1998 / 29- 238

29. Auszug aus dem Urteil der ARK vom 4. August 1998
i.S. E. S. und Familie, Bosnien-Herzegowina

Art. 1 C Ziff. 1 FK, Art. 41 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
und Abs. 3 AsylG: Widerruf des Asyls infolge Beschaffung von Reisepässen des Heimatstaates; Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Familienangehörigen.

1. Lässt sich ein anerkannter Flüchtling einen heimatlichen Reisepass ausstellen, beansprucht er damit - unter Vorbehalt besonderer (in casu verneinter) Umstände - den Schutz des Heimatstaates (vgl. EMARK 1996 Nr. 7), was nach Art. 1 C Ziff. 1 FK zum Widerruf des Flüchtlingsstatus führt (Erw. 3a-b).

2. Art. 41 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG, wonach sich die Aberkennung nicht auf Ehegatten und Kinder erstreckt, schliesst nicht aus, dass die Eltern in Ausübung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis für ihre unmündigen Kinder einen Widerrufstatbestand schaffen. Ist jedoch nicht nachweisbar, dass die Kinder entweder im Besitz eigener heimatlicher Reisepässe oder in den Pässen ihrer Eltern eingetragen sind, beschränkt sich die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft auf ihre im Passbesitz befindlichen Eltern (Erw. 3c).

Art. 1 C, ch. 1 Conv., art. 41, al. 1, let. b, et 41, al. 3 LAsi : révocation d'asile par suite de l'obtention de passeports du pays d'origine ; effets sur la situation juridique des membres de la famille.

1. Sauf circonstances spéciales (non remplies en l'espèce), lorsqu'un réfugié reconnu obtient un passeport de son pays d'origine, il se prévaut, ce faisant, de la protection de ce pays (cf. JICRA 1996 no 7) ; une telle situation conduit à la révocation de son statut, conformément à l'article 1 C, chiffre 1 Conv. (consid. 3a-b).

2. L'article 41, al. 3 LAsi, en vertu duquel le retrait de la qualité de réfugié ne s'étend pas au conjoint ni aux enfants du réfugié, n'exclut pas le cas où, dans l'exercice de leurs devoirs de représentation légale, les parents réalisent, au détriment de leurs enfants mineurs, une situation de fait entraînant une révocation d'asile. Si la preuve ne peut être faite


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que les enfants sont en possession d'un passeport national propre ou sont inscrits dans celui de leurs parents, le retrait de la qualité de réfugié est limité aux parents qui sont titulaires d'un passeport (consid. 3c).

Art. 1 C n. 1 Conv., art. 41 cpv. 1 lett. b e cpv. 3 LAsi: revoca dell'asilo in seguito all'ottenimento di passaporti del Paese d'origine; conseguenze sulla situazione giuridica dei membri della famiglia.

1. Fatte salve circostanze particolari (non sussistenti nella fattispecie), il rifugiato riconosciuto che chiede al Paese d'origine il rilascio di un passaporto invoca nel contempo la protezione di detto Paese (cfr. GICRA 1996 n. 7), ciò che implica la revoca dell'asilo giusta l'art. 1 C n. 1 Conv. (consid. 3a-b).

2. L'art. 41 cpv. 3 LAsi, a tenore del quale la privazione non si estende al coniuge ed ai figli del rifugiato, non esclude che i genitori nell'esercizio dell'autorità parentale legale verso i loro figli minorenni realizzino la fattispecie legale della revoca. Se però i figli non sono né compro-vatamente titolari di un proprio passaporto del Paese d'origine né iscritti nei passaporti dei genitori, sono privati della qualità di rifugiato unicamente i loro genitori, titolari di un passaporto (consid. 3c).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführer (das Ehepaar E. S. und deren vier Kinder) reisten am 7. Juli 1993 in die Schweiz ein. Am 12. Juli 1993 stellten sie ein Asylgesuch. Mit Verfügung vom 13. Juli 1993 anerkannte das BFF ihre Flüchtlingseigenschaft und gewährte ihnen Asyl.

Am 4. April 1997 teilte die Grenzpolizei Chiasso dem BFF mit, dass die Beschwerdeführer bei der Wiedereinreise im Besitze von gültigen Reisepässen der Republik Bosnien-Herzegowina gewesen seien.

Mit Schreiben vom 12. Juni 1997 teilte das BFF den Beschwerdeführern mit, dass es aufgrund dieses Vorfalls beabsichtige, das ihnen gewährte Asyl zu widerrufen sowie die ihnen zuerkannte Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen.


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Durch die Ausstellung neuer bosnischer Pässe hätten sie sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatstaates gestellt, was einen Asylwiderrufstatbestand darstelle.

In ihrer Stellungnahme hielten die Beschwerdeführer fest, sie hätten ihre bosnischen Reisepässe mit Hilfe eines in Slowenien wohnhaften Neffen besorgen können. Letzterer sei zu diesem Zwecke nach Bosnien-Herzegowina gereist. Sie selber seien im April 1997 nach Slowenien gereist und hätten dort die Pässe aus der Hand jenes Neffen erhalten. In Bosnien-Herzegowina selber seien sie seit fünf Jahren nicht mehr gewesen.

Mit Verfügung vom 4. Juli 1997 aberkannte das BFF den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft und widerrief das ihnen gewährte Asyl. Gegen diese Verfügung wurde Beschwerde an die ARK erhoben.

Die Vorinstanz schloss in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführer hätten sich bosnische Reisepässe ausstellen lassen und seien mit diesen gereist, womit sie sich freiwillig unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hätten. Dies, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre, mit den Schweizer Reiseausweisen zu reisen.

Mit Zwischenverfügung vom 1. Juli 1998 forderte der zuständige Instruktionsrichter die Beschwerdeführer auf, die in ihrem Besitze befindlichen bosnischen Reisepässe zwecks weiterer Sachverhaltsabklärung zur Einsichtnahme zuzustellen.

Mit Schreiben vom 10. Juli 1998 hielten die Beschwerdeführer zuhanden der Kommission fest, nicht mehr im Besitze ihrer bosnischen Reisepässe zu sein, da sie "diese beim Eintritt in die Schweiz aus Verzweiflung zerrissen" hätten.

Die ARK heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt den Widerruf bezüglich der vier Kinder auf.

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 41 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG wird das Asyl aus Gründen nach Art. 1 C Ziff. 1-6 FK widerrufen. Mit dem Asylwiderruf kann die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgen (Art. 41 Abs. 2
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG). Nach Art. 1 C Ziff. 1 FK fällt eine Person nicht mehr unter dieses Abkommen, wenn sie sich


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freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat.

Gemäss Art. 41 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG erstreckt sich die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf den Ehegatten und die Kinder.

3. a) Die angefochtene Verfügung begründet den Asylwiderruf und die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenüber den Beschwerdeführern damit, diese hätten sich durch die Entgegennahme bosnischer Reisepässe freiwillig unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt, womit sie mit Blick auf Art. 41 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 FK einen Widerrufstatbestand verwirklicht hätten.

Die Beschwerdeführer halten dieser Argumentation entgegen, sie hätten seit ihrer Asylgesuchseinreichung im Jahre 1993 nie mehr heimatlichen Boden betreten. Ausserdem hätten sie sich weder unmittelbar mit bosnischen Behörden im Heimatland noch mit solchen einer Auslandsvertretung in Verbindung gesetzt, um Reisepässe erhältlich zu machen. Die Kontaktierung der bosnischen Behörden in Kljuc sei vielmehr durch einen in Slowenien wohnhaften Neffen des Beschwerdeführers erfolgt, wo auch die Übergabe der Reisepässe stattgefunden habe. Aus diesem Grunde könne nicht von einer Unterschutzstellung unter den Heimatstaat gesprochen und aus der Beschaffung der Pässe abgeleitet werden, dass sie - die Beschwerdeführer - im Falle einer Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina keine asylerheblichen Nachteile mehr zu befürchten hätten.

Es darf als sachverhaltsmässig erstellt gelten, dass sich Herr und Frau E. S. von den bosnischen Behörden in Kljuc im November 1996 Reisepässe haben ausstellen lassen. Im übrigen ist ihrer Schilderung gemäss davon auszugehen, dass sie die Pässe durch Vermittlung eines Neffen von Herrn E. S. erhalten haben, ohne selbst direkt die heimatlichen Behörden kontaktiert zu haben. Jedenfalls sind den Akten keinerlei Hinweise dafür zu entnehmen, dass die Beschwerdeführer selber nach Bosnien-Herzegowina gereist sind.

Die Kontaktnahme mit den Behörden des Heimatstaates zwecks Passbeschaffung stellt zweifellos einen Tatbestand dar, der grundsätzlich als "Unterschutzstellung" unter den Widerrufsgrund von Art. 1 C Ziff. 1 FK subsumiert werden kann (vgl. EMARK 1993 Nr. 22, S. 144; s. dazu A. Achermann/ Ch. Hausammann, Handbuch des Asylrechts, 2.A., Bern / Stuttgart 1991, S. 202 f.; S. Werenfels, Der Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Recht, Bern u.a. 1987, S. 307 ff., Handbuch UNHCR, Genf 1993, Rz. 121, S. 33). Aller-


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dings sind hierbei (entgegen der früheren schweizerischen Praxis, wonach der Erhalt eines Reisepasses durch den Heimatstaat als absoluter Asylwiderrufsgrund galt) die Kriterien zu beachten, welche die Praxis für die Anwendung des genannten Widerrufsgrundes aufgestellt hat.

Mit Grundsatzurteil vom 12. Dezember 1995 i.S. L.H. (EMARK 1996 Nr. 7, S. 50 ff.) - bestätigt in den Urteilen vom 19. Januar 1996 i.S. V.T.N. (EMARK 1996 Nr. 11, S. 82 ff.) und vom 26. Januar 1996 i.S. T.T.N. (EMARK 1996 Nr. 12, S. 91 ff.) - hat sich die ARK ausführlich zur Auslegung von Art. 1 C Ziff. 1 FK geäussert. Zu beurteilen waren durchwegs Fälle, in denen anerkannte Flüchtlinge in den früheren Verfolgerstaat gereist sind. Wohl misst die ARK in den vorerwähnten Urteilen einer Reise in den früheren Verfolgerstaat eine starke Indizwirkung für die Annahme zu, dass die frühere Verfolgungssituation oder Furcht vor Verfolgung nicht mehr besteht; sie verlangt indessen im Sinne einer kumulativen Voraussetzung die zusätzliche Prüfung der Frage, ob der Betroffene freiwillig gehandelt habe (1.), ob er mit der Absicht gehandelt habe, sich dem Schutz des Heimatstaates zu unterstellen (2.) und ob er diesen Schutz auch tatsächlich erhalten habe (3.). Dabei obliegt es der verfügenden Behörde, das Vorliegen sämtlicher für eine Anwendung von Art. 1 C Ziff. 1 FK erforderlichen Voraussetzungen zu prüfen.

b) Zunächst ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführer vorliegend gestützt auf Art. 41 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG den Widerrufstatbestand von Art. 1 C Ziff. 1 FK verwirklicht haben.

aa) Im vorliegenden Fall darf hinsichtlich des Ehepaars E. S. als erstellt gelten, dass es sich durch Vermittlung eines in Slowenien wohnhaften Neffen des Beschwerdeführers freiwillig zwei bosnische Reisepässe hat ausstellen lassen, womit das erste Kriterium einer Unterschutzstellung unter den Heimatstaat erfüllt ist.

bb) Weiter ist zu beurteilen, ob sich die Eheleute E. S. durch das Ausstellenlassen heimatlicher Reisepässe in rechtlich relevanter Weise absichtlich unter den Schutz ihres Heimatlandes stellen wollten. Damit ist die Überlegung angesprochen, dass die Beschaffung heimatlicher Reisepapiere nicht zum Asylwiderruf und zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft führen soll, wenn sie aus beachtlichen Gründen erfolgt ist. Mit dem Flüchtlingsstatus vereinbar können beispielsweise das Anfordern eines Ehefähigkeitszeugnisses, Regelungen von Erbschafts- und Vormundschaftsangelegenheiten im Heimatstaat, das Stellen von Einladungsgesuchen für Verwandte auf der Vertretung des Heimat-


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staates in der Schweiz, die Beschaffung eines Führerausweises bei den Heimatbehörden oder eine kurze Heimatreise zwecks Besuchs eines todkranken Elternteils sein. Den vorerwähnten Sachverhalten ist gemeinsam, dass sie - zufolge Bestehens überwiegender und schützenswerter Privatinteressen - nicht auf eine eigentliche Absicht anerkannter Flüchtlinge, den Schutz des Heimatlandes in Anspruch zu nehmen, schliessen lassen. Wiewohl die vorerwähnten Beispielfälle vornehmlich auf Fälle einer effektiven Rückkehr in den Heimatstaat bezogen sind, muss auch die Ausstellung von Reisepässen unter bestimmten, aussergewöhnlichen Umständen nicht in jedem Fall die Beendigung der Rechtsstellung als Flüchtling mit sich bringen (vgl. Handbuch UNHCR, a.a.O., Rz. 122 ff., insbes. 124 und 125).

Die Beschwerdeführer machen in ihrer Rechtsmitteleingabe vom 6. August 1997 namentlich geltend, sie hätten sich Pässe besorgt, um im Bedarfsfalle an Wahlen in ihrem Heimatland teilnehmen zu können. Sie seien überzeugt gewesen, dass diese Möglichkeit ohne nationale Reisepässe nicht bestanden hätte. Ausserdem hätten sie nicht gewusst, dass das Erhältlichmachen heimatlicher Reisepässe ihren Flüchtlingsstatus in der Schweiz gefährden könnte. Im übrigen weisen sie in ihrer Stellungnahme vom 8. Oktober 1997 ergänzend darauf hin, dass der Schweizer Bundesrat den in der Schweiz als Flüchtlingen anerkannten Personen im Sinne einer Ausnahmeregelung gar das Recht eingeräumt habe, zwecks Teilnahme an den Wahlen vom 13./ 14. September 1997 nach Bosnien zu reisen, ohne dabei ihren Flüchtlingsstatus zu verlieren. Ausserdem machen sie geltend, dass das BFF im Falle ihrer Schwägerin A. S. auf deren Erklärung hin, zwecks Teilnahme an bosnischen Wahlen im Besitze eines heimatlichen Reisepasses zu sein, auf einen Asylwiderruf verzichtet habe, womit ihnen gegenüber der Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt worden sei.

Es trifft zu, dass der Schweizerische Bundesrat im Sinne einer einmaligen Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen in der Schweiz befindlichen bosnischen Staatsangehörigen erlaubt hat, zwecks Teilnahme an den Wahlen vom 13./ 14. September 1997 nach Bosnien-Herzegowina zu reisen, ohne ihren Flüchtlingsstatus zu verlieren. Als zutreffend erweist sich auch die Behauptung der Beschwerdeführer, das BFF habe im Falle ihrer Schwägerin von einem Asylwiderruf Abstand genommen, nachdem diese erklärt habe, nur zwecks Teilnahme an jenen Wahlen im Besitze eines heimatlichen Reisepasses zu sein. Im Unterschied zu diesem Fall drängt sich jedoch hier aufgrund der Aktenlage der Schluss auf, dass die Beschwerdeführer die beabsichtigte Teilnahme an den Kommunalwahlen als angebliches Motiv zur Passbeschaffung


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nur vorgeschoben haben. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass für den angegebenen Zweck - wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung zu Recht bemerkt - kein bosnischer Pass erforderlich gewesen wäre, sondern der Reiseausweis für Flüchtlinge hätte benutzt werden können. Im weiteren ist anzunehmen, dass die Beschwerdeführer die bosnischen Pässe, welche sich bei der Einreise in die Schweiz am 4. April 1997 im Handgepäck der Beschwerdeführerin befanden, mit hoher Wahrscheinlichkeit bei ihrer Reise durch Italien oder Oesterreich nach Slowenien beziehungsweise auf dem entsprechenden Rückweg benutzt haben. Dazu bestand und besteht indessen kein berechtigter Anlass, wird doch den anerkannten Flüchtlingen nach Art. 28 Ziff. 1
IR 0.142.30 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (mit Anhang)
FK Art. 28 Reiseausweise - 1. Die vertragsschliessenden Staaten stellen den Flüchtlingen, die sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen ausserhalb dieses Gebietes gestatten, vorausgesetzt, dass keine zwingenden Gründe der Staatssicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen; die Bestimmungen im Anhang zu diesem Abkommen finden auf diese Dokumente Anwendung. Die vertragsschliessenden Staaten können einen solchen Reiseausweis auch jedem andern Flüchtling auf ihrem Gebiet ausstellen; sie werden den Fällen von Flüchtlingen besondere Aufmerksamkeit schenken, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten und nicht in der Lage sind, von dem Lande, wo sie ihren ordentlichen Aufenthalt haben, einen Reiseausweis zu erlangen.
1    Die vertragsschliessenden Staaten stellen den Flüchtlingen, die sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen ausserhalb dieses Gebietes gestatten, vorausgesetzt, dass keine zwingenden Gründe der Staatssicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen; die Bestimmungen im Anhang zu diesem Abkommen finden auf diese Dokumente Anwendung. Die vertragsschliessenden Staaten können einen solchen Reiseausweis auch jedem andern Flüchtling auf ihrem Gebiet ausstellen; sie werden den Fällen von Flüchtlingen besondere Aufmerksamkeit schenken, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten und nicht in der Lage sind, von dem Lande, wo sie ihren ordentlichen Aufenthalt haben, einen Reiseausweis zu erlangen.
2    Die Reiseausweise, die Flüchtlingen auf Grund früherer internationaler Vereinbarungen von den Parteien dieser Vereinbarungen ausgestellt worden sind, werden von den vertragsschliessenden Staaten dieses Abkommens anerkannt und so behandelt, als wären sie den Flüchtlingen auf Grund dieses Artikels ausgestellt worden.
FK genau zu diesem Zweck ein Reiseausweis des Aufnahmelandes ausgestellt. Die Benützung eines Passes des Landes, dessen Schutz der Inhaber angeblich nicht mehr beanspruchen kann, ist mit der Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich nicht vereinbar (vgl. Handbuch UNHCR, a.a.O. Rz. 47 - 50, S. 14 f.). Jedenfalls ist auch aus der Weigerung der Beschwerdeführer, den Schweizer Behörden ihre bosnischen Reisepässe einzureichen, ohne weiteres zu schliessen, dass sie damit etwas für sie Nachteiliges - nämlich deren vergangene
Benutzung - verheimlichen oder sich einen unrechtmässigen Vorteil - nämlich deren künftige Benutzung - offen halten wollen. Ihr Einwand gegenüber der ARK, sie hätten ihre Pässe nach deren Entdeckung durch die Schweizer Grenzbehörden "aus Verzweiflung" zerrissen, entbehrt jeder Glaubhaftigkeit. Gegen die generelle Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer spricht letztlich auch ihre Erklärung, sie würden ihre Reisepässe bei ihrer Einreise besser versteckt haben, wenn sie tatsächlich gewusst hätten, dass der Besitz derselben ihren Flüchtlingsstatus in der Schweiz gefährden könnte; dieser Erklärungsversuch macht ihre fehlende Gutgläubigkeit ziemlich offenkundig. Unter diesen Umständen konnte die Vorinstanz, im Unterschied zum erwähnten Fall A. S., zu Recht das Vorhandensein "beachtlicher Gründe" für die Passbeschaffung verneinen, weshalb auch von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Schweizer Asylbehörden keine Rede sein kann. Nach dem Gesagten ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer in der Absicht handelten, den Schutz ihres Heimatstaates in Anspruch zu nehmen (vgl. EMARK 1996 Nr. 12, S. 103, Erw. 8b).

