Die Bestimmung von Art. 16
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 16 Verfahrenssprache - 1 Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
1    Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
2    Verfügungen oder Zwischenverfügungen des SEM werden in der Sprache eröffnet, die am Wohnort der Asylsuchenden Amtssprache ist.38
3    Das SEM kann von Absatz 2 abweichen, wenn:
a  die asylsuchende Person oder deren Rechtsvertreterin oder Rechtsvertreter einer anderen Amtssprache mächtig ist;
b  dies unter Berücksichtigung der Gesuchseingänge oder der Personalsituation für eine effiziente und fristgerechte Gesuchserledigung erforderlich ist;
c  die asylsuchende Person von einem Zentrum des Bundes einem Kanton mit einer anderen Amtssprache zugewiesen wird.39


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Abs. 1
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 16 Verfahrenssprache - 1 Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
1    Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
2    Verfügungen oder Zwischenverfügungen des SEM werden in der Sprache eröffnet, die am Wohnort der Asylsuchenden Amtssprache ist.38
3    Das SEM kann von Absatz 2 abweichen, wenn:
a  die asylsuchende Person oder deren Rechtsvertreterin oder Rechtsvertreter einer anderen Amtssprache mächtig ist;
b  dies unter Berücksichtigung der Gesuchseingänge oder der Personalsituation für eine effiziente und fristgerechte Gesuchserledigung erforderlich ist;
c  die asylsuchende Person von einem Zentrum des Bundes einem Kanton mit einer anderen Amtssprache zugewiesen wird.39
Bst. abis aAsylG wurde unter Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG unverändert in das [...] revidierte AsylG übernommen.

5.2. Des Weiteren hätte die Vorinstanz sich im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und aufgrund der Ermächtigung durch den Beschwerdeführer bei den deutschen Behörden erkundigen können, ob bei diesen die Reisepapiere des Beschwerdeführers deponiert sind. Somit hätten allfällige Zweifel an der Identität des Beschwerdeführers bestätigt oder ausgeräumt werden können und die Dokumente wären dem BFF von den deutschen Behörden wohl auch zugestellt worden, nachdem bei diesen das Asylverfahren offenbar abgeschlossen ist.

5.3. Die Auffassung des BFF, wonach der Beschwerdeführer kein Dokument abgegeben habe, welches es erlaube, ihn zu identifizieren, erweist sich nach oben Gesagtem als nicht haltbar. Der Beschwerdeführer hat mit dem deutschen Führerschein ein Dokument zu den Akten gereicht, welches seine Identifikation erlaubt. [...]

© 22.12.04


Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 2004-37-255-258
Datum : 23. September 2004
Publiziert : 23. September 2004
Quelle : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als 2004-37-255-258
Sachgebiet : Serbien Montenegro
Gegenstand : Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG: Nichteintreten auf ein Asylgesuch; Anforderungen an die Beweiskraft eines abzugebenden Identitätspapiers....


Gesetzesregister
AsylG: 16 
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 16 Verfahrenssprache - 1 Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
1    Eingaben an Bundesbehörden können in jeder Amtssprache eingereicht werden. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Eingaben von Asylsuchenden, die von einer bevollmächtigten Person vertreten werden, in Zentren des Bundes in der Amtssprache des Standortkantons des Zentrums eingereicht werden.37
2    Verfügungen oder Zwischenverfügungen des SEM werden in der Sprache eröffnet, die am Wohnort der Asylsuchenden Amtssprache ist.38
3    Das SEM kann von Absatz 2 abweichen, wenn:
a  die asylsuchende Person oder deren Rechtsvertreterin oder Rechtsvertreter einer anderen Amtssprache mächtig ist;
b  dies unter Berücksichtigung der Gesuchseingänge oder der Personalsituation für eine effiziente und fristgerechte Gesuchserledigung erforderlich ist;
c  die asylsuchende Person von einem Zentrum des Bundes einem Kanton mit einer anderen Amtssprache zugewiesen wird.39
32  258
AsylV 1: 1
SR 142.311 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, AsylV 1) - Asylverordnung 1
AsylV-1 Art. 1 Geltungsbereich - 1 Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
1    Diese Verordnung gilt, soweit die Dublin-Assoziierungsabkommen keine abweichenden Bestimmungen vorsehen.
2    Die Dublin-Assoziierungsabkommen sind in Anhang 1 aufgeführt.4
Stichwortregister
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deutschland • reisepapier • kosovo • heimatstaat • ausweispapier • richtigkeit • ausreise • weiler • fotografie • vorinstanz • entscheid • landesverweisung • nichteintretensentscheid • akte • schweizer bürgerrecht • serbien und montenegro • sachverhalt • einreise • bestandteil • zweifel
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