S. 192 / Nr. 33 Eisenbahnhaftpflicht (d)

BGE 72 II 192

33. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Mal 1946 i.S. Schilt gegen Rhätische
Bahn A.-G.


Seite: 192
Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht (Bundesgesetz vom 28. März 1905).
Dem Reisenden, der während der Fahrt des Zuges das Wageninnere verlässt und
die offene Plattform betritt, fällt (ausnahmsweise) kein rechtserhebliches
Selbstverschulden und keine wissentliche Polizeiübertretung zur Last, wenn er
in einen Wagen ohne Abort eingestiegen ist und zur Benutzung des Abortes in
einen Wagen mit solcher Einrichtung hinübersteigen will (Art. 1
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 1 Zweck und Gegenstand
1    Dieses Gesetz bezweckt die Vereinfachung:
a  der Datenerhebung für die Statistik durch die Harmonisierung amtlicher Personenregister (Register);
b  des gesetzlich vorgesehenen Austauschs von Personendaten zwischen den Registern.
2    Zu diesem Zweck bestimmt das Gesetz:
a  die Identifikatoren und Merkmale, die in den Registern zu führen sind;
b  die Zuständigkeit des Bundesamtes für Statistik (Bundesamt) für die Vereinheitlichung der Definitionen, Merkmale und Merkmalsausprägungen;
c  das Gebot der Vollständigkeit und Richtigkeit der Register;
d  die Pflicht zur Aktualisierung der Einwohnerregister.
, 5
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 5 Vollständigkeit der Register - Die Register müssen in Bezug auf den erfassten Personenkreis aktuell, richtig und vollständig sein.
und 7
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 7 Andere Merkmale - Die Führung eines Merkmals, das nicht in Artikel 6 bezeichnet ist, richtet sich nach den Anforderungen des Katalogs nach Artikel 4 Absatz 4, sofern das Merkmal im Katalog aufgeführt ist.
RHG).
Versorgerschaden (Art. 2
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 7 Andere Merkmale - Die Führung eines Merkmals, das nicht in Artikel 6 bezeichnet ist, richtet sich nach den Anforderungen des Katalogs nach Artikel 4 Absatz 4, sofern das Merkmal im Katalog aufgeführt ist.
EHG, Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
OR). Verlust des künftigen
Versorgers? Beschränkte Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
Responsabilité des entreprises de chemin de fer (loi du 28 mars 1905).
Le voyageur qui, monté dans un wagon dépourvu de cabinet, se rend, pendant la
marche du train, sur la plate-forme ouverte pour gagner les W. C. d'un autre
wagon ne commet pas de faute et ne viole pas sciemment une prescription de
police (art. 1, 5 et 7 LRC).
Perte de soutien (art. 2 LRC et 45 al. 3 CO). Quid en cas de perte d'un futur
soutien? Pouvoir d'examen limité du Tribunal fédéral.
Responsabilità delle imprese ferroviarie (logge federale 28 marzo 1905).
Il viaggiatore che, salito in una carrozza sprovvista di latrina, va, durante
la marcia de' treno, sulla piattaforma aperta per raggiungere la latrina
d'un'altra carrozza, non incorre in una colpa e non viola scientemente una
prescrizione di polizia (art. 1, 5 e 7 LRC).
Perdita del sostegno (art. 2 LRC e 45 op. 3 CO). Perdita d'un sostegno futuro?
Esame limitato del Tribunale federale.

A. - Am 4. Mai 1941 wollte der Flab. Rekrut Joh. Rudolf Schilt nach einem
Ausflug nach der Alp Grüm mit dem fahrplanmässig um 18.02 von Samedan
abfahrenden Zuge der Rhätischen Bahn nach S-chanf zurückkehren, wo er
einquartiert war. Er bestieg einen alten Wagen,

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der laut Feststellung der Vorinstanz auf der Fahrt «stark rüttelte». Zwischen
La Punt und Madulain erhob er sich von seinem Platze und trat durch die
äussere Wagentüre auf die offene Plattform hinaus. Ungefähr 300 m vor der
Station Madulain stürzte er in einer Linkskurve auf den Bahnkörper. Er erlitt
mehrere Schädelbrüche und starb schon auf dem Weg zum Spital.
B. - Seine verwitwete Mutter, die Klägerin, belangte die Rhätische Bahn für
Fr. 1336.15 Bestattungskosten, Fr. 30,000.­ Versorgerschaden und Fr. 4000.­
Genugtuungssumme. Die Beklagte bestritt alle Ansprüche. Sie machte geltend,
der Unfall sei ausschliesslich auf grobes Selbstverschulden Schilts
zurückzuführen; das Öffnen der Türen und das Betreten offener Plattformen
während der Fahrt seien gemäss § 17 des Transport-Reglementes der
schweizerischen Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen vom 1. Januar 1894
(TR) verboten, Widerhandlungen seien als Bahnpolizeiübertretungen zu ahnden.
Das Kantonsgericht von Graubünden hat mit Urteil vom 13. Dezember 1945 die
Haftpflicht der Beklagten grundsätzlich bejaht und sie zum Ersatz der
Bestattungskosten verurteilt. Die übrigen Klagebegehren hat es abgewiesen.
C. - Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragt die Klägerin, es sei
auch ihr Anspruch auf Ersatz des Versorgerschadens in Höhe von Fr. 30,000.­,
eventuell nach richterlichem Ermessen, zu schützen.
Die Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen mit dem Antrag auf gänzliche
Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Wird beim Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder körperlich
verletzt, so haftet der Inhaber der Bahnunternehmung gemäss Art. 1 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG
für den daraus entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, dass der Unfall
durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder durch Verschulden des
Getöteten oder Verletzten

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verursacht ist. Wird nachgewiesen, dass höhere Gewalt, Dritt- oder
Selbstverschulden die einzige adäquate Ursache des Unfalls darstellt, so
entfällt die Haftpflicht der Bahn vollständig. Ist der Unfall nicht allein auf
das Verschulden des Verunfallten zurückzuführen, sondern hat ein Verschulden
der Bahnorgane oder eine besondere Betriebsgefahr als Mitursache zu gelten, so
kann der Richter die Entschädigung gemäss Art. 5
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG unter Würdigung aller
Umstände nach Verhältnis ermässigen (BGE 68 II 266, 69 II 262,71 II 120). Hat
sich der Verunfallte durch wissentliche Übertretung polizeilicher Vorschriften
in Berührung mit der Eisenbahn gebracht, so kann der Richter nach Art. 7
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG
die Ersatzpflicht einschränken oder von derselben ganz entbinden.
Dass Schilt beim Betrieb der beklagten Bahnunternehmung verunfallt ist, steht
ausser Streit. Anderseits unterliegt es keinem Zweifel, dass der Unfall nicht
eingetreten wäre, wenn Schilt das Wageninnere während der Fahrt nicht
verlassen hätte, und dass er mit dem Öffnen der äussern Wagentüre und dem
Betreten der offenen Plattform der Vorschrift von § 17 TR zuwidergehandelt
hat, sofern wenigstens NICHT besondere Gründe sein Verhalten rechtfertigten.
Die Gefahren, die das Öffnen einer auf eine offene Plattform mündenden Türe
und das Betreten einer offenen Plattform während der Fahrt in sich schliesst,
sind zudem für jeden nicht ganz unerfahrenen Reisenden offenkundig. Wer
während der Fahrt ohne Not eine solche Türe öffnet und eine solche Plattform
betritt, begeht daher selbst dann, wenn er das ausdrückliche Verbot des § 17
TR nicht kennt, eine Unvorsichtigkeit, die ihm gegebenenfalls als
Selbstverschulden im Sinne von Art. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
bezw. 5 EHG anzurechnen ist (vgl. BGE 68
II 268
oben, 269 Mitte). Die Einrede des Selbstverschuldens ist demnach im
vorliegenden Falle begründet, wenn nicht besondere Umstände dem Verunfallten
ausnahmsweise die Befugnis zum Öffnen der äussern Wagentüren und zum Betreten
der offenen Plattform verliehen oder den von

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ihm begangenen Fehler als so geringfügig erscheinen lassen, dass eine
Beschränkung der Haftpflicht der Beklagten sich nicht rechtfertigt. Liegt im
erwähnten Verhalten infolge besonderer Umstände kein (rechtserhebliches)
Selbstverschulden, so ist darin auch keine wissentliche Polizeiübertretung im
Sinne des Art. 7
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG zu erblicken, den die Beklagte offenbar neben Art. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
und
5
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG anrufen will. Wäre Schilt eine wissentliche Übertretung von § 17 TR
vorzuwerfen, so wäre im übrigen noch fraglich, ob er «durch» diese Übertretung
«in Berührung mit der Eisenbahn» gekommen sei, wie Art. 7
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
EHG es fordert.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die die Beklagte vor
Bundesgericht vergeblich wegen unrichtiger Beweiswürdigung anzufechten sucht
(Art. 63 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
OG), hat Schilt, als er seinen Platz und den Wagen verliess,
zu seinem Kameraden Hotz gesagt, er müsse den Abort aufsuchen, und hat sich im
Wagen, den Schilt und Hotz bestiegen hatten, kein solcher befunden. Den
Benutzern eines Wagens, in dem sich kein Abort befindet, muss es gestattet
sein, nötigenfalls auch während der Fahrt des Zuges das Wageninnere zu
verlassen und die offene Plattform zu überschreiten, um sich in einen Wagen
mit Abort zu begeben. Die Umstände rechtfertigten also das Verhalten Schilts.
Ob er sicher wusste oder nur vermutete, dass sich in seinem Wagen kein Abort
befinde, ist gleichgültig, da die nähere Erkundigung, die ihm mangels sichern
Wissens an sich zuzumuten gewesen wäre, die Richtigkeit seiner Annahme
bestätigt hätte, sodass er den Wagen wenig später doch hätte verlassen müssen.
Die Beklagte wendet allerdings ein, Schilt hätte den Wagen während der Fahrt
auch dann nicht verlassen dürfen, wenn sich darin kein Abort befand, und wenn
er das Bedürfnis hatte, einen solchen aufzusuchen, da er den Aufenthalt auf
der nahen Station Madulain hiezu hätte benützen können. Den zur Stationsanlage
gehörenden Abort aufzusuchen, war ihm jedoch schon deshalb nicht zuzumuten,
weil er auf diese Weise die Weiterfahrt des

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Zuges hätte verpassen können. Es konnte ihm aber auch nicht unter allen
Umständen zugemutet werden, den Halt auf der Station abzuwarten, um in einen
Wagen mit Abort hinüberzusteigen. Die Vorinstanz stellt fest, dass er als
Kantonsfremder sehr wahrscheinlich gar nicht genau gewusst habe, wie lange die
Fahrt bis zur nächsten Station noch dauern werde, und hievon abgesehen ist
sehr wohl möglich, dass ihm ein weiteres Zuwarten untunlich erschien, ob er
sich nun (wie schon in Pontresina und Samedan) unwohl fühlte und damit
rechnete, er müsse sich erbrechen, was die Vorinstanz freilich nicht annimmt,
oder ob er den Abort zum üblichen Zweck aufsuchen wollte. Der erwähnte Einwand
der Beklagten ist daher nicht stichhaltig. Wollte man aber noch annehmen, dass
Schilt sich nicht völlig korrekt verhalten habe, so wäre sein Verschulden doch
auf jeden Fall so unbedeutend, dass darin kein Grund zu finden wäre, die
Haftpflicht der Beklagten aufzuheben oder auch nur zu ermässigen.
Dass der vorausgegangene Alkoholgenuss Schilt in seinem Handeln beeinflusst
habe, ist nicht erwiesen. Die Vorinstanz, die ihr Urteil anhand einer
gerichtsmedizinischen Expertise und der Aussagen des Zeugen Hotz gebildet hat,
und deren tatsächliche Feststellungen für das Bundesgericht massgebend sind,
verwirft diese Annahme ausdrücklich.
Da somit keine Tatsachen nachgewiesen sind, die die Beklagte ganz oder
teilweise von ihrer Haftpflicht befreien könnten, hat sie gemäss Art. 1 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.

EHG für die Unfallfolgen voll einzustehen.
2.- Die Forderung auf Ersatz der Bestattungskosten (Art. 2
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 7 Andere Merkmale - Die Führung eines Merkmals, das nicht in Artikel 6 bezeichnet ist, richtet sich nach den Anforderungen des Katalogs nach Artikel 4 Absatz 4, sofern das Merkmal im Katalog aufgeführt ist.
EHG) ist der Höhe
nach nicht mehr bestritten.
3.- Bei der Beurteilung der Forderung aus Versorgerschaden ist die Vorinstanz
mit Recht davon ausgegangen, dass als Versorger im Sinne von Art. 2
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 7 Andere Merkmale - Die Führung eines Merkmals, das nicht in Artikel 6 bezeichnet ist, richtet sich nach den Anforderungen des Katalogs nach Artikel 4 Absatz 4, sofern das Merkmal im Katalog aufgeführt ist.
EHG (und
Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
OR) nicht nur zu gelten hat, wer den Unterstützungsbedürftigen
zur Zeit des tödlichen Unfalls tatsächlich schon unterstützt hat, sondern
auch, wer ihn nach der

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Lebenserfahrung in mehr oder weniger naher Zukunft unterstützt hätte, wenn der
Unfall nicht eingetreten wäre (BGE 58 II 37 E. 6, 217 E. 4, 62 II 58 f.). Dass
Schilt die Klägerin noch nicht unterstützt hat, ist unbestritten. Ob er es
später getan hätte, wenn er am Leben geblieben wäre, ist im wesentlichen eine
Tat- und Ermessensfrage, sodass dem Bundesgericht in diesem Punkte nur eine
beschränkte Überprüfungsbefugnis zusteht (BGE 57 II 56, 66 II 203). Die
Vorinstanz hat entschieden, die zur Zeit des Unfalls 47jährige Klägerin habe
in ihrem verunfallten Sohne schon deswegen nicht ihren künftigen Versorger
verloren, weil sie sehr wahrscheinlich nach dem Übergang des von Vater Schilt
hinterlassenen und von ihr geführten Geschäftes an ihren Sohn den dazu
gehörenden Gasthof weiterhin geleitet und dabei noch sehr lange ihr Auskommen
gefunden hätte, und weil sie im übrigen von ihrem Manne ein kleines Vermögen
geerbt habe, das sich nun noch um ihren Erbanteil am väterlichen Erbe des
Verunfallten vermehre. In diesem Entscheid liegt keine Bundesrechtsverletzung.
Dass die Klägerin heute kränklich und arbeitsunfähig sei, ist eine neue
Behauptung, die das Bundesgericht gemäss Art. 55 lit. c
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
OG nicht hören kann.
4.- (Genugtuungsanspruch; Nichteintreten mangels genügenden Berufungsantrags.)
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Haupt- und die Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des
Kantonsgerichtes von Graubünden vom 13. Dezember 1945 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 II 192
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 30. Mai 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 II 192
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Eisenbahnhaftpflicht (Bundesgesetz vom 28. März 1905).Dem Reisenden, der während der Fahrt des...


Gesetzesregister
EHG: 1  2  5  7
OG: 55  63
OR: 45
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
RHG: 1 
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 1 Zweck und Gegenstand
1    Dieses Gesetz bezweckt die Vereinfachung:
a  der Datenerhebung für die Statistik durch die Harmonisierung amtlicher Personenregister (Register);
b  des gesetzlich vorgesehenen Austauschs von Personendaten zwischen den Registern.
2    Zu diesem Zweck bestimmt das Gesetz:
a  die Identifikatoren und Merkmale, die in den Registern zu führen sind;
b  die Zuständigkeit des Bundesamtes für Statistik (Bundesamt) für die Vereinheitlichung der Definitionen, Merkmale und Merkmalsausprägungen;
c  das Gebot der Vollständigkeit und Richtigkeit der Register;
d  die Pflicht zur Aktualisierung der Einwohnerregister.
5 
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 5 Vollständigkeit der Register - Die Register müssen in Bezug auf den erfassten Personenkreis aktuell, richtig und vollständig sein.
7
SR 431.02 Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) - Registerharmonisierungsgesetz
RHG Art. 7 Andere Merkmale - Die Führung eines Merkmals, das nicht in Artikel 6 bezeichnet ist, richtet sich nach den Anforderungen des Katalogs nach Artikel 4 Absatz 4, sofern das Merkmal im Katalog aufgeführt ist.
BGE Register
57-II-53 • 58-II-29 • 62-II-58 • 66-II-203 • 68-II-264 • 69-II-259 • 71-II-117 • 72-II-192
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • ehg • bundesgericht • vorinstanz • selbstverschulden • versorgerschaden • verhalten • weiler • bestattungskosten • benutzung • wille • höhere gewalt • beschränkte überprüfungsbefugnis • kantonsgericht • wissen • richtigkeit • dauer • eisenbahn • entscheid • betriebsgefahr
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