cc) Indem den Beschwerdeführern durch die bosnischen Behörden tatsächlich Reisepässe ausgestellt worden sind, ist auch das dritte Kriterium der ARK-Praxis - der effektive Erhalt des Schutzes des Heimatstaates - als erfüllt zu betrachten, zumal die Beschwerdeführer die Pässe bei Auslandreisen mit sich geführt haben.


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dd) Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass vorliegend in bezug auf das Ehepaar E. S. die Voraussetzungen von Art. 41 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 FK zum Widerruf des Asyls erfüllt sind. Die Vorinstanz hat daher zu Recht ihr Asyl widerrufen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft aberkannt.

c) Gemäss Art. 41 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG erstreckt sich die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf den Ehegatten und die Kinder.

Die bundesrätliche Botschaft vom 31. August 1977 zu Art. 41 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
(damals Art. 40 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 40 Ablehnung ohne weitere Abklärungen - 1 Wird aufgrund der Anhörung offenkundig, dass Asylsuchende ihre Flüchtlingseigenschaft weder beweisen noch glaubhaft machen können und ihrer Wegweisung keine Gründe entgegenstehen, so wird das Gesuch ohne weitere Abklärungen abgelehnt.
1    Wird aufgrund der Anhörung offenkundig, dass Asylsuchende ihre Flüchtlingseigenschaft weder beweisen noch glaubhaft machen können und ihrer Wegweisung keine Gründe entgegenstehen, so wird das Gesuch ohne weitere Abklärungen abgelehnt.
2    Der Entscheid muss zumindest summarisch begründet werden.113
) AsylG lautet wie folgt:

"Andererseits hat aber nach Absatz 3 der Entzug der Flüchtlingseigenschaft keine Auswirkung auf die Personen (im gegebenen Fall auf den Ehegatten und die Kinder), die gestützt auf Artikel 3 Buchstabe b [heute: Art. 3 Abs. 3] als Flüchtlinge anerkannt wurden. Harte und unverdiente Konsequenzen wären sonst nicht zu vermeiden. Selbstverständlich kann aber auch Angehörigen die Flüchtlingseigenschaft entzogen werden, wenn sie persönlich die Voraussetzungen geschaffen haben."

Dem Botschaftsauszug ist vorab zu entnehmen, dass die Setzung eines Widerrufsgrundes durch das Familienoberhaupt die Flüchtlingseigenschaft seines Ehegatten sowie der Kinder nicht berühren soll. Dem Ehegatten und den Kindern darf somit die Flüchtlingseigenschaft nur dann entzogen werden, wenn sie selber einen der in Art. 1 C FK abschliessend aufgezählten Entzugsgründe erfüllen. Hiervon freilich zu unterscheiden ist die Möglichkeit, dass die Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder für diese grundsätzlich rechtsverbindlich handeln können. Die Einreichung eines Asylgesuches ist zwar ein höchstpersönliches Recht im Sinne von Art. 19 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 19 - 1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben.14
1    Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben.14
2    Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind, sowie geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens zu besorgen.15
3    Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig.
ZGB, das der unmündige - urteilsfähige - Gesuchsteller ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters ausüben kann. Sie schliesst indessen - als relativ höchstpersönliches Recht - eine gesetzliche Vertretung nicht aus (vgl. hierzu EMARK 1996 Nr. 5, S. 34 ff.). Darf ein Kind durch seinen gesetzlichen Vertreter ein Asylgesuch einreichen, dann darf es logischerweise durch seinen gesetzlichen Vertreter auch auf seinen Asylanspruch verzichten (vgl. auch Achermann/ Hausammann, a.a.O., S. 198, wo die Möglichkeit des Asylverzichts für die Kinder durch Erklärung der Eltern
ausdrücklich erwähnt wird). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch denkbar, dass die Eltern im Rahmen der Setzung eines Widerrufstatbestandes ihre unmündigen Kinder gesetzlich vertreten können.


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Die Eltern E. und A. S. haben - wie unter Erw. 3b vorstehend ausgeführt - durch die Beschaffung heimatlicher Reisepässe für sich selber den Widerrufstatbestand von Art. 1 C Ziff. 1 FK (freiwillige Unterschutzstellung unter den Heimatstaat) verwirklicht. Eine andere Frage ist jedoch, ob damit auch für ihre Kinder der Widerrufstatbestand erfüllt ist.

Eine rechtsgenügliche gesetzliche Vertretung der (im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung durchwegs minderjährigen) Kinder durch die Eltern würde nach Auffassung der Kommission indessen voraussetzen, dass die Kinder entweder nachweislich im Reisepass eines ihrer Eltern eingetragen wären oder über eigene bosnische Pässe verfügen würden. Wie den Verfahrensakten (Schreiben der Schweizer Grenzpolizei in Chiasso vom 4. April 1997 an das BFF) entnommen werden kann, waren Herr und Frau E. S. bei ihrer am 4. April 1997 erfolgten Wiedereinreise in die Schweiz im Besitze eigener bosnischer Reisepässe. Die Schweizer Grenzpolizei konfiszierte daraufhin ihre schweizerischen Reiseausweise, kopierte indessen allem Anschein nach nur je eine Doppelseite der den Beschwerdeführern wieder ausgehändigten beiden bosnischen Reisepässe. Die Kopien enthalten je ein Foto von Herrn und Frau E. S., deren Personalien, Unterschrift sowie Ausstellungsort und -datum des Reisepasses. Demgegenüber wird aus den bei den Akten befindlichen Passkopien nicht ersichtlich, ob und gegebenenfalls welche der vier Kinder in den Reisepässen ihrer Eltern eingetragen sind. Selbst wenn im Sinne einer Vermutung angenommen würde, dass jedenfalls die beiden jüngeren Kinder im Pass
eines der Eltern eingetragen sind, muss dies hinsichtlich der im Zeitpunkt der BFF-Widerrufsverfügung immerhin 17 1/2 beziehungsweise fünfzehn Jahre alten Töchter E. und E. füglich bezweifelt werden, besteht doch in deren Alter bereits die Möglichkeit, eigene Pässe erhältlich zu machen. Solche liegen nicht bei den Akten.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass aufgrund der Aktenlage nicht feststellbar ist, ob und gegebenenfalls welche Kinder des Ehepaars A. und E. S. in deren Reisepässen aufgeführt sind. Ein automatischer Einbezug der Kinder in den bezüglich ihrer Eltern erfüllten Widerrufstatbestand fällt demgegenüber mit Blick auf den unmissverständlichen Wortlaut von Art. 41 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
AsylG ausser Betracht.

Die angefochtene Verfügung ist daher bezüglich der Kinder des Ehepaars A. und E. S. aufzuheben, weil aufgrund der aktuellen Aktenlage entgegen der Annahme der Vorinstanz die Voraussetzungen für die Aberkennung der Flücht-


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lingseigenschaft und für den Widerruf des Asyls gemäss Art. 1 C Ziff. 1 FK hinsichtlich der vier Kinder nicht erfüllt sind.

Damit ist nicht gesagt, dass ein Widerruf auf jeden Fall unzulässig wäre. Sollte die Vorinstanz an einem Widerruf des Asyls der ganzen Familie festhalten wollen, so steht ihr die Möglichkeit offen, eine entsprechende neue Verfügung zu erlassen, welche den vorstehenden Erwägungen Rechnung trägt. Dazu müsste die Vorinstanz insbesondere durch geeignete Zusatzabklärungen den bisher nicht erbrachten Nachweis liefern, dass eine freiwillige Handlung mit der Absicht, sich wieder dem Schutz des Heimatstaates zu unterstellen, auch hinsichtlich der Kinder vorliegt.


Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 1998-29-238-247
Datum : 04. August 1998
Publiziert : 04. August 1998
Quelle : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als 1998-29-238-247
Sachgebiet : Bosnien-Herzegowina
Gegenstand : Art. 1 C Ziff. 1 FK, Art. 41 Abs. 1 Bst. b und Abs. 3 AsylG: Widerruf des Asyls infolge Beschaffung von Reisepässen des Heimatstaates;...


Gesetzesregister
Abk Flüchtlinge: 28
IR 0.142.30 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (mit Anhang)
FK Art. 28 Reiseausweise - 1. Die vertragsschliessenden Staaten stellen den Flüchtlingen, die sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen ausserhalb dieses Gebietes gestatten, vorausgesetzt, dass keine zwingenden Gründe der Staatssicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen; die Bestimmungen im Anhang zu diesem Abkommen finden auf diese Dokumente Anwendung. Die vertragsschliessenden Staaten können einen solchen Reiseausweis auch jedem andern Flüchtling auf ihrem Gebiet ausstellen; sie werden den Fällen von Flüchtlingen besondere Aufmerksamkeit schenken, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten und nicht in der Lage sind, von dem Lande, wo sie ihren ordentlichen Aufenthalt haben, einen Reiseausweis zu erlangen.
1    Die vertragsschliessenden Staaten stellen den Flüchtlingen, die sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen ausserhalb dieses Gebietes gestatten, vorausgesetzt, dass keine zwingenden Gründe der Staatssicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen; die Bestimmungen im Anhang zu diesem Abkommen finden auf diese Dokumente Anwendung. Die vertragsschliessenden Staaten können einen solchen Reiseausweis auch jedem andern Flüchtling auf ihrem Gebiet ausstellen; sie werden den Fällen von Flüchtlingen besondere Aufmerksamkeit schenken, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten und nicht in der Lage sind, von dem Lande, wo sie ihren ordentlichen Aufenthalt haben, einen Reiseausweis zu erlangen.
2    Die Reiseausweise, die Flüchtlingen auf Grund früherer internationaler Vereinbarungen von den Parteien dieser Vereinbarungen ausgestellt worden sind, werden von den vertragsschliessenden Staaten dieses Abkommens anerkannt und so behandelt, als wären sie den Flüchtlingen auf Grund dieses Artikels ausgestellt worden.
AsylG: 40 
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 40 Ablehnung ohne weitere Abklärungen - 1 Wird aufgrund der Anhörung offenkundig, dass Asylsuchende ihre Flüchtlingseigenschaft weder beweisen noch glaubhaft machen können und ihrer Wegweisung keine Gründe entgegenstehen, so wird das Gesuch ohne weitere Abklärungen abgelehnt.
1    Wird aufgrund der Anhörung offenkundig, dass Asylsuchende ihre Flüchtlingseigenschaft weder beweisen noch glaubhaft machen können und ihrer Wegweisung keine Gründe entgegenstehen, so wird das Gesuch ohne weitere Abklärungen abgelehnt.
2    Der Entscheid muss zumindest summarisch begründet werden.113
41
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 41
ZGB: 19
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 19 - 1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben.14
1    Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben.14
2    Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind, sowie geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens zu besorgen.15
3    Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig.
Stichwortregister
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EMARK
1993/22 S.144 • 1996/11 S.82 • 1996/12 S.103 • 1996/12 S.91 • 1996/5 S.34 • 1996/7 • 1996/7 S.50