Tribunal federal
{T 0/2}
6S.158/2005 /Rom
Urteil vom 9. Juni 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Thommen.
Parteien
X.F.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Veuve,
gegen
A.F.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Verena Heer, Stampfenbachstrasse 104, 8006 Zürich,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.
Gegenstand
Verjährung (mehrfache sexuelle Nötigung usw.),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 10. Februar 2005.
Sachverhalt:
A.
X.F.________ wird vorgeworfen, sich im Zeitraum von 1985 bis im Januar 1994 mehrfach sexuell an seiner Tochter, A.F.________ (Jahrgang 1981), vergangen zu haben. Am 27. September 2002 erhob A.F.________ deswegen Strafanzeige gegen ihren Vater.
B.
Mit Berufungsurteil vom 10. Februar 2005 verurteilte die 1. Strafkammer des Zürcher Obergerichts X.F.________ zu 2 Jahren und 9 Monaten Gefängnis wegen mehrfacher sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 189 - 1 Wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | ...263 |
3 | Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich eine gefährliche Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.264 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 187 - 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt, |
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1 | Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt, |
2 | Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt. |
4 | Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
5 | ...260 |
6 | ...261 |
Eine dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Zürcher Kassationsgericht mit Beschluss vom 26. Januar 2006 ab.
C.
Am 22. April 2005 erhob X.F.________ eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen das obergerichtliche Urteil. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. Am 19. Mai 2005 ersuchte er überdies um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
D.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten beide auf eine Stellungnahme. A.F.________ liess sich nicht vernehmen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz gestützt auf die seiner Ansicht nach vage tatsächliche Annahme regelmässiger sexueller Übergriffe das Vorliegen einer verjährungsrechtlichen Einheit bejaht habe. Aus der Verurteilung wegen mehrfacher Tatbegehung folge e contrario, dass die Vorinstanz die sexuellen Übergriffe in tatsächlicher Hinsicht nicht als tatbestandliche Handlungseinheit und auch nicht als natürliche Handlungseinheit qualifiziert habe. Ansonsten hätte der Beschwerdeführer der einfachen Tatbegehung schuldig gesprochen werden müssen. Die Vorinstanz habe offensichtlich übersehen, dass das Bundesgericht das Institut der verjährungsrechtlichen Einheit aufgegeben habe, und dadurch Art. 71 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt. |
1.1 Nach den vorinstanzlichen Ausführungen bilden mehrere strafbare Handlungen verjährungsrechtlich eine Einheit, wenn sie gleichartig und gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind und - ohne dass bereits ein Dauerdelikt nach Art. 71 lit. c
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
1.2 In BGE 131 IV 83 (Entscheid 6S.163/2004 vom 11. November 2004, E. 2.4.4) hat das Bundesgericht die Figur der verjährungsrechtlichen Einheit aufgegeben. Dies verunmöglicht es aber nicht, mehrere tatsächliche Handlungen in gewissen Fällen rechtlich als Einheit zu qualifizieren. Zunächst ist an Fälle der tatbestandlichen Handlungseinheit zu denken. Eine solche liegt einmal bei Dauerdelikten aber auch dann vor, wenn das tatbestandsmässige Verhalten mehrere unter Umständen auch länger andauernde Einzelhandlungen voraussetzt (z.B. Misswirtschaft, Art. 165
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 165 - 1. Der Schuldner, der in anderer Weise als nach Artikel 164, durch Misswirtschaft, namentlich durch ungenügende Kapitalausstattung, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulationen, leichtsinniges Gewähren oder Benützen von Kredit, Verschleudern von Vermögenswerten oder arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung oder Vermögensverwaltung, |
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1 | Der Schuldner, der in anderer Weise als nach Artikel 164, durch Misswirtschaft, namentlich durch ungenügende Kapitalausstattung, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulationen, leichtsinniges Gewähren oder Benützen von Kredit, Verschleudern von Vermögenswerten oder arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung oder Vermögensverwaltung, |
2 | Der auf Pfändung betriebene Schuldner wird nur auf Antrag eines Gläubigers verfolgt, der einen Verlustschein gegen ihn erlangt hat. |
Verjährung mit Beendigung des rechtswidrigen Zustands (Art. 71 lit. c
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
-:-
1.3 Vorliegend stellt sich die Frage, ob die sexuellen Übergriffe des Beschwerdeführers im Sinne des Gesagten als Einheit betrachtet werden können. In einem gleich gelagerten Fall hat das Bundesgericht entschieden, dass ein über Jahre andauernder sexueller Missbrauch eines Kindes weder als tatbestandliche noch als natürliche Handlungseinheit eingestuft werden könne (Entscheid 6S.397/2005 vom 13. November 2005, E. 2.3). Dies trifft auch auf den hier zu beurteilenden Fall zu. Zwar lässt die Vorinstanz offen, ob sich die Übergriffe auf einen einmaligen Entschluss zurückführen lassen (angefochtenes Urteil S. 9), doch fehlt es - wie in jenem Fall - auch vorliegend an einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang der Taten. Die Verjährung beginnt für die einzelnen Handlungen separat zu laufen, was dazu führt, dass ein Teil der Taten verjährt ist.
Die Rüge erweist sich somit als begründet. Die Beschwerde ist gut-zuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuweisen. In der Neubeurteilung wird die Vorinstanz die Verjährung im Sinne der vorstehenden Erwägungen für die festgestellten Übergriffe getrennt festzulegen haben.
2.
Infolge der Gutheissung der Beschwerde sind keine Kosten zu erheben und dem Beschwerdeführer ist eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 278 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
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1 | Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
2 | Das Gericht kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde. |
3 | ...114 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 10. Februar 2005 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Juni 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: